<-- UWG – Raumkreuzer Progress
17:33 Uhr


„Und ihr zwei glaubt, diese Püppchen helfen euch weiter?“ Megan klang wenig überzeugt, als sie mit Keel’o und Zak das Shuttle verließ, das das Trio zur Effect Zone gebracht hatte. Wenn man so darüber nachdachte, dann war ihr Zweifel auch verständlich, schließlich war es eine sehr dünne Verbindung – doch es war die einzige, neben der Tatsache, dass beide Leichen Quarianer waren. Wie Keel’o so aus dem Shuttle stieg, um ihn herum die staubige Hitze Omegas, gegen die die Kühlsysteme seines Anzugs ankämpften, da fühlte er sich wie einer dieser Detektive, die in großen Erzählungen der Menschen Gangsterbosse jagten, Trenchcoats trugen und rauchten. Die Tatsache, dass er selbst keine weiße Weste hatte trübte diese Fantasie keineswegs.
„Ja“, erwiderte Zak monoton und steckte sich dabei eine Zigarette an, beinahe als ob er die Gedanken seines quarianischen Freundes gelesen hatte. Megan schnaubte, erwiderte sonst jedoch nichts. Solange sie bezahlt wurde, war sie wohl mit allem zufrieden. Diese Frau war ein Rätsel für Keel’o, denn um mit einer solchen Einstellung aufrecht durch die Galaxis schreiten zu können, musste man sich sein Gewissen aus der Seele geschnitten haben. Genau das, was man auf Omega brauchte. Mit einem Zischen öffnete sich die Tür am Haupteingang und Keel’o zog etwas überrascht die Augenbrauen nach oben. Er war nicht oft hier, aber die Abende hatte er den Laden wesentlich voller in Erinnerung. Natürlich, es war eine merkwürdige Zeit, ein Etablissement wie dieses aufzusuchen, doch auf Omega war sonst eigentlich immer etwas los. Im Moment jedoch wurde die Tanzfläche gereinigt und lediglich eine Handvoll Gäste saß an der Bar, während das restliche Personal mit Vorbereitungen verschiedenster Art beschäftigt war. So sah also ein Club außerhalb der regulären Öffnungszeiten aus… Yviela musste ihn wohl in einem ganz anderen Licht kennengelernt haben.


Das Mädchen kam nicht aus dem Staunen raus. Im Eingangsbereich war sie stehen geblieben und drehte sich noch immer im Kreis, während um sie herum die Massen in den Club strömten, wie Gläubiger in einen Tempel – mit dem Unterschied, dass hier die wuchtigen Bassboxen darauf warteten, ihre Seelen zu fangen.
„Wow“, wäre wohl das einzige, was sie zu sagen hatte. So war es Rin gegangen, so war es Keel’o gegangen, so ging es wohl jedem Quarianer, der zum ersten Mal die konservative, geordnete Enge der Flottille verlassen hatte, in der jeder seinen Platz und seine Funktion hatte. Ungeordnetes, kreatives und vor allem betrunkenes Chaos konnte mächtig Eindruck bei einer solchen Kindheit hinterlassen. Keel’o folgte in seiner unsichtbaren Beobachterrolle dem jungen Mädchen, wie sie mit der Masse von der Garderobe zur Bar glitt und sich dort niederließ. Die Radiocharts waren ersetzt durch dröhnende Partyhits, die gerade auf Omega die Runde machten und beiläufig bemerkte Keel’o dabei, dass es sich um dieselben Stücke handelte, die er sich gestern noch gekauft hatte. Sein Unterbewusstsein griff also zu Trick Siebzehn, eine Tatsache, die ihn amüsiert schmunzeln ließ.
„… aber mit etwas weniger Alkohol.“ Das helle, beinahe kindische Lächeln ließ ihn seinen Fokus wieder gewinnen. Sie hatte sich gerade einen Drink bestellt. Keel’o verzog das Gesicht, ihm war nun wirklich nicht nach Alkohol.
„Ein toller Laden, nicht?“ Mit wem sprach sie? Nicht mit ihm, das war unmöglich. Vielleicht mit der anderen Leiche. Vielleicht hatten sie sich an diesem Abend gesehen, vielleicht waren sie sich über den Weg gelaufen. Vielleicht, vielleicht. Zu viele Variablen, ein Umstand, der Keel’o nervös machte. Er bevorzugte Ordnung, feste Bahnen, nach denen etwas verlief. Keel’os Lächeln erstarb mit einem Wimpernschlag, als er neben ihr auf dem Tresen die Figur ausmachte, die er bei ihr gefunden hatte. Er schluckte, sah ruckartig von ihr zu der Gestalt, die sich neben ihr aufgebaut hatte und die ihre schwarzen Klauen, ja, es waren Klauen, um ihre Hüfte legte. Er wollte sich bewegen, ihr helfen, sie am liebsten mit sich reißen und ihr das Ticket zur Citadel zahlen, doch er war in Stasis – unbeweglich. Hilflos. Ausgeliefert. Er hatte die Chance, ihr unberührtes Leben zu retten und er hatte versagt.



„Komm!“ Keel’o schreckte auf und sah in Megans Gesicht, die gegen das Visier seines Helms geklopft hatte. „Schlaf hier nicht ein, Dornröschen.“
Er schüttelte den Kopf und folgte ihr zu Zak, der bereits ein wenig vorgegangen war und der sich mit einer Asari-Barkeeperin unterhielt, ihr dabei eine der Figuren zeigte.
„… den findet ihr hinten“, meinte sie und deutete hinter sich, während sie ein Glas polierte, „macht die Dinger selber, glaub ich. Nerd und ein ziemliches Arschloch, wenn du mich fragst.“ Zak nickte und winkte Keel’o schließlich zu sich. Sie gingen durch eine Tür in den hinteren Bereich, der sonst nur dem Personal vorbehalten war und wo die eigentliche Arbeit des Clubs zu erledigen war: das Getränkelager, ein Büro, Abstellkammern. Ein ganz anderes Gesicht der Effect Zone kam hier zum Vorschein, doch Keel’o war nicht zum Feiern hier.
„Klingt nicht nach jemandem, der Mädchen abschlachtet“, raunte Megan und warf sich einen Kaugummi in den Mund. Keel’o fragte sich, wie sie so gelassen sein konnte, schließlich konnte dieser Kerl etwas mit der Ermordung mehrerer Unschuldiger zu tun haben. Andererseits war sie wohl das, was sie selbst eine „abgebrühte Bitch“ nennen würde, also konnte man von ihr nicht viel Mitgefühl für andere erwarten.
„Unscheinbar, die perfekte Tarnung für ihn. Vielleicht hat er doch etwas mit dem Mord an Yviela zu tun“, raunte Keel’o und sah zu Zak, der ihm seinerseits einen fragenden Blick zuwarf, „der Name der Jüngeren. Hatte ein Schreiben ihrer Eltern dabei.“ Er verstummte. Ihm war schon vorher aufgefallen, dass er nicht mehr nur von „der Toten“ oder „der Leiche“ sprach, sondern sie bei ihrem Namen nannte. Der Verlust ging ihm ungewöhnlich nahe und Keel’o wusste nicht so recht, weshalb oder wie er damit umzugehen hatte. Er war aber beruhigt über diese Tatsache. Sie zeugte davon, dass Omega es nicht geschafft hatte, ihn zu korrumpieren. Nicht ganz.
„Keine voreiligen Schlüsse“, mahnte Zak und blieb vor einer der Türen stehen, „hier ist es. Lass mich reden, Keel.“ Mit einem Knopfdruck öffnete sich die Tür und zum Vorschein kam ein kleines Kabuff, das mit allerhand Malerzubehör zugestellt war. Es glich vielmehr einer Werkstatt als einem Büro und überall waren Pinsel verschiedenster Art, Sprühdosen, Farbeimer und sonstiges Werkzeug verteilt, dessen Sinn und Zweck Keel’o nicht kannte. An einer Werkbank vor ihnen saß ein Quarianer, dessen Umhang komplett weiß war und der mit zahlreichen Farbklecksen verziert war. Keel’o schnaubte verächtlich, als er ihn so dasitzen sah. Hatte er wirklich mit den Morden zu tun? War er es, der seinesgleichen tötete? Falls ja, dann war er in Keel’os Augen ein Verräter und die Strafe für Verrat war der Tod. Der Maler sah nur flüchtig von dem Kunststoff auf, den er in der Hand hielt, ehe er den Pinsel wieder darüber strich. Es war eine dieser Puppen, die er da bemalte, doch Keel’o konnte nicht sehen, wen sie darstellen sollte.
„Die Buchhaltung ist eine Tür weiter. Wenn euch die Gab´bors etwas schulden, dann müsst ihr dort reinpoltern.“ Die Gleichgültigkeit, mit der dieser Typ dem Trio entgegentrat, schürte nur den Zorn in Keel’o. Zak ergriff jedoch das Wort, bevor der Quarianer seinen Emotionen nachgeben konnte.
„Wir sind kein Inkasso-Unternehmen, Junge“, sagte der Salarianer ruhig, aber bestimmt und stütze sich mit beiden Händen auf der Werkbank vor ihm ab, „wir sind wegen dir hier.“ Er stellte eine der Figuren vor ihm ab, sagte jedoch kein Wort, sondern wartete auf die Reaktion des Quarianers. Die dreifingrige Hand erstarrte in der Bewegung und ein leichtes Nicken war die einzige Bewegung seines Kopfes. Schließlich legte der verräterische Quarianer den Pinsel beiseite und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Warum?“
„Erzähl uns etwas über diese Figuren.“
„Ich mache sie selbst. Den Kunststoff kann ich mit einem Laser bearbeiten, die Farben kriege ich in jedem Baumarkt. Die Chefs denken, das wäre eine nette Publicity und ich krieg meine Kohle, die ich brauche, um mir hier eine Wohnung und was zu Fressen zu kaufen. Kein Arschloch sucht mehr quarianische Techniker, die gibt es wie Sand am Meer, also musste ich etwas improvisieren.“
„Und du verschenkst sie?“
„Ja. Also, eigentlich nein. Man kriegt die mit zwei kleinen Schnäpsen. Super beliebt, keine Ahnung warum. Totaler Müll, wenn du mich fragst.“ Er machte eine kurze Pause, in der er die Hände faltete und in seinem Stuhl zu wippen begann. „Ihr wollt aber sicher nicht über diese Figürchen reden.“
„Wie heißt du, Junge?“
„Yuri“, erwiderte er und Keel’o horchte auf. Es war der Name auf dem Kärtchen.
„Gut, Yuri. Ich und mein Freund haben heute zwei tote Quarianerinnen gefunden, die diese Püppchen dabei hatten. Du weißt nicht zufällig etwas darüber oder?“
„Auf Omega sterben jeden Tag Leute“, erwiderte der Verräter ruhig, was sich jedoch mit dem Wippen biss. Keel’o wusste nicht, ob er das als Nervosität wegen einer möglichen Lüge interpretieren sollte oder ob es schlicht eine Angewohnheit des Jungen war. Er hätte ihm gerne einen der Farbeimer gegen den Schädel geschmissen. Irgendetwas hatte dieser Kerl an sich, was ihn immens unsympathisch machte, aber Keel’o konnte nicht sagen was.
„Kennst du sie?“, fragte Zak direkter und zeigte ihm ein Hologramm der beiden über sein Omnitool. Der Quarianer verschränkte die Arme vor der Brust.
„Vielleicht“, erwiderte er selbstsicher, „aber ich wüsste nicht, was euch das angeht.“
„Wir haben bei ihnen eine Karte mit deinem Namen darauf gefunden“, brummte Keel’o und hielt das Stück Papier hoch. Der verräterische Quarianer sah zu Keel’o, dann zu Megan und schließlich wieder zu Zak. Er kleines Zucken durchfuhr seinen Körper und er legte dabei den Kopf ein wenig schräg, ehe er fortfuhr.
„Waren zusammen hier. Die Kleine war süß, hab ein wenig mit ihr gequatscht und mir ihre Nummer geholt. Ihre Freundin, die Alte, war aber total zickig. Hat mir die ganze Zeit gesagt, ich soll mich verziehen und so. Vermutlich eifersüchtig, dass sie nicht angegraben wurde. Die sind tot?“ Zak nickte und der Quarianer zuckte mit den Schultern. „Hm. Ist sowieso nicht der richtige Ort für die beiden gewesen.“ Zak sah zu Keel’o, der dem Maler aufmerksam zugehört hatte. Die beiden kannten sich also schon vorher? Aber woher?
„Was haben die beiden hier gemacht?“
„Bist du dumm, Opa?“, erwiderte der Quarianer trotzig, „was macht man, wenn man in die Effect Zone geht? Richtig, saufen, vögeln und sich prügeln. Such‘s dir aus, ich hing denen nicht den ganzen Abend am Arsch.“ Keel’o machte einen Schritt nach vorne und war gerade dabei, seinen Mund zu öffnen, als Zak seine Hand hob und ihn so zurück hielt. Es war vermutlich besser so, denn sonst hätte er noch vieles bereut. Glücklicherweise hatten sie ihre Waffen am Eingang abgeben müssen, denn eine Schießerei mit dem Sicherheitspersonal wäre vermutlich das letzte, was das Trio jetzt gebrauchen konnte.
„Ich nehme an, du hast sie danach nicht mehr getroffen.“
„Richtig. Wollte mich mit der Kleinen eigentlich mal wieder treffen. Scheint wohl jemand was dagegen gehabt zu haben.“
„Kennst du einen T-Bone?“ Der Quarianer zuckte, legte den Kopf etwas schief. Es dauerte etwas, ehe er antwortete.
„Nein. Hat er die zwei auf dem Gewissen?“
„In Ordnung, wir sind hier fertig“, sagte Zak und nickte Keel’o zu. Er drehte sich um, blieb jedoch mitten in der Bewegung stehen und fasste an das Earpiece, das er im Ohr hatte und mit einem Funkgerät verbunden war. Der Salarianer blinzelte ein paar Mal und blickte schließlich direkt in Keel’os Augen, als er antwortete.
„Wir sind auf dem Weg; keiner macht irgendetwas, bevor ich nicht da bin. Er darf das Gebäude nicht verlassen“, er klopfte Keel’o auf die Schulter und verließ gemeinsam mit ihm und Megan das Büro, „T-Bone hat irgendetwas vor. Wir müssen jetzt zugreifen.“
Wenn Sie mich fragen, dann fängt die ganze Geschichte hier erst so wirklich an.

17:41 Uhr
--> Industrieanlage West