Zehn Festplatten, fünf Computer, Dutzende Speichermedien: Nach dem Sturm auf Bin Ladens Unterschlupf stürzen sich nun Hunderte US-Geheimdienstler auf das Daten-Vermächtnis des Terrorchefs. Ermittler jubeln, sprechen von einer "Goldader" - und hoffen auf den nächsten Coup gegen al-Qaida.
Hamburg - Es ist ein explosives Vermächtnis, das der Terrorfürst der Welt hinterlässt: Nach den tödlichen Schüssen auf
Osama Bin Laden, die den Qaida-Gründer in Kopf und Brust trafen, durchsuchte das US-Sonderkommando in wenigen Minuten das Gebäude nach Informationen. Die
Elitetruppe Navy Seals beschlagnahmte eine Fülle an Datenmaterial, möglicherweise hochsensibel - dem US-Sender CNN zufolge insgesamt zehn Festplatten, fünf Computer, mehr als hundert Speichermedien wie USB-Sticks und DVDs und Tausende Dokumente.
Die Daten werden nun akribisch ausgewertet, denn nach Einschätzung von Sicherheitsexperten ist die Terrorgefahr auch nach dem
Ende des meistgesuchten Mannes der Welt weiter hoch. Die US-Geheimdienste hoffen deshalb auf neue Erkenntnisse über die Pläne von Bin Ladens Terrornetzwerk.
Das Material könnte sich als größter Datenfund seit dem
11. September 2001 erweisen, als die USA islamistischen Extremisten den Krieg erklärten. Richard Haass, Vorsitzender des amerikanischen Think Tanks "Council on Foreign Relations", triumphiert bereits im "Toronto Star", die zu erwartende Ausbeute sei spektakulärer als Bin Ladens Tod selbst.
"Goldader" an Informationen
Von einem "wahren Schatz an Informationen" sprechen auch US-Regierungsvertreter. Die Datenträger seien zunächst an einen geheimen Ort in Afghanistan geschafft worden, schreibt die Seite "Politico". Dort seien Hunderte Experten mit der Auswertung befasst. "Könnt Ihr Euch vorstellen, was alles auf Osama Bin Ladens Festplatte ist?", zitiert das Webmagazin einen Regierungsbeamten. Geheimdienstler in Washington seien begeistert. "Wenn nur zehn Prozent davon verwendbar ist, dann wäre das toll."
Noch ist unklar, wann und ob Informationen aus dem Material freigegeben werden. Was kann man überhaupt von dem Fund erwarten? Das "Wall Street Journal" zitiert Regierungsvertreter, die die Daten als "Goldader" bezeichnen - sie fahnden in dem Wust an Informationen nach Hinweisen auf vergangene und geplante Qaida-Aktionen, Terroranschläge, den Aufenthalt und die Identität von Top-Terroristen, Kommunikationsstrukturen oder Rekrutierungsprogramme.
Zudem erhoffen sich die Ermittler anscheinend auch Indizien zur Rolle Pakistans,
das unter Verdacht steht, Bin Laden bei seinem Versteckspiel unterstützt zu haben, und sich zunehmend den Fragen stellen muss, wie der Terrorfürst über Jahre unbehelligt inmitten des Landes leben konnte.
Spur zum nächsten Coup?
Auch sollen die Informationen die Jagd auf den Top-Terroristen
Aiman al-Sawahiri erleichtern, der nach Bin Ladens Tod dessen Nachfolge als Qaida-Führer antreten könnte. Die US-
Regierung sucht laut "Wall Street Journal" gezielt nach Kommunikationsspuren auf der Hardware - da die Bin-Laden-Residenz weder über Internet noch Telefon verfügte, so die Theorie der Ermittler, könnten USB-Sticks oder andere Speichermedien als Träger von verschlüsselten Botschaften gedient haben, die per Kurier ausgetauscht wurden.
Die Datensätze scheinen, so schreibt die Zeitung weiter, vollständig zu sein - Bin Laden sei zum Zeitpunkt des Zugriffs am Sonntagabend nicht damit beschäftigt gewesen, das Material zu zerstören. Allerdings sei unklar, ob Bin Ladens zahlreiche Angehörige, die sich ebenfalls in dem Haus aufhielten, Daten unbemerkt verschwinden ließen.
Der US-Sender CBS berichtet von Tausenden Akten, elektronisch und in Papierform, die schnell von FBI-Spezialisten in Quantico im US-Bundesstaat Virginia untersucht werden sollen. Für die Datenanalyse sei eigens eine Task Force der
CIA zusammengestellt worden. CBS zitiert einen Insider mit den Worten: "Wir setzen große Hoffnung auf diese Dokumente." Offiziell äußerte sich der US-Geheimdienst bislang nicht zum Fund.
John Brennan, Anti-Terror-Experte des Weißen Hauses, erklärte am Dienstag, man gehe davon aus, dass Qaida-Terroristen angesichts der Daten-Auswertungen alarmiert seien. "Wahrscheinlich arbeiten sie unter Hochdruck daran, sich neue Verstecke zu suchen." Das, so Brennans Hoffnung, würde sich letzten Endes nur zum Vorteil der Ermittler auswirken: Wer sich fortbewege, sei schließlich leichter zu enttarnen.