Ich bin nervös. "Was ist, wenn sie Dich erkennen?" Ich schüttele den Kopf, um die kleine Stimme in meinem Hinterkopf los zu werden. Meine Hand zittert ein wenig, als ich sie ausstrecke und die Klingel betätige. "Hallo?" sagt eine weibliche Stimme. Ich atme tief ein und wieder aus und versuche, so gut es geht, nicht nervös zu klingen. Und nicht wie ich selbst.

"Hallo! Ich würde gerne mich Frau Viviane R****** sprechen! Ist sie zu Hause?" Ich bete zu allen Göttern der Welt, das sie meine Stimme nicht erkennt. "Tut mir Leid, die ist nicht da. Wer sind Sie denn? Ich sag' ihr, dass Sie da waren." Enttäuschung macht sich bei mir breit. Dabei hatte ich so gehofft, sie wäre da... "Sind Sie sicher, dass sie nicht zu Hause ist?" frage ich und höre, wie ihre Mutter seufzt. "Hören Sie... Ich bin hier, weil mich jemand beauftragt hat, hier etwas abzugeben. Und ich gehe erst, wenn ich meinen Auftrag erfüllt habe."

Ich schlucke und warte auf eine Reaktion. Einen Moment lang herrscht Stille. Dann, endlich, höre ich das erlösende Summen, das die Tür zu meiner Vergangenheit öffnet.

Zwei Minuten später sitze ich in der Küche und bin ihren Blicken und denen ihrer Mutter hilflos ausgeliefert. Ob sie mich erkennen, weis ich nicht, aber im ersten Moment ist mir das auch egal.

Ich bin endlich wieder zu Hause...

Ihre Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. "Also. Wer sind Sie und was wollen Sie?" fragt sie und mustert mich von oben nach unten. Ich räuspere mich kurz und seufze. "Meinen Namen darf ich auf Wunsch meiner Auftraggeberin nicht nennen." beginne ich und hoffe inständig, dass keine der beiden mir anmerkt, wie nervös ich bin.

Sie runzelt die Stirn, sagt aber nichts. Ich seufze lautlos und fahre fort. "Die Person, die mich beauftragt hat, hier her zukommen, sagte mir, Sie würden sie kennen. Sie sagte, sie wären als Kinder befreundet gewesen." Sie sieht mich an und hinter mir höre ich, wie ihre Mutter scharf einatmet. Einen Moment lang herrscht eisige Stille. Ich spüre, wie meine Nervosität wächst, aber ich tue so, als wäre alles in bester Ordnung. "Frau C***** bat mich, Ihnen etwas zu geben." sage ich mit einem leichten Lächeln und sehe, wie sie zusammenzuckt, als ich meinen Nachnamen erwähne.

Sie sieht mich kurz an und wirft ihrer Mutter einen Blick zu. Einen Augenblick später sind wir alleine in der Küche. Ich lächele erneut, richte mich ein wenig in meinem Stuhl auf und spiele meine Rolle weiter.

"Wie haben Sie sich kennen gelernt?" fragt sie. Einen Moment lang schweige ich. Dann antworte ich. "Sie rief mich eines Tages an, um einige... Einzelheiten zu besprechen." sage ich mit ruhiger Stimme. Sie hebt eine Augenbraue. "Was für Einzelheiten waren das?" fragt sie.

Ich schlucke und meine Stimme ist leise geworden, als ich antworte. "Ich bin Nachlassverwalterin." Stille breitet sich aus. Ich spüre ihren Blick auf mir, aber ich wage es nicht, ihn zu erwidern. Schließlich fahre ich fort. "Selbstmord, soweit ich weis." Es ist noch immer still in der Küche. Ich schlucke, öffne meine Tasche und hole die beiden Umschläge heraus.

"Das ist für Sie." sage ich und schiebe den größeren von beiden über den Tisch zu ihr. "Was ist das?" fragt sie. Ich schüttele den Kopf. "Ich weis es nicht. Sie hat mir die Umschläge so gegeben. Verschlossen." Sie nickt, nimmt den Umschlag an sich und öffnet ihn. Überrascht sieht sie mich an. "Ein Tagebuch." Sie schlägt es auf und blättert darin. "Sie hat Ihnen auch einen Brief geschrieben." sage ich, öffne den zweiten Umschlag und beginne, zu lesen.

"Das war's dann wohl, nicht wahr?

Dreizehn Jahre keinen Ton voneinander gehört und dann verschwinde ich einfach. Es tut weh, weist du? Es tut weh, zu wissen, dass wir nie wieder mit einander sprechen werden. Es hat weh getan, Dich in der Stadt zu sehen und zu wissen, dass Du mich nicht wieder erkennst. Es hat weh getan, an eurem Haus vorbei zu fahren und zu wissen, dass ich nie mehr durch die Tür gehen und nach Hause kommen kann.

Ich habe aufgehört, zu hoffen. Nach dreizehn Jahren habe ich endlich begriffen, dass es kein zurück mehr gibt. Nach all der Zeit, in der ich so dumm war, zu glauben, es würde alles so werden wie früher, habe ich eines endlich begriffen: Du und ich... Wir waren Freunde. Wir waren beste Freunde. Ich hatte das Glück, acht Jahre meines Lebens mit Dir zu verbringen.

Und dafür danke ich Dir."

Ohne es zu merken, habe ich während dem Lesen aufgehört, meine Rolle zu spielen. Kaum habe ich die letzten Worte gesprochen, spüre ich ihren Blick. Ich sehe sie an und mit einem Mal erkennt sie mich.

Keiner von uns sagt ein Wort. In diesem Moment kommt ihre Mutter zurück in die Küche und in derselben Sekunde spiele ich wieder meine Rolle. "Nun, Frau R******, es tut mir sehr Leid, aber ich habe noch andere Dinge zu erledigen. Sie verstehen sicher, dass ich jetzt leider gehen muss." Sie nickt, steht auf und geht an ihrer Mutter vorbei. "Ich begleite Sie noch bis zur Haustür." höre ich sie sagen. Ich lege den Umschlag und den Brief, den ich vorgelesen habe, zum Tagebuch und gehe an ihrer Mutter vorbei.

Ich stehe vor der Tür. Sie steht hinter mir, eine Hand in der Hosentasche und die andere am Türrahmen. "Du hast gelogen." sagt sie. Ich nicke stumm. Was soll ich dazu auch großartig sagen? Sie seufzt hörbar. Ich drehe mich um und sehe sie an. Unsere Blicke treffen sich. Ich spüre, wie der Kloß in meinem Hals dicker wird und schlucke. "Was wirst du jetzt tun?" fragt sie und verlagert ihr Gewicht von einem auf den anderen Fuß.

"Mein Flug geht in zwei Stunden." erwidere ich leise. "Wie lange bleibst du weg?" Einen Moment lang bilde ich mir ein, einem Hauch Hoffnung in ihrer Stimme zu hören. "So lange, wie es nötig ist." antworte ich und lächele schief. Sie schweigt und nickt. "Dann also... Auf wiedersehen?" fragt sie. Ich schüttele den Kopf. "Kein auf Wiedersehen. Eher ein Lebe wohl." Sie sieht mich überrascht an und ich lache leise. "Ich habe nicht vor, wieder zurück zu kommen." erkläre ich. "Hier hält mich nichts mehr." Ich seufze. "Nicht einmal du."

Ich drehe mich um, gehe die Treppe hinunter und trete auf die Straße. Langsam gehe ich in Richtung Straße. Und dann endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, kommen die Tränen. Es sind Tränen der Erleichterung und der Freude. Erstaunt stelle ich fest, dass ich mich leichter fühle. Besser, irgendwie.



Anderthalb Stunden später sitze ich in einem Flugzeug und warte darauf, dass der Pilot endlich die Flugerlaubnis bekommt. Die Stewardessen erklären noch ein letztes mal, was im Notfall zu tun ist und setzen sich dann auf ihre Plätze. Das Flugzeug hebt ab und rund fünfundvierzig Minuten später landet die Maschine in London Heathrow. Ich hole mein Gepäck, rufe mir ein Taxi und fahre zu dem Hotel, in dem ich ein Zimmer gebucht habe. Am nächsten Tag beginne ich endlich mein neues Leben.
FIN

Hey all :)... I started writing this, before i moved to London and finished it now... I know, it took me a while, but i was busy ;P... Hope you all like it. I'd love to get some comments and stuff <3

Flämmchen