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    Standard Universum Metro 2033: Berlin im Untergrund

    Ich lese derzeit das Buch Metro 2033. Die Idee finde ich sehr gut und der Autor ruft ja selbst auf, eigene Geschichten seinem Universum hinzuzufügen. Ob es ein bekannter oder ein unbekannter Autor sei, dass ist egal schrieb er. Tja und ich probiere es einfach mal. Es ist meine erste selbst geschrieben Geschichte und auf neutrale Kritik bin ich angewiesen, auch dankbar, um mich zu verbessern.



    1. Kapitel, "Die Wolke"

    5.Juni 2008 13:45Uhr, Berlin

    „Meine Damen und Herren, laut unseren Experten wird es noch circa. 48 Stunden dauern, bis die atomare Wolke Ostdeutschland erreicht. Bitte bewahren sie Ruhe und verfallen Sie nicht in Panik.
    Die Experten wissen nicht genau, welche Folgen die Strahlung auf Menschen hat, da solch eine Bombe bisher noch nie auf unseren Erdball eingeschlagen ist...“ eine männliche Stimme übertönte den Nachrichtensprecher „Silvia komm wir müssen langsam los. Die sagten schon vor zwei Tagen, diese Wolke würde zu uns kommen. Es wird wie immer sein. Deutschland bleibt verschont.“
    Silvia stellte den Fernseher leise, stand auf und verschwand ins Badezimmer, um sich fertig zu machen. Leise schallten die Fliesen ihre Stimme wider, „Aber was ist, wenn es uns diesmal wirklich erwischt? Ich meine sollten wir nicht auch irgendwo nach Dortmund oder Köln flüchten?“. John steckte seinen dürren langhaarigen Kopf in den Türrahmen, „Ach quatsch, alles wird gut Schatz.“ Leise lief der Fernseher im Hintergrund und Silvia begann sich ihre braunen schulterlangen Haare zu föhnen und murmelte „Wenn du das sagst...“.

    John und Silvia waren seit drei Monaten glücklich verheiratet und erwarteten indes in 6 Monaten ihr erstes Kind. Ein Junge sollte es werden. Sie wusste noch genau, wie sie sich vor 3 Jahren kennen lernten. Es war im Mauerpark. Vielleicht nicht der schönste Park in Berlin, jedoch einer der kulturellsten. Jahrelang trennte hier eine Mauer den Westen von den Osten der Stadt. Amerikaner und Sowjets, jeder kennt es. Doch nach der Wende erreichte er hohe Bekanntheit, dank seiner Musikanten und anderen multikulturellen Schaustellern. Zum Beispiel war es normal im Mauerpark zu grillen, oder auf Punker zu stoßen. In diesem Park tolerierte jeder jeden. An jenem Tag hatte Silvia einen anstrengenden Tag in der Bank gehabt. Die Sonne schien erbarmungslos, jedoch war der Geschäftsführer wie immer nicht zufrieden gewesen, wie sie mit den Kunden umging. Es ging nicht um ihre Freundlichkeit den Kunden gegenüber, sondern darum, dass sie nicht knallhart den Menschen von den eigentlich unsinnigen Angeboten überzeugen konnte. So etwas kann man nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, sagte sie sich. Wie solle sie einer alten Dame euphorisch klar machen, dass, wenn sie dieses Dokument unterschreibe, es eigentlich ihr eigener Ruin wäre?
    Schlecht gelaunt begab sie sich in den nicht weit entfernten Mauerpark, suchte sich einen Platz am Hang, der die Gegengerade des Jahnsportparkes stützte. Die Sonne wärmte ihre reine blasse Haut und munterte sie auf. Und wie vom Schicksal gewollt, saß zwei Meter vor ihr ein junger hübscher Mann, dessen Haare bis auf die Schulter reichten, mit dem Rücken zu ihr. Dieser Jemand spielte Gitarre und sang dazu. Den Song kannte sie, es war Green Day mit „Wake me up, when september ends“.
    Sie hatte noch nie einen Freund gehabt, und war deshalb immer schuechtern gewesen. Doch bei diesem Mann, sagte ihr Gewissen sowas wie: Sprech ihn an.
    Sie tat es und war selber von sich überrascht. John war nicht wie diese Dicoprolls. Zugegeben sie sah wirklich nicht schlecht aus, jedoch erkannte sie sofort, dass er mehr Wert auf ihr Inneres legte. Er prahlte nie vor seinen Freunden, welche Schoenheit nun an seiner Seite war. Der Musiker verdiente sich sein Geld mit der Ausbildung zum Kellner, was ihre konservativen Eltern nie akzeptierten. Sie sahen in John nie den Richtigen für sie. Sie sahen nicht, wie glücklich er sie mit seiner einfachen Art machte. Und sie sahen es auch nicht bei der Hochzeit, bei der sie einfach nicht erschienen. Silvia zog einen Schlussstrich und verbannte all jene, die nicht verstanden, dass dieser Musiker ihr größtes Glück war. Sie versprach sich, ihren eigenen Weg zu gehen, und ihn immer zu lieben. Jenen Menschen der auch sie liebte, so wie sie war. Und dieses Versprechen gaben sie sich an ihrem Hochzeitstag erneut.







    Während ihre Haare vom elektrischen Gerät trockneten und dieser alle Geräusche der 2-Zimmer-Wohnung verschluckte, konnten beide nicht wahrnehmen, wie der Nachrichtensprecher seine letzte Information selber aktualisierte und ankündigte, dass starke Ostwinde die atomare Wolke beschleunigten und sie wahrscheinlich schon am Abend eintreffen werde.
    John zog sich in Windeseile seine grauen Converse Chucks an und tappste damit in das Badezimmer, um sich ebenfalls seine Haare zu richten. Dreck haftete noch an den Sohlen und seine Schuhe hinterließen kleine Spuren auf den Bodenfliesen.
    „Boah John ! Ich habe heute Morgen gewischt, verschwinde!“ meckerte seine Frau und scheuchte ihn wieder weg. Ohne auf das Ferhnsehgerät zu achten, nahm er die Fernbedienung in die Hand und schaltete es aus. Wenn man aus dem Fenster schaut, dachte er sich, würde man meinen, die Welt sei in Ordnung. Der Himmel blau, die Sonne strahlte mit ihrer ganzen Kraft und nichts ließ erahnen, dass irgendetwas Schreckliches passieren würde. Dieser Tag war ein besonderer. Genau vor drei Jahren lernten sie sich kennen und heute wollte John diesem besonderen Tag einen ehrwürdigen Rahmen geben. Er hatte die nächsten Stunden verplant mit Überraschungen, Essen gehen und am Abend mit einem Theaterbesuch. Er wusste, dass Silvia auf so etwas steht. Übertrumpft sollten die schönen Stunden am nächsten Morgen. Auf einigen Hochäusern in Berlin-Mitte hatte man Zugang zum Dach und er plante gemeinsam mit Silvia sich den Sonnenaufgang anzuschauen. Seine Herzdame stand auf diesen Kitsch, er zwar nicht so, aber es würde ihr eine riesige Freude machen.
    John grinste.
    Wenn alles perfekt laufen würde, könnte er langsam anfragen, ob er nächste Woche auch zur Demo kann. Ein wenig sollte ruhig für ihn auch dabei rausspringen.
    „Ich bin fertig und zieh mich jetzt an. Dann können wir los.“ rief Silvia freudig aus dem Bad.

    Der „Jahreskennlerntag“, wie Silvia ihn gerne nannte, lief genauso, wie es John sich vorstellte.
    Erst gingen sie zu Ihrem „Ort“, dem Mauerpark, entspannten sich und ließen die Stunden mit Geschichten von damals vergehen, ehe sie zu einem Italiener an der Eberswalderstr. Essen gingen.
    Sie lachten oft, nahmen sich in die Arme und spürten beide, dass die Liebe noch so frisch wie am ersten Tag war.
    Das Theater, welches sie besuchten lag in Friedrichshain. Es war ein Liebestück, in dem es sich um ein unzertrennliches Paar handelte. Während sie sich beide im Theater vergnügten, änderte sich das Wetter in Berlin schlagartig.
    Die Zeiger auf der Uhr am Roten Rathaus zeigten 21:54Uhr, als das eintraf, was die Experten vor raus sagten, doch konnten diese Fachmänner nie genau bestimmen, welche katastrophalen Folgen diese Strahlenwolke verursachen würde.
    Wie ein weißes Leichentuch, legte der Ostwind die dunklen Wolken über die Hauptstadt und diese ließen ihre schweren Regentropfen auf sie nieder prasseln. Kein einziger Berliner ahnte, dass das der Beginn vom Ende war. Niemand wusste, wie schlimm es wirklich werden konnte. Schon nach einigen Minuten spielten die ersten elektronischen Geräte verrückt. Navis in Autos schalteten sich einfach ab, Schaltzentralen aller Orts funktionierten nicht mehr, in den Towers der berliner Flughäfen brach das Chaos aus, welches gleich einen Flugzeugabsturz mitten in eine Wohnsiedlung von Reinickendorf zufolge hatte.
    Hunde fingen laut an zu bellen, rissen sich von ihren Besitzern los, rannten einfach auf die Straße und Autofahrer, die den Tieren ausweichen wollten, fuhren ineinander.
    Das Chaos wurde noch größer, als sich alle Ampeln der Stadt gleichzeitig, nur zehn Minuten nachdem es zu regnen begann, ausschalteten. Bei der Feuerwehr glühten die Telefonleitungen, bis auch sie sich letztendlich verabschiedeten und durch brannten.
    Blitz und Donner gesellten sich dem Chaos hinzu, und verliehen ihm noch mehr Schrecken.
    Viele von Zeus` Wurfgeschossen schlugen ereignislos in die Blitzableiter, die fast auf jedem Dach zu finden waren. Doch einer verwundete die Stadt sehr. Mit einem lauten Knall und einer darauffolgenden Explosion, die man in der ganzen Stadt vernahm, rauschte er in das Kraftwerk an der Rhinstraße in Lichtenberg. Fast der ganze Osten der Stadt war nun ohne Strom und lag im tiefster Dunkelheit.
    Aus Angst wurde nun Panik und die Menschen versuchten zu flüchten. Nur vor was sollte man flüchten, wenn man es nicht sah? Alle staatlichen Organe waren überfordert, man rechnete mit allem, nur nicht mit solch einem Chaos. Die Feuerwehr kam mit dem Löschen gar nicht hinterher, während die Polizei sichtlich daran verzweifelte eine gesicherte Ordnung herzustellen.
    Zwei Minuten nach dem Einschlag in das Kraftwerk, kam der Befehl von ganz oben aus der Regierung: Strom und Gas in der ganzen Stadt abstellen um größere Infernos zu vermeiden. Lediglich die Notfallgeneratoren, wie zum Beispiel in Krankenhäuser, sollten weiter laufen.

    Silvia und John klatschten Beifall, und der Rest des gefüllten Saals tat es ebenso. Die Zuschauer waren so gefangen von dem Stück gewesen, dass sie die Apokalypse, die sich draußen ereignete, gar nicht mitbekamen. Bis zu jenem Augenblick: Das Licht erhellte die Bühne. Nur kurz konnte man das Licht flackern sehen, denn fast im selben Moment ging es wieder aus. Aufgeregtes Gemurmel machte sich breit. John beruhigte Silvia und meinte, dass es sicherlich nur an der Elektronik liege. Sie schaute auf ihr Klapphandy. Das Netz war tot. Dieser Umstand verärgerte Silvia, sie hatte sich vorher extra vergewissert, dass an ihren Plätzen Empfang war, falls doch mal jemand wichtiges sich meldete.
    Und sie hatte eine SMS. Von meiner Mutter, wunderte sie sich. Mit ihren Fingern drückte sie auf die kleinen Knöpfe und öffnete die Nachricht.

    Hallo liebes. Du wirst dich wundern, warum ich schreibe. Lange haben wir nichts voneinander gehört, doch für Entschuldigungen meinerseits ist es zu spät.

    Was soll das? Seit Jahren kümmerte sich ihre Mutter einen Scheiß um sie und nun schrieb sie so, als könne man sich nie wieder entschuldigen. Ungeduldig las sie weiter.

    Heute morgen sind wir in Amsterdam gelandet. Wir hatten Angst, dass die Strahlung aus Russland schlimmes anrichten wird. Und nun sehe ich gerade die Livebilder aus Berlin. Ich hoffe inständig du und ja auch John konntet euch retten. In Liebe deine Mutter.

    Empfangen um 22:03 Uhr. Und nur 13 Minuten später gab es kein Netz mehr? Komisch, dachte sich Silvia.
    „Bitte bewahren sie Ruhe!“ schrie jemand von der Bühne. „Wir öffnen nun die Saaltüren und gehen gemeinsam hinaus.“ Keiner der Besucher wusste, was draußen geschehen war. Wie auch? Der Saal war von allen äußeren Einflüssen abgeschirmt. Jeder vertiefte sich in dieses romantische Stück, was erst vor ein paar Minuten endete. Und vor allem schaute niemand in dieser Zeit auf sein Handy. Und wenn doch, hat niemand nach 22:04 Uhr fürchterliche Nachrichten bekommen. Denn das Handynetz lag wie die Ampeln zehn Minuten, nach dem die Strahlung komplett Berlin einhüllte, brach.
    Plötzlich, ohne Vorwarnung, wurden die Saaltüren von der einzigen Kassiererin heute im Theater, die leider mittags Butterfisch aß, welcher bei ihr bisher noch nie dagewesenen Durchfall auslöste und der sie seit dreiviertel zehn auf Toilette einschloss, geöffnet. An der Abendkasse sprach sie noch vornehmes deutsch, man merkte ihr die gute Erziehung an, doch in Angesicht der Welt da draußen warf sie es über Bord.
    „Scheiße, da draußen geht gerade die Welt unter!“
    Was redet sie da, dachte sich John. Die groß gewachsene Kassiererin drehte sich auf ihren Ballerinas um und rannte in Richtung Ausgang. Die Saalbesucher taten es ihr gleich.
    Durch die gläserne Eingangstür gestaltete sich für jedermann ein merkwürdiger Ausblick.
    Die Laternen warfen keine Lichtkegel mehr auf die Straßen, Autos fuhren auch nicht mehr auf dieser und trotzdem leuchtete der Himmel. Kurz flimmerte der Himmel noch heller auf, folgend ein lauter Donner. Die Menschen drängten sich an John vorbei. Mit der rechten Hand ging er sich durchs Haar. Ein Gewitter und Stromausfall. Das erklärte für ihn alles. In seinen Augen spinnte die Kassiererin und wer weiß, was sie sich jeden Tag einwarf.
    Geändert von Cerche (10.03.2012 um 08:30 Uhr)

  2. #2
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    Silvias Gesichtsausdruck wurde ängstlich. Die Bilder dort draußen und die Nachricht ihrer Mutter. Was wusste sie, was John und Silvia im Theater nicht mitbekamen?
    „Schatz entspann dich, alles ist in Ordnung.“ Doch Johns Versuche, sie zu beruhigen, misslangen, denn prompt hielt sie ihm das Handy mit der SMS vor die Augen. Schnell überflog er die Zeilen und verstand nicht wirklich, was das jetzt mit dem Gewitter zu tun hatte. Fragend blickte er seine Frau an.
    „Jetzt sei nicht so naiv John ! Da draußen passiert irgendetwas!“ Nun kroch auch bei ihm eine bisher noch nie dagewesene Angst in ihm hoch..
    Auf einmal erhellte ein Blitz alles um sie herum und direkt darauf gab es einen ohrenbetäubenden Knall. Nicht weit von ihnen musste dieser eingeschlagen sein. Nun wachten alle aus der Starre auf und die Kassiererin war die erste, die die Theatertüren aufschlug und verschwand. Die anderen Gäste wollten nun auch schnellstmöglichst weg und quetschten sich durch den engen Ausgang.
    Silvia und John waren fast mit die letzten, die die gläserne Tür erreichten. Als sie hinaustraten konnten sie erstmals das ganze Chaos mit eigenen Augen sehen. Peitschend traf sie der erbarmungslose Ostwind. Gegenüber des Theaters befand sich der Friedrichshainer Volkspark, der nun in totaler Dunkelheit lag. Lautes Gebelle erklang von dort, wo sonst immer eine riesige Grünfläche war. Im nächsten Moment kam ein Auto mit hoher Geschwindikeit angerauscht, versuchte zu bremsen, kam aber auf der nassen Fahrbahn ins Schleudern und kollidierte mit hohem Tempo in eines der parkenden Autos am Straßenrand. Die Menschen, die eben noch im Theater saßen, waren völlig überfordert mit der Situation. Entsetztes Gemurmel und wilde Diskussionen setzten ein und die ersten rannten panisch davon. Einer brachte es schließlich auf den Punkt, als er laut brüllte, dass es die Strahlenwolke aus Russland sei und den Krieg, die Kommunisten, die amerikanischen Kriegstreiber und die ganze Welt verfluchte. John begann nun alles zu realisieren, wusste aber nicht, was zu tun war. Nach Hause könnten sie nicht, der Weg wäre viel zuweit zu laufen und unter diesen Umständen auch zu gefährlich. Doch konnte er sich darum jetzt nicht kümmern, Silvia fing an zu weinen. Er hielt sie an den Schultern fest und redete ihr beschwichtigend sekundenlang ein, dass sie es schaffen werden. Tränen vergießend klammerte sie sich an ihm fest, gleichzeitig flüsterte sie ihm ins Ohr, dass sie nur mit ihm zusammen sterben wolle.
    „Versprich mir, dass wir zusammen die Reise in den Himmel antreten.“ flehte sie weinerlich.
    Als er es ihr versprach, schien sie sich zu beruhigen, denn sie schluchzte nur noch. Scheinbar fand sie sich mit ihrem Schicksal ab. John aber nicht. Einfälle, er brauchte jetzt realistische Einfälle. Noch immer standen die meisten Theaterbesucher vor dem Eingang des Spielhauses, ohne zu wissen, wohin sie gehen sollten. Nach einigen Minuten des Grübelns näherte sich ein älterer Herr dem verzweifelten Paar. Er stellte sich als Herr Alexjewitsch vor. Scheinbar war er mit seiner Tochter bei dem Stück gewesen, denn ihn begleitete eine junge Dame, höchstens 25 Jahre alt und sah ebenso ängstlich aus wie die beiden.
    „Hier um die Ecke habe ich mein Auto geparkt“ sein harter russischer Akzent verriet, dass er noch nicht lange in Deutschland lebte „mit dem kann ich Sie zum Alexanderplatz bringen.“
    Irritiert fragte Silvia, warum er sie ausgerechnet zum Alexanderplatz bringen wollte.
    „Ich sage Ihnen warum. In Russland wurden die meisten Metros so gebaut, dass sie auch als Luftschutzbunker dienen können. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass Moskau den Erdboden gleich gemacht wurde. Auf jeden Fall kann ich Ihnen nur empfehlen erstmal in die Ubahn abzutauchen. Zwar wurde die Berliner Untergrundbahn nicht so tief in die Erde getrieben, doch sollte dort die Strahlung nicht so hoch sein wie hier oben. Es ist die einzige Chance fuer Sie beiden.“
    Er schaute auf Silvias Bauch.
    „Vielleicht sogar fuer Sie drei.“ grinste er und gab der schwangeren Frau neuen Mut. Hoffnung zu überleben. Die Bilder wie sie mit John zusammen sterben würde, verschwammen. Sie wollte mit ihrem Mann weiterleben und dem kleinen Geschöpf in ihrem Bauch eine Zukunft geben.
    Nachdem John fragte, ob er mit in die Ubahn steige, verneinte der Herr.
    „Ich setze Sie und meine Begleiterin nur ab. Ich fahre dann weiter zu meiner Frau und meiner Familie und versuche diese noch zu retten.“ Als Alexjewitsch dies aussprach, bekam seine Begleiterin noch mehr Angst und auch Wut schien sich in ihren Augen zu spiegeln. Sie versuchte ihn ebenfalls zum Abtauchen zu überzeugen. Seine Familie sei verloren, er solle der Wahrheit ins Gesicht sehen und mit ihr gehen. Mit ihr zusammen ein neues Leben anfangen, wie sie es schon seit Monaten planten. John und Silvias Retter gab der Frau eine Ohrfeige und verbat ihr über den Tod seiner Familie so zu spekulieren. Als sie weglaufen wollte, packte er sie und nahm sie über seine Schulter. Das Quartett hatte nun die volle Aufmerksamkeit der anderen Theaterbesucher.
    „Glotzt nicht so ! Fangt lieber an euch zu retten !“ schmetterte der Russe den Menschen entgegen. Nun begriff so langsam jeder den Ernst der Situation. Die Menschen verteilten sich, rannten davon.
    Mit eiligen Schritten begaben sie sich zum Auto und Natalie, so sprach Alex seine Begleiterin an, schlug immer wieder wütend ihrer mindestens 20 Jahre älteren Affäre auf den Rücken. Am Auto angekommen beruhigte sie sich jedoch wieder und sah ein, dass die Ubahn ihre einzige Rettung war. Der Wagen sprang erst beim dritten mal an. Es war ein nobler BMW gewesen. Doch was brachte einem jetzt noch der Nobel? John hielt nicht viel von Bonzen die mit ihrem Luxus prahlten, doch in diesem Moment war es ihm egal. Hauptsache er und seine Frau wären gerettet. Auf der Otto-Braunstr. mussten sie vielen verlassenen Autos ausweichen. Auch panische Menschen sprangen und liefen überall herum. Einen erwischte der Russe frontal. Hoch flog der Körper über den BMW hinweg.
    „Wollen Sie nicht anhalten und ihm helfen?!“ fragte Silvia entsetzt.
    Alex drehte sich nicht einmal herum „Keine Zeit, heute ist jeder auf sich allein gestellt“ antwortete er nüchtern. An der Kreuzung zur Mollstr. versperrten zwei stehen gebliebene Straßenbahnen die rechte Spur zum Alex. Also mussten sie im Slalom fahren. In der Mitte der großen Straße zeichneten sich die Fahrspuren fuer den Tunnel, der die Kreuzung Otto-Braun mit der Memhardtstr. unterquerte. Eigentlich mussten sie dort nicht durchfahren, sondern auf die rechte Spur wechseln, doch diese war so voll gestopft mit verlassenen Autos, dass ihnen nichts anderes übrig blieb. Damit würden sie jedoch an den Ubahneingängen am Alex vorbei fahren.
    „Planänderung. Ich schmeiße sie am Spittelmarkt raus. Der liegt auch auf den Weg.“ sagte Alexjewitsch und zündete sich dabei eine Zigarette an.
    Wieviel Ruhe hat denn dieser Mensch, fragte sich John. Er sah sich darin bestätigt, dass jeder Mensch zwei Seiten hat. Der Russe war aufrichtig und nett, ja er rettete scheinbar sogar ihr Leben. Wenn man sich ihn mit seiner Familie zusammen am Tisch vorstellte, würde man meinen, sie seien die perfekte Familie. Der Mann, der es in seiner Karriere weit gebracht hat, tat alles dafür, dass sie den größt möglichsten Luxus besaßen und seine Kinder eine gute Schule besuchen konnten. Dazu die aufopferungsvolle Frau, die die Kinder hütete und ihren Mann immer unterstützte. Eine Familie wie sie sich auch Silvias Eltern gewünscht haben. Doch jeder hat seine Geheimnisse, eine schlechte Seite sozusagen. So auch Alexjewitsch, dessen Frau vermutlich nichts von ihrer Rivalin wusste. In den schwersten Stunden der Menschheit vergnügte er sich mit seiner Geliebten, während seine Familie einen starken Mann gebraucht hätte, der sie führte. Doch er, das Familienoberhaupt, war nicht da. Als das Unglück ausbrach fraßen ihn offenbar genau diese Gewissensbisse wie Gift, das Gehirn auf und er musste sich entscheiden. Entweder er rettete seine geliebte Familie oder überließ sie ihrem Schicksal und flüchtete mit Natalie. John hätte zu gerne gewusst, was Alex jetzt fühlte und dachte. Wahrscheinlich entschied er sich sofort für seine Familie, als er begriff, was vor sich ging. Für diesen Entschluss bewunderte ihn John. Der Russe hätte einfach mit seiner Geliebten abhauen können und würde sich nicht in Lebensgefahr begeben. Doch Natalie musste einsehen, dass sie nur seine Gespielin war, ein Zeitvertreib um den öden Arbeits- und Familienalltag zu entkommen, stellte John fest.
    Ein scharfes Manöver des BMW riss ihn aus seinen Gedanken. Silvia nahm seine linke Hand und drückte sie fest. Sie hatte immer noch sehr große Angst. Natalie fing wieder an mit ihrer Affäre zu streiten, erneut versuchte sie ihn davon abzubringen, seine Familie zu retten. Doch er antwortete nicht und konzentrierte sich auf die dunkle Straße. Mit hohem Tempo fuhren sie aus der Unterführung, rechts von ihnen sah John das Rote Rathaus vorbei fliegen, dann ohne weitere Hindernisse passierten sie die Fischerinsel und hielten an der U-Bahnstation Spittelmarkt an. John und Silvia stiegen aus, hingegen machte Natalie keine Anstalten das Auto zu verlassen. Laut stritten sich die beiden Russen. Alexjewitsch riss seine Tür auf, ging an der Motorhaube vorbei auf die andere Seite und zerrte sie grob aus dem Wagen. Natalie klatschte ihm eine, spie ihm ins Gesicht und rannte Richtung U-Bahn. Ihm schien das alles überhaupt nichts auszumachen. Ruhig setzte er sich wieder hinters Steuer. John ging auf die Fahrerseite zu und Alex ließ die Fensterscheibe automatisch runterfahren.
    „Ich wollte mich bei Ihnen, bedanken. Vermutlich wären wir ohne Sie immer noch vor dem Theater und wüssten nicht wohin.“ stammelte John.
    „Gar kein Problem. Wissen Sie, ich habe Sie beide mit genommen, weil sie diese schwere Situation gemeinsam bestreiten wollten. Das sah ich sofort. Ein junges verliebtes Paar, jenes demnächst sogar ein Kind erwarten würde. Sie schienen so glücklich, weil sie sich selbst hatten, trotz des nahen Todes. Dieses Bild erweckte Erinnerungen an meine Frau und mich. Damals hätten wir auch jede Hürde gemeinsam genommen. Wir waren so glücklich wie sie beide.“ Er stockte und schien in die glückliche, jedoch längst vergangene Zeit zu reisen.
    „Ich habe Vielleicht den größten Fehler meines Lebens gemacht, als ich heute morgen aufstand und noch ein letztes Abenteuer mit Natalie suchte. Jetzt verliere ich vermutlich meine Familie. Vielleicht ist es Schicksal. Doch für sie beiden besteht noch eine Chance. Ergreifen Sie sie.“ erklärte der Russe mit Wehmut. Dann wurde sein Blick wieder ernst. Der scheinbar immer alles nüchtern betrachtende Alex meldete sich nun wieder zu Wort.
    „Hören Sie zu, die Menschen werden in den nächsten Tagen wieder nach oben gehen, weil sie denken, alles sei in Ordnung. Folgen Sie denen nicht. Nichts ist in Ordnung. In Russland sind wir oft solche Szenarien durchgegangen. Strahlung kann Wochen, Monate sogar Jahre mehr als gefährlich und tödlich sein. Wenn Sie hoch gehen, sterben Sie vermutlich. Warten Sie, bis eine staatliche Behörde Sie von da unten holt. Auch wenn es Monate dauern könnte.“
    John erschrak. Monate? Wie konnte er das meinen? Er wollte die Geburt seines Sohnes nicht in der U-Bahn erleben, sondern ganz normal in einem Krankenhaus. Er wollte seinen Sohn nicht in der U-Bahn großziehen, sondern ganz normal in einer von Silvia liebevoll eingerichteten 3-Zimmer Wohnung am Rande Berlins. Er wollte seinem Sohn nicht erklären, was Himmel und Sterne waren, sondern sie ihm zeigen und geheimnisvolle Geschichten um diese Ranken. Er wollte seinem Sohn nicht zeigen, wie man auf Gleisen balanciert, sondern ihm das Fahrrad fahren und schwimmen beibringen. Ein Räuspern des Slawen ließ diese Gedanken wieder verschwimmen.
    Verzweifelt wollte John wissen, woher er diese Informationen hatte.
    „Wie gesagt, wir Russen können solche Szenarien dank etlicher Übungen gut einschätzen. Und mein Beruf trägt sein übriges dazu. Doch genug geschwatzt. Sie und ich haben wenig Zeit. Sie müssen sich leider mit dieser einfachen Antwort zufrieden geben: Ich weiss es halt.“
    John schaute kurz flüchtig auf die Uhr des BMW, was Alex bemerkte.
    „Ja, merken Sie sich die Zeit und den Tag. 5. Juni 23:23Uhr, der Zeitpunkt, an dem Ihr neues Leben beginnt. Eigentlich glaube ich nicht an das Schicksal. Aber vielleicht war es eben jenes, welches uns zusammenführte, ihr Leben rettete und mir den letzten Antrieb gab, meine Familie nicht im Stich zulassen..Und man weiß nie, eventuell führt uns dieses noch einmal zusammen. Genosse John, wir müssen uns jetzt verabschieden. Ich wünsche Ihnen viel Glück.“
    Die Scheibe fuhr wieder langsam hoch.
    „Ihnen und ihrer Familie auch!“ sagte John schnell, bevor die Scheibe sich komplett zuzog. Dankend erhob Alexjewitsch die Hand und raste in der Dunkelheit davon.
    Silvia stand nur zwei Meter von John entfernt und hörte alles mit. Wieder erhellte sich der Berliner Himmel und Sekunden später folgte der Donner. Ihre beiden Hände umschlossen sich zu einer gemeinsamen Faust und ihre Angst wich. Das Chaos wich aus ihren Gedanken und zusammen gingen sie die dunklen Treppen der U-Bahnstation hinunter. Der „Kennenlerntag“ ging anders aus, als wie von John geplant. Trotz der Umstände grinste er: Der Sonnenaufgang war nun für den Arsch. Unten am Bahnsteig huschten schnell und wirr Handylichter umher. Geweine und Geschluchze wurden laut, doch für das verliebte Ehepaar erloschen alle Geräusche. Alex hatte Recht. Das Schicksal schreibt seine eigenen Geschichten. Auch die von John und Silvia. Und vor allem hatte er recht, als er meinte, dass sie sich hatten. Silvia und John würden wieder ein neues Leben beginnen. Doch zusammen. Im flackern der Handyleuchten schauten sie sich an, umarmten sich und küssten sich zärtlich ....

  3. #3
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    2. Kapitel, "Die Sammler"

    Juli 2033, Berlin

    Erst ein Liedschlag, dann zwei und drei, dann blieben seine Augen auf. Er lag auf einer Matratze in einem mit Zeltplanen abgetrennten Raum, wie es sie damals auch im Krankenhaus gab, wenn ein Patient besonders viel Ruhe benötigte. Hier in der U-Bahn jedoch teilten diese elastischen Planen Wohnräume oder Zimmer voneinander. Er befand sich an der Kehrgleisanlage von der Station Pankow. Er fuhr sich mit der rechten hand durch seine kurzen blonden Haare, gähnte und richtete seinen Oberkörper auf. In der kleinen Komode neben der Matratze verwahrte er seine Wasserflasche, welche er heraussuchte. Mit einem Zug leerte er die ganze PET-Flasche, denn nach seinem gestrigen Oberflächenbesuch quälte ihn ein dauerhafter Drang nach Flüssigkeit. So ausgedorrt wie seine Mundhöhle mussten damals die Wüsten der Sahara sein, wie manche alten Veteranen erzählten. Er entspannte sich wieder und legte den Oberkörper zurück auf die harte Matratze, schloss seine Augen erneut und dachte an die heutige Rückkehr zum Senefelderplatz nach. Es würde kein leichter Weg sein, den seine Gruppe zurücklegen musste. Denn ab der Vinetastr. wechselte die U-Bahn auf eine Hochbahntrasse, vorbei an der Schönhauser Allee und der Eberswalderstraße bis kurz vor dem Senefelderplatz. Die Alten sagten, früher hätte man für dieses eigentlich kurze Stück mit der funktionierenden U-Bahn nicht mal ganze zehn Minuten gebraucht. Doch in der neuen, harten und rauhen Welt wurde es zu einer gefährlichen Odysee. Sobald sie die hermetischen Schutzräume und Tore an der Vinetastr. hinter sich ließen, könnte jeder weitere Meter den Tod bedeuten. Zum einem war Sommer und dank der atomaren Strahlung wurde die Ozonschicht so in Mitleidenschaft gezogen, dass die Sonne noch kräftiger die Oberfläche mit Wärme versorgte. Fast 50 Grad im Sonnenschein waren keine Seltenheit. Zum anderen hat sich, was die Lebewesen angeht, an der Oberfläche einiges geändert. Menschen mutierten zu Zombies, deren Hunger nicht mehr nach Wissen und Glück gierte, sondern einzig und allein nach Fleisch. Spatzen, waren sie damals noch kleine friedliche Vögel, waren nun viermal so groß und attackierten ihre Beute mit ihren schmerzvollen Schnäbeln. Am schlimmsten war es bei den Insekten. Sie hatten nun die Ausmaße eines Dackel. Ständig mussten sie sich bei ihrem Weg an der Oberfläche vor Chitinpanzern fürchten. Jahrtausende war der Mensch der überlegende Jäger. Doch nun waren sie es, die gejagdt wurden.
    Es würde wieder zu einem Marsch des Überlebens werden. Und dann hatten sie noch Kevin dabei, was alles noch schwerer erschienen ließ. Ein normaler menschlicher Körper, der der Strahlung überhaupt nicht wiederstand, während er, ein Sammler, es knapp über eine Stunde an der Oberwelt aushalten konnte. Früher als Kind dachte er immer, es sei selbsverständlich, jeder könnte es. Doch sein Ziehvater, Bruder Johannes von der Kirche, klärte ihn auf: Als damals die atomare Giftwolke Berlin erreichte und alle schwangeren Frauen die verstrahlte Luft inhalierten, veränderte sich scheinbar kurze Zeit später darauf schon die DNA der noch nicht geborenen Baby's. Doch das fanden die Menschen in der U-Bahn nur durch einen Zufall herraus. Ein kleiner Junge, höchstens 5 Jahre alt, war spurlus verschwunden. Die ganze Station suchte den Vermissten und seine Eltern waren mehr als verzweifelt. Er war zwar nur eine Stunde verschwunden, doch in der U-Bahn wusste man nie welchem Gesindel man gegenüberstand. Als der Junge wieder auftauchte fragte man ihn wo er geblieben war. Er konnte es nur mit seinen Fingern beschreiben, denn er war durch die Genveränderung von Geburt an Stumm. Seine Beschreibung führte über Seitenräumen im Tunnel, über Luftschächte bishin zur Oberfläche. Doch alle wussten, dass man es nicht länger als zehn Minuten oben schaffte, ehe man verrückt durch die Strahlung wurde. Dieser vermisste Junge, war er selbst.
    Dieser Zwischenfall sprach sich in der U-Bahn so schnell wie ein Lauffeuer herum. Innerhalb einer Woche war die Generation geistlich oder körperlich behinderter Atomwolkenkinder mehr Wert als 10 normale Leben. Der zu der Zeit erst kürzlich gegründete kirchliche Orden machte sich dies zu nutzen und erklärte diese Geschöpfe persönlich von Gott gesegnet. Die Kirche hatte eine Menge Zulauf von hoffnungssuchenden Menschen. Da spielte es ihnen zu, dass verstrahlte Kinder bis zu einer Stunde die Oberfläche erkunden können. Zwar nicht sofort, doch sie würden älter werden und die Zukunft würde es bringen. So kam es, dass die Kirche 2013 mit dem Einfangen von Strahlenkindern anfing. Immer in heiliger Mission und dem Menschen zugute. Hunderte Kinder wurden ihren Eltern beraubt und in die Kirchenstationen gebracht. Auch Jan wurde seinen Eltern weggenommen. In Gottesglauben wurden sie erzogen und der Wille Gottes sei es, dass sie an die Oberfläche gehen und sammeln. Gerade einmal zehn war er, als er seinen ersten Sammlerauftrag bekam. Alles musste beschafft werden: Metall, Stahl, Elektronik, Luxusgüter, Lebensmittel und noch mehr. Und dieser ganze Kram wurde für viele U-Bahnmünzen weiter verschachert, denn andere Stationen besaßen kaum noch Sammlerkinder. Doch was die Kirche nicht bedachte war, dass jene Kinder mit wachsendem Alter unbequeme Fragen stellten oder heimlich für sich Aussagen überprüften und hinterfragten. Zwar taten das nicht alle, weil ihre geistige Behinderung es nicht zuließ eigene Schlußfolgerungen zu finden, doch manche sahen ihr Vertrauen in ihre Ziehväter missbraucht. Denn eigentlich ging es der Kirche nur um Macht.
    Er selbst tat das auch nicht mehr aus der Überzeugung zu Gott. Die Bezahlung stimmte einfach.
    Für seine Behinderung, nicht sprechen zu können, dankte er Gott. Viele andere Sammlerkinder hatte es schlimmer erwischt. Überall Beulen, verkrüppelte Gliedmaßen, Intelligentquozient eines 12 Jährigen. Ihm hingegen fehlte nur die Stimme. Allerdings glaubte er nicht mehr an die Sammlermission, dass es Gottes Wille sei, nur vor der Kirche musste er so tun als wäre es wirklich seine Bestimmung.

    Während er so da lag und mit den letzten Gedanken fast wieder eindöste, hörte er aufeinmal wie der Reißverschluss seiner Zeltplane herunter gezogen wurde. Der allgemeine Kodex verbot es unaufgefordert ihn selbst von außen zu betätigen. Erschrocken fuhr er wieder mit seinen Oberkörper auf, doch es war zu spät, die schlanke Silhouette schob sich bei schwachem Licht in den Eingang. Als er die Person musterte wurde er rot. Noch nie hatte er so einen Blick auf eine Frau werfen können. Sie war hoch gewachsen, hatte lila Haare und eine enge rosa Korsage die ihren Busen aufpuschte, dazu einen rosa String verbunden mit einer lila Nylonstrumpfhose. Ihr Gesicht war schlank und stark geschminkt, wobei auch hier wieder die Farbe lila hervorstach. Sie hatte eine warme Stimme, die sein Herz höher schlagen ließ.
    “Du bist Jan der Sammler, habe ich Recht?” fragte sie sanft und weich. Er vermochte nur zu nicken.
    “Klaas schickt mich. Ich bin deine Belohnung.” Langsam und gekonnt schnürte sie ihre Korsage los von ihrem Körper. Sein Bauch kribbelte, als wäre eine Horde Ameisen in diesem gefangen. Doch er schüttelte seinen Kopf und bevor sie ihr Oberteil ablegen konnte, kritzelte er mit einem Bleistift auf seinen Notitzblock, >>Verstehen sie mich nicht falsch, doch ich lehne diese Art der Belohnung ab.<<
    Die gespielte Freundlichkeit wich von ihrem Gesicht und zeigte Verachtung, “Sehr schön, dann bleibe ich wenigstens verschont mich einem behinderten Sammlerkind hinzugeben.” sagte sie herabfällig. Von der Wohnzelle nebenan vernahm man ein leises Stöhnen. Scheinbar bekam Thorsten, ein Mitglied von Jans Sammlertruppe, dieselbe Belohnung. Die Frau in Lila ging an die Zeltwand, hielt ihre Hände wie ein Sprachrohr an ihren Mund und rief begeistert “Hey Sophia, viel Spaß!” danach lachte sie kurz und fügte hinzu, “Mein Krüppel möchte keine Belohnung!”
    Mit einem kurzen höhnischen Blick musterte sie nocheinmal Jan und verschwand aus seiner Schlafstätte. Ihm wurde heiß und kalt. Wut und Ärger erkämpften sich den Weg in sein Bewusstsein. Dieser verdammte Klaas, dachte Jan. Gestern hatte er seinen Arsch für den Stationsleiter von Pankow riskiert, nur um ihn eine dämliche Weinflasche zu besorgen. Hundert mal hatte er Klaas erklärt, dass es an der Oberfläche gefährlicher geworden ist, diese Zombies die Nähe der Sammler spürten und in den letzten Jahren noch aggressiver geworden sind. Jetzt dachte Klaas allen Ernstes, eine Runde käuflicher Sex würde als Dank reichen? Zuallem Überfluss wusste der Stationsleiter, dass er und seine Tochter Elisabeth sich ineinander verguckt hatten. Doch er wollte eine Beziehung verhindern. Seine Tochter sollte keinen Sammler heiraten, sondern einen normalen Mann. Je länger er darüber nachdachte, desto wütender wurde er. Nur weil seine Stimme stumm blieb, war er noch lange kein Krüppel! Eilig nahm er sich wieder den Bleistift und den Notitzblock, schrieb einige Seiten voll und packte alles in seinen Rucksack. Danach richtete er seine Schlafstätte wieder ordentlich her, schließlich war er nur Gast. Das Gestöhne im Nebenraum wurde für ihn immer lästiger. Nocheinmal ließ er den Blick durch die Räumlichkeiten streifen um nichts zu vergessen. Alles dabei, dachte sich Jan und verließ sein Quartier. Plane an Plane reihte sich draußen aneinander und grenzte die Wohnflächen voneinander ab. Die ehemaligen Schienen waren herausgerissen und dienten nun zur Verbarrikadierung der Ausgänge an die Oberwelt, um jegliche Mutanten abzuhalten die Station zu plündern. Die Luft war gefüllt von dem Geruch frisch gebratener Pilze und Hühnerfleisch. Pankow war eine der einzigen Stationen die mehr als nur Pilze, kleine Meerschweinchen und Ratten anbauten und domestizierten. Das machte das unabhängige Pankow auch so reich. Sie verkauften ihr Hühner- und Schweinefleisch, ihre Kartoffeln und anderes Knollengemüse an das große U-Bahnnetz. Selbst Tomaten wuchsen in manchen Monaten. Verdanken konnten sie dies Jan und seiner Sammlertruppe. Vor zehn Jahren, als man entdeckte, dass sich in den Stationen Vinetastraße und Pankow ebenfalls Überlebende retten konnten, waren Jan und sein Team erst der zweite Sammlertrupp, der jemals in Pankow eintraf und Nahrungsmittel brachte. Die beiden Stationen waren in einem desolaten Zustand. Klaas erzählte ihnen damals von einem Notstromgenerator in dem nicht weitentfernten Krankenhaus Maria-Heimsuchung und bat sie ihn zu beschaffen, da der Strom von der U-Bahnnotbeleuchtung demnächst den Geist aufgeben würde. Ihr Schicksal wäre damit besiegelt gewesen. Damals tat es Jan aus Nächstenliebe und Mitleid. Diese armen Menschen durften nicht sterben. Es war ein schweres Unterfangen, doch letztendlich gelang es ihnen und sie konnten den Generator beschaffen und sogar anschließen. Seit je her ist Pankow ständig im Aufschwung. Der Generator hat soviel Kraft und zwei Stationen verbrauchen nicht so viel Strom, wie es zum Beispiel bei der großen U-Bahn der Fall ist. Dadurch ließ es sich ermöglichen kleine Gewächshäuser mit Hilfe des Grundwassers zu errichten und gute Landwirtschaft zu betreiben. Während man in den meisten anderen Stationen lediglich Ratten, Meerschweinchen-, bestenfalls Katzenfleisch, wirre Pilz- oder komisch anzusehende Wurzelgemüsekreuzungen verspeiste, lebten man hier wie im Schlaraffenland.
    Nur in wenigen Zelten brannte schummriges Licht, scheinbar war der “künstliche” Tag angebrochen. Das bedeutete, dass das Stationslicht heller gedreht wurde, damit der menschliche Organismus nicht vollkommen die Orientierung verlor. Die Kehrgleisanlage diente als Wohnstätte der Pankower, während die Station zahlreiche Manufakturwerkstätten beheimatete und in dem Tunnel, zwischen Pankow und Vinetastr., reihte sich Bauernhof an Bauernhof. Die Nahrungkammer der Berliner U-Bahn. Täglich kamen Sammlertruppen und tauschten massenweise technische Geräte gegen Lebensmittel. Pankow und die Kirche verdienten sich daran eine goldene Nase. Doch auch Rohstoffe verwandelten die Pankower zu qualitativer guter Endware. Sie besaßen die größte Waffenwerkstatt der U-Bahn. Von einfachen Messern, über Äxte bishin zu MG's stellten sie allerhand tötliche Gegenstände her. Sollte Jan nicht mehr als Sammler fungieren, wollte er auf jeden Fall hier zur Ruhe kommen. Auch wegen Elisabeth. Elisabeth! Seine Gedanken fokussierten sich wieder auf Klaas und das Geschriebene auf dem Notizblock

  4. #4
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    Mit eiligen Schritten ließ er Zelt für Zelt hinter sich. Kurz bevor die Station begann und sich auf den Bahnsteig Menschen wie emsige Ameisen tummelten, befanden sich die ehemaligen Diensträume der Berliner Verkehrsgesellschaft. Nun hatte Klaas dort sein Verwaltungsbüro und sein Heim. Jan stieg eine kleine Holztreppe hinauf. Vor dem Büro stand ein junger Wachmann in einer alten blau gelben BVG-Uniform. Dieser nickte Jan zu, als er ihn kommen sah. Jan tat es ebenso und hielt ihn den Notiblock vor das Gesicht. >>Ich muss dringend zu Klaas.<< stand dort in schnörkeliger Schreibschrift geschrieben.
    Der Wachmann ließ es leise vor und schaute dann Jan in die Augen.
    “Der Cheffe kommt erst in einer Stunde. Er inspiziert die Werkstätten und verhandelt mit Sammlern von der Kommunistischen Union.”
    Auf seinen Gesicht erkannte Jan Denkfalten und gerade als er schreiben wollte, worüber er nachdachte, schien der Wachmann eine Entscheidung gefällt zu haben, “Eigentlich darf niemand in dem Büro warten, aber ich weiß wie sehr dir Klaas vertraut. Ich mach da mal ne Ausnahme.” Aus seiner Tasche holte der junge Bursche einen Schlüssel und öffnete die Tür.
    “Mach es dir bequem.Wenn Klaas auftaucht, sag ich ihm bescheid. Kannst dir auch n warmen Tee machen. Du weißt ja wo der Kocher steht.” Jan trat alleine in das kleine Büro ein. Es war in Giftgrün gestrichen, wobei einige Wandpartien schon abblätterten. Auf der linken Seite befand sich ein Regal, das mit diversen Ordnern und Büchern vollgestopft war. Zu seiner linken gab es eine Art kleinen Nachtschrank, auf dem ein Kocher gespeist mit Diesesl stand und vor ihm befand sich ein alter Schreibtisch aus Holz. Dazu auf beiden Seiten zwei Stühle, die scheinbar aus einem Schulgebäude stammten. Bequem war es auf diesen Sitzgelegenheiten nie. Schaute er auf die andere Seite des Zimmers, sah er eine leicht eingebeulte Stahltür marke Eigenbau. Der Eingang zu Klaas und Elisabeths kleinem Wohnbereich. Immerhin mussten sie nicht in Zelten schlafen. Den Rucksack stellte er auf einen Stuhl und er setzte sich auf den anderen daneben, mit dem Blick auf die Stahltür gerichtet. Vielleicht war ja Elisabeth Zuhause? Sollte er anklopfen? Nein, soetwas traute er sich nicht. Aber was wenn doch? Das wäre die erste Möglichkeit mit ihr alleine zu sein. Sie könnten das aller erste mal alleine eine Konversation führen und Blicke austauschen, die mehr als nur ein “Ich mag dich” aussagen würden. Nein, nein, nein. Eventuell interpretierte er auch zuviel in ihre Blicke. Er musste sich ablenken. Was meinte der Wachmann? Sammler der KU? Wie kann das sein? Sie hätten eine weite Reise auf sich genommen, denn ihr Reich erstreckte sich vom Fehrbellinerplatz über die ehemalige U3 bis zum Wittenbergplatz. Auch der Zooligische Garten, bis zur Bismarkstr., sowie die Berlinerstr., entlang der alten Tunnel der U7, bis zur Bismarkstr. Gehörten dazu. Man sprach auch vom Kommunistischen Dreieck. Das war weit im südwesten von Berlin und Pankow lag im Norden der ehemaligen Hauptstadt. Die schnellste Route war über die U2, jedoch spätestens an der Klosterstr hätten sie Probleme bekommen, denn diese gehörte zu den Vereinigten Stationen von Germania und beide Fraktionen hassten sich bis aufs Blut. Also hätten sie einen Umweg über den Hermannplatz machen müssen, um dann der ehemaligen U8 bis zum Alexanderplatz zu folgen. Der Alexanderplatz gehörte zum Bund freier Handelstationen und damit war er für alle Fraktionen frei begehbar. Zumindestens an den Bahnsteigübergängen und der alten unterirdischen Ladenpassage, die ebenfalls die Linien verband. Denn zwei der drei Bahnsteige wurden ebenso von den Fraktionen annektiert. Der U2 Bahnsteig gehörte der Kirche und der U5 Bahnsteig Germania. Lediglich der Bahnsteig der U8 gehörte zum “Freien Alex”. Diese verzwickte Aufteilung des Alexanderplatzes spülte aber etliche Zollgebühren in die Kassen der Bahnsteigbesatzer. So musste man zweimal Zoll zahlen, wenn man von der U8 auf die Linie U2 oder U5 wchseln wollte. So wollte auch niemand der Mächte dieses Stationschaos beenden und den Alex vereinigen. Trotz aller Widrigkeiten, die die Menschen in der U-Bahn über sich ergehen lassen mussten und müssen, hat sich eines nicht geändert: Geld regiert die Welt.
    Hätten die Sammler der Kommunistischen Union, diesen riesen Umweg bewältigt, so mussten sie danach auf dem Linienstück Alexanderplatz – Senefelderplatz reisen. Doch die Kirche hätte niemals eine Erlaubnis erteilt, die Sammlergruppe dann über die Hochbahntrasse nach Pankow gehen zu lassen. Wie verdammt nochmal kamen sie hierher? Völlig in Gedanken verloren starrte Jan auf die Stahltür ihm gegenüber, die sich aufeinmal mit einem leisen quietschen öffnete. Alles woran er eben noch dachte, wurde mit einem Wisch gelöscht und sein Gehirn programmierte sich neu. Es fing an, sachlich zu analysieren, wer da gerade hineinkam, doch sein Herz machte dem ganzen Prozess einen Strich durch die Rechnung, fing wild und unkontrolliert an zu schlagen. Dann sah er sie vor sich. Lange blonde gelockte Haare, die wie ein Goldrahmen ihr bildhübsches Gesicht umgaben. Ihre Haut war blass und rein. In einigen Büchern hatte Jan Engelsbilder gesehen, und ihr Gesicht kam das der Engel sehr gleich, obwohl sie ungeschminkt war. Ihre weiblichen Reize nahm der Sammler bisher nie richtig wahr, doch heute trug sie ein einges gelbes Shirt mit kleinem V-Ausschnitt und darunter schloss sich eine enge schwarze Leggings an. So hatte er sie bisher noch nie gesehen. Vermutlich erwartete sie nicht, dass Jemand im Büro saß. Würde sein Körper die Funktionen der Stimme haben, wäre er jetzt sprachlos.
    Sie schien zuerst überrascht, lächelte dann aber schüchtern, “Oh. Hallo Jan. Ich wusste nicht, dass jemand hier ist. Ich wollte mir nur einen Tee kochen. Ich wollte dich nicht stören”
    Beim Klang ihrer Stimme wurde ihm heiß. Die der Prostituierten war warm und süß. Doch die von Elisabeth war heiß, jedoch nicht verbrennend. Sie war süß, Honigsüß, jedoch nicht klebrig. Sie war weich, weicher als jede Matratze auf der er jemals lag. Jedesmal verspürte er dasselbe wenn sie ihn anredete.
    Warum verdammt nochmal konnte er nicht sprechen? Würde sie dann dasselbe bei seiner Stimme empfinden? Vielleicht mochte sie es ja auch, wenn er schwungvoll den Stift über das Papier fliegen ließ. Würde er jedoch sprechen können, wäre die Konversation schneller, flüssiger. So zerissen sie jedes mal die Pausen, in denen er schrieb.
    Und solch eine Pause gab es genau in diesen Moment.
    >>Das ist garkein Problem, ich warte auf deinen Vater.<<
    Er überlegte. Es hat auch positive Seiten, nur per Schrift sich mitteilen zu können. Ein Gestotter gab es nicht, also würde man auch nie wirklich an der Sprache erkennen ob jemand nervös, ängstlich oder unsicher war. Jan schrieb nochmal was auf seinen Block, und er musste all seinen Mut zusammen nehmen. Er hatte warscheinlich nur diese eine Chance, alleine mit ihr zusein. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, dachte er.
    >>Du siehst heute..<< er radierte das letzte Wort weg. Verdammt! Ich stotter zwar nicht, doch verschreibe ich mich, ärgerte sich Jan.
    Geduldig schaute sie weiterhin ihm beim Schreiben zu.
    >>Du siehst schön aus.<<
    Elisabeth schob den Stuhl vor der Stahltür zurück und setzte sich. Dann tat sie etwas womit Jan nicht rechnete: anstatt zu reden nahm sie seinen Notitzblock der zu ihr gerichtet war. Dann musterte sie seine rechte Hand, in der der Bleistift lag. Vorsichtig ging ebenfalls ihre rechte Hand zur seiner und sie lotste feinfühlig den Bleistift aus seinem Griff. Tausend heiße Wogen überfielen ihn wie eine Flut. Der erste körperliche Kontakt, außer dem formalen Händeschütteln. Als der Bleistift frei war, schrieb sie ebenfalls.
    >>Du auch.<<
    Ihre blauen Augen leuchteten ihn an und hätte sein Körper aus Eis bestanden, wäre er komplett dahingeschmolzen.
    Sie legte den Bleistift neben Block und Jan drehte beide Gegenstände wieder zu sich.
    >>Bitte spreche. Das fühlt sich für mich besser an.<<
    Doch sie dachte garnicht dran und tat dasselbe wie Jan eben zuvor.
    >>Du weißt wie ich Klinge, ich jedoch habe mich bisher noch nie in deine Lage versetzt<<
    Immer wenn sie die beiden Sachen in Ihre Richtungen drehten, trafen sich ihre Blicke für zwei Sekunden. Er nahm seinen Mut zusammen. Sie war seine erste große Liebe. Er interessierte sich vorher nie für Frauen, war immer nur in seine Aufträge vertieft gewesen. Die Jahre der scheuen, aber keineswegs desinteressierten Blicke sollte vorbei sein.
    >>Du musst wissen, ich komme nicht nur wegen der Aufträge nach Pankow. Nicht wegen dem Geld. Es ist ein schönes Zubrot, doch die schönste Belohnung jedesmal ist die, dich zu sehen.<<
    Diesmal konnte er ihr nicht in die Augen sehen als er den Block drehte und ihr den Bleistift fast Blind reichte.
    Sie ließ sich für das Lesen dieser kurzen Sätze Zeit. Dann schaute sie ihn an und genau in diesem Moment schaute auch er hoch in ihre Augen. Zwei ... drei ... und aufeinmal vergingen 30 Sekunden in denen sie sich einfach nur in die Augen blickten. Dieser Moment sollte niemals enden, wünschte sich der Sammler.
    Sie nahm den Stift und schrieb.
    Kopfüber, dass hatte er schon vor Jahren gelernt, las er mit. Jan konnte nicht einfach abwarten bis sie die Schreibuntensilien drehen würde.
    >>Es ergeht nicht nur dir so. Ich spüre jedesmal deine Blicke, selbst wenn du mit meinen Vater redest und ich bin anwesend, scheinen deine Gedanken seit Jahren nur mich zu fokussieren. Immer wenn ich wusste, du würdest zu uns kommen bemerkte ich diese...<< Sie dachte nach. Vermutlich überwand sie nun ebenso eine Mauer. >>diese Schmetterlinge im Bauch. Und wenn du gegangen bist, verbreitete sich in mir ein kleines Loch. Ein Loch feuchter Tränen, die so gerne mit dir gegangen wären. Mein Vater hieß meine Gefühle nicht für gut. Doch im Inneren wusste ich, dass ich dich Lie...<<
    Mitten im Satz brach sie ab. Die Tür Richtung Bahnsteig öffnete sich mit einem lauten Schwung und knallte gegen die Wand.
    Der dicke Wanst eines Mannes, der circa mitte 40 war, schob sich durch den Eingang.
    “Hoppla, das war wohl zu viel Kraft.” sagte er mit tiefer amüsierter Tonlage. Klaas hatte Schweißperlen auf der Stirn. Er schaute erst zu Elisabeth und dann zu Jan. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde sein Gesicht ernst, doch gleich darauf wieder freundlich. Jan erkannte es sofort: falsche Freundlichkeit.
    “Ach hallo Jan. Hoffentlich war Leila nicht zu stürmisch mit dir. Du siehst aus, als hätte dir der Sturm der Liebe echt zugesetzt!” Er lachte schallend und klopfte ihm auf die Schulter und betrachtete dabei wie Elisas glücklicher Gesichtsausdruck verblasste. Jan drehte den Kopf von Klaas zu Elisabeth und schüttelte diesen energisch. Ihre Hände fingen an zu zittern und ihre Augen wurden rot. Eine Träne floss ihr über die Wange und traf auf die Tischplatte.
    Er wollte alles erklären, ihr sagen, dass ihr Vater log und er diese Prostiuierte nie angefasst hat. Doch geschrieben Worte sind nicht so schnell wie gesprochene. Ihre flache Hand knallte auf den Notitzblock und krampfte sich zu einer Faust zusammen.
    “Worte verpackt, in einer gefühlslosen Hülle!” schmetterte sie ihm schluchzend entgegen, bevor sie sich erhob und wieder in den Wohnraum verschwand. Die Welt, die sich eben vor einigen Minuten für Jan in seinen Kopf aufbaute, zerfiel mit einem lauten scheppern der Stahltür. Sie war fort.
    Klaas schaute gespielt verwirrt zu Jan. “War wohl der falsche Moment.” analysierte er sarkastisch.
    Dann begab er sich auf den Stuhl wo eben noch Elisa saß. Könnten Blicke töten, wäre der Stationsleiter nun Tod zusammen gesunken, denn Jans Blicke sagten mehr, als tausend Worte. Wütend und zittrig sortierte der Sammler dann seine Notizblätter und fand jene die er für Klaas verfasst hatte. Mit einem geräuschvollen Schnaufen knallte er sie vor Klaas auf den Tisch.
    Der Raum war erfüllt von Hass und Abneigung. Dabei waren Jan und Klaas gute Freunde gewesen. Doch die nun offensichtliche Liebe zwischen dem Sammler und der Tochter des Vorsitzenden von Pankow sollte dies ändern.
    Langsam und leise für sich, las Klaas Wort für Wort. Seine Mundwinkel zogen sich immer weiter nach oben. Dann war er fertig und musterte Jan.
    “Ich dachte mir einfach nur, dass du mal eine andere Belohnung verdient hättest. Konnte ja keiner wissen, dass du hier sitzt und mit meiner Tochter Liebesbriefe schreibst.” Klaas blickte kurz hinter sich zur Stahltür und fuhr dann ernst fort, “Jan, für mich warst du immer ein guter Freund. Hast uns viel geholfen. Vielleicht hätte ich es dir ins Gesicht sagen sollen, da du ja scheinbar meine Gesten und Anmerkungen nicht verstanden hast oder nicht verstehen wolltest. Doch ich wollte dich nicht verletzen.
    Ich dachte du hast es gemerkt, dass ich nicht will, was du und Elisa für einander empfindet.
    Als guter Freund sage ich es dir jetzt klipp und klar: Lass deine Finger von meiner Tochter! Sie soll einen NORMALEN Mann ehelichen und NORMALE Kinder bekommen.Es ist nichts persönlich gegen dich. “
    Er räusperte sich, stand auf und bückte sich über den Tisch um Jans Augen ganz nah zu sein.
    “Wirklich Jan. Es tut mir leid für dich, dass ich das alles so beenden musste mir dir und meiner Tochter. Doch es gab keinen anderen Ausweg. Such dir ein Sammlermädchen von der großen U-Bahn.”
    Der Stuhl knarrte als sich der Stationsleiter wieder auf ihn setzte. Er wartete ab was Jan ihm schrieb.
    >>Du bist so ein Unmensch geworden. Nach allem was ich für dich getan habe, tust du deiner Tochter und mir soetwas an! Liebe lässt sich nicht aufhalten!<<
    “Aber zerstören. Jan ich möchte dich bitten, mich nur noch wegen geschäftlichen Dingen zu konsultieren.”
    Über mehr hätte Jan auch nicht mehr mit ihm reden wollen. Es würde keine gemeinsamen Abende mit Trunk und Witzen mehr geben.
    >>Was hat die Kommunistische Union mit Pankow zu tun?<<
    Klaas ließ wieder ein Grinsen über sein Gesicht huschen.
    “Wir halten uns Möglichkeiten offen.” war seine vage Aussage.
    >>Die Kirche wird das nicht gutheißen. Und sollte diese den Handel stoppen, seid ihr verloren.<<
    “Aber nur wenn sie es erfährt. Ich vertraue als Geschäftspartner natürlich auf deine Verschwiegenheit. Schau Jan, wir heißen Unabhängiges Pankow. Doch sind wir das? Nein, wir sind abhängig von der Kirche. Das müssen wir ändern.” Er zog eine selbsgedrehte Zigarette aus seiner Tasche und zündete sie sich an.
    “Wir sind die letzte Arche der Zivilisation. Wir haben genug Ressourcen um diese zu erhalten. Bei euch in der großen U-Bahn geht es drunter und drüber. Fraktionen hier, Fraktionen da und zwischen durch Banditen und Kriege...”
    Jan unterbrach ihn mit einer Handbewegung.
    >>Wie kamen sie hierher?<<
    Der Stationsleiter lächelte überlegen. “Das kann und darf ich dir leider nicht sagen.”
    >>Der Wohlstand und Luxus hat dir warscheinlich deinen Verstand vergiftet. Du hast zwar deine Arche, doch sie wird für immer und ewig auf dem Wasser treiben und niemals Land erblicken. Da wir ja nur noch Geschäftpartner sind, wie du ja eben meintest, und ich der Kirche diene, kann ich es nicht befürworten, dass du mit der KU verhandelst. Ich werde dies Entsprechen der Kirchenleitung mitteilen. Das Gespräch ist beendet<<
    Jan erhob sich und ging zur Bahnsteigtür. Kurz bevor er sie öffnete drehte er sich nocheinmal zu Klaas um.
    “Versteh doch, es geht um das Wohl der Menschen von Pankow!” Der Stationsleiter machte eine Pause, “Wenn es der Bischof erfährt, wirst du es bereuen. Das verspreche ich dir ” War das letzte was er sagte.
    Jan öffnete die Tür. Der Wachmann fiel ihm fast entgegen, doch konnte der sich gerade noch auf den Beinen halten. Klaas schaute ihn böse an.
    “Entschuldigung Cheffe.” fügte er schnell an und zog die Tür wieder von außen zu. Mitleidig guckte der Wachmann Jan an.
    “Sorry das ick gelauscht habe. Dit... Dit tut mir echt leid für dich Jan.”
    Der Sammler nickte nur, was bedeuten sollte: Schon gut.
    Sie gaben sich gegenseitig die Hände und verabschiedeten sich. Vielleicht für immer?
    Jan ging wieder zu den Wohnstätten und grübelte nach. Ja für immer, stellte er fest.

  5. #5
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    Hallo Cerche,

    ich habe deine Geschicht noch nicht ganz durchgelesen (werde ich heute Abend machen), aber die ersten Sätze gefielen mir schon sehr gut! Ich bin auch großer Metro - Fan, daher bin ich schon gespannt den ganzen Text zu lesen.

    Askare

  6. #6
    Spammer Avatar von Cerche
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    danke schoen Aber da ich bald Prüfung habe, hab ich noch nicht soviel weiter geschafft

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