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    ME-FRPG only Avatar von Keel'o Vaelsha
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    <--- Nos Astra – Gewerbegebiete

    Unter anderen Umständen hätte es Keel’o gestört, dass das Trio ausgerechnet jetzt dorthin fuhr, was man mehr oder weniger als Stadtzentrum bezeichnen konnte, gleichwohl ja eigentlich ganz Illium eine einzige Stadt war. Es war viel auf den Straßen und den Flugtrassen los, hier und da entstanden Staus und Hupkonzerte, die Fußgängersteige waren ebenfalls recht voll und das ohnehin schon laute Nos Astra krachte und tobte noch mehr um sie herum. Es war Feierabendszeit. Das merkte man nicht nur in den noblen Vierteln der Stadt, sondern auch in den unteren Ebenen, die zwar nicht das waren wie die unteren Bezirke der Citadel oder die Slums der Erdmetropolen, jedoch für Illiums Verhältnisse das beherbergten, was man als niedere Mittelschicht bezeichnen konnte und dementsprechend wesentlich (legal) geschäftiger und vor allem weniger kriminell war als die Pendants der Citadel oder der Erde. Ladenbesitzer schlossen ihre Geschäfter, immer mehr der Bürobeleuchtungen erloschen und alles machte sich daran, nach Hause zu gelangen – zumindest dachte das Keel’o.

    Als das Trio hingegen in die Seitenstraße, wo man den Widerstand treffen wollte, einbog, da machte es eher den Eindruck, als ob eine Vielzahl der Leute vielmehr hierher wollte, anstatt nach Hause. Es handelte sich um eine Promenade, wenn man so wollte, entlang der sich zahllose Cafés, Restaurants und kleinere Geschäfte tummelten und die sich jetzt nach und nach mit den Angestellten füllten, die hier einen Gang runterschalten wollten, vielleicht sogar den ein oder anderen Strahl der Abendsonne tanken wollten, welche zwar in den unteren Ebenen weniger schien, aber dafür umso drückender auf sie herunterbrannte, wenn sie sich zeigte.
    „Dort ist es“, sagte Zak und deutete auf eine Lounge, die direkt am Eck eines Blocks an einer Kreuzung lag und dabei von diversen Zierpflanzen und Bäumen umkreist war. Auf Keel’o machte der Laden eher den Eindruck eines Designer- oder Architektenbüros, denn dementsprechend minimalistisch, jedoch edel und modern war die Lounge eingerichtet. Auf Stühlen, deren Sitzflächen mit weißen Leinen bespannt waren und deswegen in den Sonnenstrahlen grell leuchteten, saßen die Gäste auf dem Bürgersteig vor der Lounge an Tischen, die gänzlich aus Glas oder durchsichtigen Kunststoffen bestanden und mit schlichten Holographie-Lampen oder kleinen Zierpflanzen als Dekoration verziert waren, während man das Treiben hinter der Fensterfront, die die gesamte Breite der Lounge ausmachte, aufgrund von Reflexionen kaum erkennen konnte.
    „Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt“, murmelte Keel’o, der eher mit einer heruntergekommenen Bikerkneipe gerechnet hatte und nicht mit einem derart edlen Laden. Sehr alt konnte die Lounge ebenfalls nicht sein, da er sich aus seinen alten Tagen auf Illium nicht an sie erinnern konnte.
    „Scheiß drauf, mir gefällt der Laden“, sagte Megan lächelnd und ging voraus, an weiteren Zierpflanzen und anderer Deko vor dem Eingangsbereich vorbei, „hätte uns echt schlimmer treffen können.“
    Wie Keel’o die Söldnerin einschätzte, lag das nicht nur an dem High-Class-Gefühl, das dieses Geschäft ausstrahlte, sondern vor allem auch an den langsamen, entspannenden Hip-Hop-Tracks, die aus teilweise versteckten, teilweise offen platzierten Boxen in einer gut hörbaren, aber doch irgendwie angenehmen, ganz und gar nicht störenden Lautstärke an die Ohren der Gäste herandrangen. Sie saßen noch nicht einmal und Keel’o fühlte sich schon entspannter, so als ob er loslassen könnte und sich hier und jetzt von der langsamen, loungigen Melodie der Musik und ihren kräftigen Bässen hinforttreiben lassen könnte… es wirkte beinahe so, als ob die Umgebung, als ob die Fahrzeuge, die Shuttles, die hektischen Fußgänger um sie herum alle langsamer wurden, als ob alles plötzlich in Zeitlupe ablaufen würde, nur um sich an den Takt und die Langsamkeit des Hip Hops anzupassen. Keel’o lächelte. Er würde öfter hierherkommen, dessen war er sich sicher.

    Das Innere der Lounge blieb dem Stil, der von außen vermittelt wurde, treu: weiß dominierte als Farbe und wurde in diversen Akzenten, vor allem bei gläsernen Flächen wie der Bar, den Fenstern oder den Tischen durch einen türkisenen Farbton aufgelockert, jedoch wurde das Interieur auch hier und da durch unsichtbare, also geschickt platzierte und von Pflanzen oder anderer Dekoration raffiniert verdeckte Lichtquellen in allerlei bunte Farben getunkt. Hinter der Bar stand ein Turianer, der gerade einen Drink in einem äußerst aufwendig gestalteten und in seinem Aussehen einem Diamanten ähnelnden Shaker zubereitete.
    „Hi, willkommen im Strider“, begrüßte er das Trio und nickte Keel’o zu, „habt ihr eine Reservierung?“
    „Nein. Brauchen wir eine?“
    „Noch nicht“, scherzte der Barkeeper und lächtelte, ehe er sich über die Schulter einer Bedienung zuwandte, „Mara!“
    Eine Asari in einem weißen Top mit Spaghettiträgern, unter welchem der schwarze BH rücksichtslos hervorblitzte, kam zu ihnen und begleitete sie mit einem freundlichen Lächeln zu einem Tisch, der in einer Ecke der Lounge lag. Vermutlich einer der Plätze, den der normale Gast mied, doch für Keel’o war es genau das richtige: mit der Wand im Rücken und dem Fenster direkt neben sich konnte er sowohl das Treiben draußen, als auch innen beobachten, ohne beobachtet zu werden und wirkte dabei auch noch relativ unauffällig. Nachdem sie Platz genommen hatten und Keel’o eigentlich erwartete, eine Karte zu erhalten, merkte er, dass selbige als Hologramm auf die transparente Fläche des Tisches gestrahlt wurde. Indem man das entsprechende Getränk antippte, bestellte man automatisch und die Bedienung würde es kurz darauf an den Platz bringen. Keel’o nahm das mit einem entsprechenden Blickwechsel zwischen ihm und Zak zur Kenntnis, wobei er anerkennend nickte. Nach kurzem Überlegen entschied er sich für einen eher leichten Drink, den sogenannten Golden Ray, der auf Illium besonders beliebt unter Bürohengsten, Wertpapierhändlern und dergleichen war. Es handelte sich um eine Mischung aus einer einheimischen Spirituose, die geschmacklich wohl am ehesten menschlichem Rum nahekam, sowie einem salarianischen Fruchtsaft, dessen sehr fruchtiger Geschmack Keel’o irgendwie immer an Honig erinnerte. Naja, zumindest tat es das künstlich hergestellte linksdrehende Äquivalent dazu, denn die natürlichen Zutaten wären für ihn selbstverständlich unbekömmlich. Sehr schade, wie er fand, denn er war der festen Überzeugung, dass man sich durch die künstliche Produktion in irgendwelchen Lebensmittellabors einer entscheidenden Komponente, die er allerdings nicht näher spezifizieren konnte, quasi einer Art natürlichen Essenz nur in Bruchteilen annähern konnte oder sie vielmehr komplett fehlte. Keel’o, der sich nie großartig mit Religion oder vergleichbaren Gebieten beschäftigt hatte, fragte sich oft, ob eben diese Essenz das war, was andere Gott nannten.

    „Okay, wie geht es jetzt weiter?“, fragte Zak und riss Keel’o damit vollends aus irgendwelchen sich anbahnenden inneren Diskussionen über moralische oder theologische Themen, „bleiben wir hier einfach sitzen und warten, bis etwas passiert?“
    Keel’o schüttelte den Kopf, während die Bedienung herbei kam und ihnen die Getränke servierte. Zufrieden nahm der quarianische Infobroker zur Kenntnis, dass sein Golden Ray genau richtig gemixt war: der Fruchtsaft dominierte und stellte den Großteil des Getränks dar, während der Rum lediglich eine kleine Beinote war und dem Getränk so die charakteristische Färbung zu verpassen, der der Drink schließlich auch seinen Namen zu verdanken hatte. Ob diese Diagnose geschmacklich auch richtig war, testete Keel’o jedoch erst, nachdem er Zak geantwortet hatte.
    „Keinesfalls. Megan, ich möchte, dass du dir ein wenig den Laden ansiehst und die Augen offen hältst.“
    „Ernsthaft? Ihr hockt hier rum und ich darf die Arbeit erledigen?“
    „Du sollst nur die Augen offen halten und dich ein wenig umhören. Also komm, geh ein wenig Spaß haben, Mädchen.“
    „Mädchen“, wiederholte sie gereizt und seufzte entrüstet, ehe sie dann aber mit ihrem Getränk aufstand, um sich mit einem lasziven Hüftschwung im Takt der Musik Richtung Bar zu begeben.
    „Mädchen?“
    „Mir ist gerade nichts anderes eingefallen, lass mich“, erwiderte Keel’o und lehnte sich zurück, „mir ist diese Wiederauferstehungsgeschichte gerade wichtiger und da muss sie nicht unbedingt dabei sein.“
    „Was meinst du?“
    „Na, das Netzwerk. Mir kommt es immer noch surreal vor, wieder anzufangen.“
    „Es wird schwer, keine Frage. Über die Jahre haben andere unseren Platz eingenommen, aber andererseits werden wir gegen Corefield auch diese Mittel brauchen, Keel.“
    „Du hast Recht. Es ist nur so ein komisches Gefühl… ich kann es dir nicht sagen. Ist nur merkwürdig. Und diese verschlüsselten Übertragungen über unsere alten Frequenzen?“
    „Ich tippe, dass es eine alte Zelle ist, die jemand vergessen hat auszuschalten. So wie Kratt oder Velas.“
    „Vermutlich. Hör mal, wenn diese ganze Corefiel-Sache erledigt ist, dann werde ich meine Anteile brauchen. Ausgegliedert vom Netzwerk.“
    „Wie meinst du das?“
    „Zak, ich habe es satt, meine Leute nicht mehr sehen zu können. Ich kann diesen Anzug nicht mehr sehen. Ich will nach Hause.“
    „Du bist von der Flotte verbannt worden, Keel.“
    „Ich rede nicht von der Flottille. Ich will nach Rannoch.“
    „Wie soll dir das Netzwerk dabei helfen?“
    „Das weiß ich noch nicht. Velas hat mich irgendwie angesteckt, als er mein Buch hervorgekramt hat. Er hat ein Gefühl in mir geweckt, das ich schon längst vergessen habe.“
    „Jetzt sehen wir erst einmal, wo uns Corefield hinbringt und dann sehen wir weiter, ja? Schritt für Schritt, Keel.“
    „Hört mal ihr zwei Turteltauben.“
    Es war Megan, die das Gespräch der zwei Männer unterbrach, ehe Keel’o etwas erwidern konnte.
    „Da sind gerade ein Dutzend Leute reingekommen, vogelbunte Gestalten. Viele Quarianer dabei. Und haben sich natürlich gleich erstmal den VIP-Bereich gegönnt. Wenn ihr mich fragt, dann sind das unsere Leute.“
    „Alles klar, dann stellen wir uns mal vor.“

    Die VIP-Area war nur über eine kleine Treppe zu erreichen, denn streng genommen handelte es sich dabei um einen Balkon, der mit ein paar, für die normalen Besucher eben nicht zugänglichen Tischen ausgestattet war, die zudem noch wesentlich luxuriöser und die Sitzgelegenheiten wesentlich bequemer aussahen, als „unten“ bei den normalen Gästen. Am Fuße der Treppe war ein Türsteher, der das ungleiche Trio nicht passieren lassen wollte, was dem ganzen natürlich noch mehr Exklusivität verlieh.
    „VIP-Area, nur Leute auf der Liste.“
    „Wir haben was mit denen da oben zu besprechen.“
    „Dann seht zu, dass ihr auf die Liste kommt. Sonst lasse ich euch nicht rauf.“
    Keel’o lächelte und schüttelte den Kopf. Die Schar oben hatte mittlerweile mitbekommen, welches Schauspiel sich am Fuße der Treppe abspielte und begann zu glotzen. Der ein oder andere Gast tauschte auch ein amüsiertes Getuschel aus, doch eine Quarianerin fiel Keel’o besonders auf. Ihre Blicke kreuzten sich und er wusste sofort, dass sie – obgleich sie noch immer den Anzug einer Pilgerreisenden trug – keinesfalls mehr so jung und unschuldig war, sondern vielmehr bereits eine sehr erfahrene und gewiefte Abenteurerin vor ihm stand.
    „Das wird sie aber anders sehen“, sagte Keel’o und deutete auf die Turianerin, woraufhin sich der Türsteher umdrehte und die Abenteurerin schließlich nach einigen Augenblicken nickte.
    „Also gut, rauf mit euch.“
    Keel’o lächelte zufrieden und ging mit Zak und Megan im Schlepptau die Treppe hinauf. Erwartungsvoll verschränkte die mysteriöse Gastgeberin die Arme und nickte ihnen zu.
    „Und wer seid ihr?“
    Keel’o zögerte einen Moment.
    „Ich bin Keel’o“, sagte er schließlich, „und das sind Zak und Megan.“
    „Cool. Du bist aber bestimmt nicht zum quatschen hier, he?“
    „Das bin ich nicht. Wir wollten- sag mal, kennst du mich?“
    „Nö, deswegen habe ich ja gefragt. Sollte ich?“
    „Das ist Keel’o Vaelsha vas Callisto, Mann“, kam es vom Tisch von einer jüngeren Quarianerin, ebenfalls noch im Pilgeranzug, „dieser Typ, der dir hilft, wenn du Probleme hast. Zumindest hat mir das Papa gesagt, bevor ich los bin.“
    „Schätzchen, das letzte Mal, dass ich auf der Flottille war, war Jahre vor deiner Geburt“, erwiderte die Abenteurerin genervt und widmete sich anschließend wieder Keel’o, „du bist also sowas wie ein Star. Glückwunsch. Also, was brauchst du?“
    „Äh… ich… belassen wir es dabei. Ich bin eigentlich hier, weil ich weiß, dass ihr vom Widerstand seid.“
    „Und wenn das so wäre?“
    „Wir verfolgen ähnliche Ziele.“
    „Die da wären?“
    Keel’o seufzte genervt. Dieses Herumgerede um den heißen Brei kotzte ihn an.
    „Ich will Corefield brennen sehen. Deswegen denke ich, dass es sich lohnt, in euch zu investieren.“
    Die Abenteurerin musterte ihn von oben bis unten und ihrer Körpersprache nach zu urteilen, schien ihr zu gefallen, was sie hörte und vielleicht auch sah.
    „Nehmt Platz“, sagte sie schließlich und nickte in Richtung des Tisches, der bisher aufgeregt den Wortwechsel zwischen beiden verfolgt hatte. Das Trio nahm an dem Tisch Platz und beinahe im gleichen Moment erschien eine Kellnerin mit einem riesigen Tablett voller Getränke für aller. Keel’o orderte bei ihr noch einmal den gleichen Drink wie eben und sah sich anschließend in der Runde um. Selbstverständlich war der Großteil quarianisch, doch auch eine menschliche Frau, zwei Asari und ein Salarianer waren anwesend, die sich bisher recht bedeckt gehalten hatten, aber Keel’o mit derselben Neugier musterten, wie er sie.
    „Erzähl mir mehr von diesen Investitionen.“
    „Ich gehe recht in der Annahme, dass es sich hier nicht um den gesamten Widerstand handelt?“
    „Zum Stammtisch kommen nur besonders aktive Mitglieder oder die Zellenführer. Wenn du es so sagen willst, sind wir fast wie eine Partei.“
    „Eine Handvoll leader, die das Potenzial einer gesichtslosen Masse aktivieren und umsetzen.“
    „Ich hätte es nicht so vornehm ausgedrückt, aber ja, so arbeiten wir.“
    „Sehr gut. Ich beabsichtige, euch mit Ressourcen auszustatten. Geld, Waffen, Elektronik, was auch immer ihr braucht. Genug, um euch einen Level höher als „Hacktivist“ zu bringen.“
    Die Anwesenden tauschten beeindruckte Blicke untereinander aus und leises Gemurmel entstand. Keel’o fiel dabei auf, dass neben der Abenteurerin nur die Menschenfrau ihn unbeeindruckt weiter musterte.
    „Was möchtest du im Gegenzug?“
    „Vorerst nichts anderes, als Zugang zu Corefield. Ich brauche, was ihr an Informationen über diese Leute habt und vor allem brauche ich eines: Zugang.“
    „Vorerst klingt in meinen Ohren nicht gut.“
    „Damit will ich lediglich implizieren, dass sich unsere Zusammenarbeit bei entsprechendem Erfolg auch ausweiten und intensivieren kann.“
    „Bullshit“, meldete sich jetzt die Menschenfrau zu Wort, „wir sind doch keine Aktiengesellschaft, in die man sich so einfach einkaufen kann.“
    Keel’o musterte sie etwas genauer. Ihr Haar war kastanienrot, die Augen smaragdgrün. Die bandagierten Arme deuteten darauf hin, dass es in letzter Zeit bei ihr wohl etwas gröber zugegangen war, während an den fingerlosen schwarzen Handschuhen keine Spuren einer Auseinandersetzung zu sehen waren. Unter dem Mantel, den sie trug, war sehr eindeutig zu erkennen, dass sie ansonsten äußerst spärlich bekleidet war, weshalb man auch eine Menge Tattoos sehen konnte. Ob sie das wegen der Hitze tat, weil sie eine Prostituierte war oder einfach nur, um zu provozieren, wusste Keel’o nicht, aber er vermutete eine Mischung aus allen drei Gründen. Wie sie sich bisher verhalten hatte und vor allem wie sich die anderen ihr gegenüber verhielten, machte jedoch klar, dass es sich bei ihr nicht um eine einfache Zellenanführerin, sondern eine größere Nummer im Widerstand handelte.
    „Diesen Einwand halte ich für berechtigt. Woher weiß ich, dass du den Widerstand nicht beeinflussen möchtest oder am Ende sogar für Corefield arbeitest.“
    „Streng genommen gar nicht“, erwiderte Keel’o auf diese Bedenken, mit denen er gerechnet hatte, „aber wenn du meine Loyalität zu meinem Volk infragestellst, dann bürgen deine Leute, die mich kennen, sicherlich für mich.“
    „Das mache ich!“, meldete sich jetzt das andere, wesentlich jüngere quarianische Mädchen, könnte man fast noch sagen, zu Wort, „er hat vielen Quarianern geholfen, die irgendwo auf der Pilgerreise Probleme hatten.“
    „Hat er dir mal geholfen?“, fragte die Abenteurerin und lehnte sich dabei nach vorne, um zu dem Mädchen ein paar Plätze links neben ihr sehen zu können.
    „Ähm… nein, also das…“
    „Sorry Keel’o, aber das überzeugt mich nicht. Wenn du wirklich so ein Heiland bist, warum kreuzt du dann erst jetzt auf und willst etwas gegen Corefield unternehmen? Wir kämpfen hier schon seit Jahren gegen diese Typen.“
    „Ich war die letzten Jahre auf Omega und habe dort Morde an Quarianern untersucht. Stellte sich heraus, dass es sich um Corefield handelte, die die Zelle, die ihr dort aufbauen wolltet, im Keim erstickt hat.“
    Betroffenheit war die Reaktion, welche uniform am Tisch durch diesen Satz ausgelöst wurde. Mit einer Mischung aus Schock und Trauer sahen viele zu der älteren Quarianerin, die sich in ihrem Sessel wieder zurückgelehnt hatte und Keel’o jetzt eindringlich musterte. Einzig die Menschenfrau war es wieder, die aus dem Raster flog und mit der Flachen Hand auf den Tisch schlug, ehe sie auf Keel’o deutete.
    „Pass auf, was du da sagst“, raunte sie und deutete geradewegs auf das Visier, doch Keel’o ignorierte sie und die mit einer Menge Schimpfwörtern versehenen Tirade, die sich dieser hohlen Drohung angeschlossen hatte. Sein Blick war vielmehr auf das augenscheinliche Alphatier des Tisches gerichtet.
    „Es reicht, Tatya“, schaltete sich die Quarianerin schließlich ein, „wir haben in der Tat eine Zelle auf Omega aufbauen wollen, zu denen aber seit einiger Zeit den Kontakt verloren.“
    „Sie sind tot. Alle. Umgebracht durch Söldner, die ein Corefield-Angestellter auf der Station angeheuert hatte. Ich habe Bilder, falls ihr eure Leute identifizieren wollt.“
    „Wie krank bist du-“
    „Omega hat keine Polizei“, fuhr Keel’o harsch die Menschenfrau an, welche wohl Tatya hieß und ihm langsam, aber sicher extrem auf die Nerven zu gehen begann, „also muss jemand diese Arbeit selbst in die Hand nehmen. In diesem Fall war ich das.“
    „Das heißt, dieser Corefield-Typ…“
    „… wird niemanden mehr umbringen.“
    Stille. Selbst Tatya hielt ihren Mund, nachdem Keel’o ausgesprochen hatte, was jeder am Tisch mehr oder weniger geahnt, aber erfolgreich verdrängt hatte: an den Händen dieses Mannes klebte Blut. Das Blut, das meist andere in seinem Namen vergossen hatten, aber dennoch Blut – ein Umstand, der ihn sogar noch wesentlich gefährlicher machte, wenn man es genau betrachtete.
    „Okay“, sagte die Abenteurerin schließlich nach einigen Momenten, die sie wohl zum Überlegen gebraucht hatte, und lehnte sich aus ihrem Sessel wieder nach vorne, „wir haben da etwas vor, allerdings stehen wir vor ein paar Problemen. Genauer kann ich jetzt nicht werden.“
    „Ich verstehe“, sagte Keel’o und verfasste eine Notiz auf seinem Omnitool, die er an ihres schickte, ehe er sich erhob, „wenn ihr Interesse daran habt, mein Angebot anzunehmen, dann treffen wir uns in einer Stunde an dieser Adresse und du erzählst mir mehr. Sehe ich dich in einer Stunde nicht, dann gehen wir ganz einfach getrennte Wege.“
    „Eine Stunde ist ganz schön wenig Zeit.“
    „Zeit hat niemand, weder ihr, noch ich, noch Corefield. Deswegen müssen wir damit effizient umgehen.“
    „Also gut. Wir denken drüber nach. War schön, dich kennen gelernt zu haben, Keel’o.“
    „Gleichfalls… wie war denn dein Name?“
    Ein schweigendes Lächeln war die Antwort auf seine Frage.
    „Okay, dann bis später, revolucionista – oder eben nicht.“
    Mit diesen Worten drehte sich Keel’o um und ging mit seinen beiden Begleitungen wieder die Treppenstufen des VIP-Bereichs hinab, wobei er auf einem Ohr noch hörte, wie sich die Quarianerin über den Kosenamen lustig machte.

    „Respekt. Keine Stunde in dem Laden verbracht und direkt VIP geworden.“
    „Megan, wir waren da nur Gäste… eher Geduldete.“
    „Hast du mitgekriegt, wie wir für unseren zweiten Drink nichts bezahlt haben?“
    Keel’o sah sie an und schüttelte den Kopf. Er war natürlich mit anderem beschäftigt gewesen, als sich über so etwas den Kopf zu zerbrechen. Mittlerweile waren auf den Straßen weniger Leute unterwegs und der Feierabendverkehr schien sich auch langsam zu verflüchtigen. Die Sonne war auch beinahe gänzlich untergegangen, es herrschte Dämmerung.
    „Deine Meinung, Zak?“, fragte Keel’o seinen Vertrauten, der gerade ein Taxi herbeigewunken hatte.
    „Der Widerstand weiß was er tut und hat einen Plan. Aber die sind bei weitem nicht gut genug ausgestattet, geschweige denn verfügen über genug Leute, um Corefield ernsthaft zu schaden. Im Moment sind die nur ein Störfaktor, der sich aber nicht nennenswert auf das Geschäft auswirkt. Vorerst zumindest. Deswegen hätte ich da drinnen an deiner Stelle auch direkt Nägel mit Köpfen gemacht.“
    „Nein, das ist schon gut so. Ich möchte sie etwas köcheln lassen. Es ist ein Geben und Nehmen, du kennst das Spiel ja. Wenn sie uns in einer Stunde trifft, dann kriegen wir von ihr auch alle Informationen, die wir wollen. Bis dahin bleiben wir bei Kratt und lassen uns von ihm auf den neuesten Stand bringen. Vielleicht hat er ja in der Zwischenzeit etwas herausfinden können.“

    Tag 7, 19:00 Uhr Ortszeit
    ---> Nos Astra – Gewerbegebiete

  2. #112
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    <--- Nos Astra – Untere Ebenen
    Tag 7, kurze Zeit nach dem Treffen mit dem Widerstand


    Keel’o tigerte mit Zak und Megan durch die Straßen des Gewerbegebiets, die sich mittlerweile mehr und mehr leerten. Stattdessen zogen die drei Ungleichen durch wie leergefegte Avenues, die ober- und unterhalb von Schnelltrassen gekreuzt wurden und auf welchen sich nur vor den im Gewerbegebiet strategisch optimal platzierten „After-work-Bars“, Kaffee- oder Imbissläden und 24-Stunden-Kiosks hin und wieder Trauben von bereits in den Feierabend geflatterten Geschäftsleuten tummelten. Das Gewerbegebiet war zwar sicherlich nicht das, was man eine Feiermeile nennen konnte, doch all die Bürohengste und Schreibtischstuten wollten in ihrer Mittagspause auch mal heraus aus den gläsernen, in den Himmel ragenden Arbeitskomplexen oder nach Feierabend noch auf einen kleinen Absacker mit Kollegen abtauchen, ehe man sich schlussendlich nach Hause oder anderswohin begab, also war das Viertel doch hier und da mit entsprechenden Etablissements gespickt, die jedoch allesamt sehr ruhig und unauffällig waren. Hinter den Schaufenstern konnte man die wenigen Geschäftsleute, die noch hier waren, an Tischen sitzen sehen, doch auf den Straßen war kaum mehr jemand, abgesehen von den Rauchern. Es war die Gegend, in der sich Keel’o mit der Anführerin des Widerstands treffen wollte und er hatte bewusst diese unscheinbare Gegend ausgesucht. Wenn er hier in einen Wagen steigen würde, so fiel es niemandem auf oder man interessierte sich dafür weniger und wenn im Gegenteil jemand sie beobachten würde, so würden die geschulten Augen von Zak oder Megan diesen jemand gewiss zügig ausmachen können. Es klang paranoid, dessen war sich Keel’o bewusst, allerdings wollte er keine Risiken eingehen – zumal er Corefield nach ihrer radikalen Aufräum-Aktion auf Omega mittlerweile alles zutraute, um sich dieses Widerstandes zu entledigen. Bei diesem Gedanken passierten sie gerade einen kleinen Zeitungsstand, der wohl gerade im Begriff war zu schließen, als Keel’o ein kleineres Blatt auffiel, dessen Schlagzeile in seinen Ohren sehr interessant klang.
    „Hackerin wieder flüchtig – Ariake-Aktien im Tiefflug“, murmelte Keel’o, als er die Schlagzeile las und sich das Foto der Menschenfrau mit blauen Haaren gut einprägte.
    „Alter, wie aus Matrix“, kommentierte Megan offensichtlich das Äußere der Frau und als sie die fragenden Blicke der zwei Männer auf sich spürte, winkte sie nur mit einem „Ach, vergesst es“ ab. Keel’o kümmerte sich nicht weiter darum, sondern las die ersten Zeilen des Artikels flüchtig. Es schien sich um eine gesuchte Cyberterroristin namens Mika Hyden zu handeln, die wohl so etwas wie die Blaupause einer KI aus den Servern von Ariake entwendet hatte. Keel’o runzelte anerkennend die Stirn. Das klang nach keinem einfachen Job, aber die wirklich süßen, verbotenen Früchte erreichte man nie ohne ein bisschen Schweiß.
    „Das könnte interessant werden… sag Kratt, er soll darauf ein Auge haben“, sagte Keel’o zu Zak und wandte sich dem Besitzer des Zeitungsladens zu, eine Asari, die wohl gerade Kassensturz machte und den Laden gerade schloss, „entschuldigen Sie, was kostet das?“
    „Hm?“, fragte diese nur und drehte sich um, sah kurz zwischen der Zeitung und Keel’o hin und her, ehe sie zu begreifen schien, „ach, das ist schon in Ordnung, Sir. Nehmen Sie sie einfach mit.“
    „Ähm…“, war alles, was Keel’o etwas aus dem Konzept gebracht zustande bekam. Er hielt die Zeitung noch immer in der einen Hand, während er mit der anderen gerade dabei gewesen war, die lausigen Credits für das Blatt aus der Hosentasche zu kramen.
    „Keine Ursache, nehmen Sie sie.“
    Keel’o sah etwas verwirrt zu Zak, zuckte dann mit den Schultern, bedankte sich und die Asari machte deutlich, dass es nichts zu danken gäbe. Das Trio ging weiter und der Quarianer vertiefte sich sogleich im Artikel. Natürlich war er einseitig geschrieben und würdigte in keinem Falle die Genialität, die für eine auf den ersten Blick so unscheinbare Rose wie Miss Hyden notwendig war, um in ein Firmennetz wie das von Ariake eindringen zu können und dann auch noch flüchtig zu werden. Keel’o hatte irgendwie ein Gefühl, eine Vorahnung, wenn man so wollte, dass ein Geschäft mit dieser Frau ein verdammt guter Deal wäre. Er entschloss sich dazu, das ganze im Hinterkopf zu behalten und abzuwarten, was Kratt über sie herausfinden würde. Es hatte sich herausgestellt, dass Kratt ein besonderes Geschick dafür hatte, Personen ausfindig zu machen und deren Hintergrundgeschichte zu beleuchten. Während Keel'o mit Zak und Megan den Widerstand getroffen hatte, war es Kratt gelungen, eine ganze Menge an Informationen über den Visconti-Clan herauszufinden, unter anderem über die diversen Fehden, die sich innerhalb dieser sagenumwobenen Familie abspielten. Am meisten hatte Keel'o jedoch Octavian interessiert, der sich als die treibende Kraft hinter der Auseinandersetzung mit dem Widerstand und der Kolonialisierung der quarianischen Heimatplaneten herauskristallisierte. Keel'o hatte in also zum Gesicht des Visconti-Clans gemacht und ihn als Hauptziel seiner Agiation identifiziert. Für ihn stand fest, dass er jede Information bekommen würde, die er brauchte, hätte er erst einmal diesen Octavian in seiner Gewalt. Doch dafür war es noch zu früh. Erst galt es, andere Hindernisse zu überwinden, ehe Octavian höchstselbst ins Ziel rücken konnte.
    „Es ist gleich 20 Uhr“, sagte Zak mit einem Blick auf die luxuriöse Armbanduhr um sein Handgelenk und einem großzügigen Zug von der Zigarette in seinem Mund, „mal sehen, ob die noch aufkreuzen.“
    Keel’o sagte nichts, sondern schob lässig die Hände in die Hosentasche und klemmte die Zeitung unter seine Achsel. Er wusste, dass Zak das ganze völlig anders aufgezogen hätte, dass er vermutlich noch in der Lounge einen Deal ausgehandelt oder Informationen ausgetauscht hätte, aber Keel’o übte sich in Geduld. Er ließ dem Widerstand die Wahl, mit ihm zusammen zu arbeiten oder es sein zu lassen. Es war ein riskantes Spiel und sollten sie ihm einen Korb verpassen, stünde er mit nichts da. Sollten sie jedoch seine Hilfe annehmen und damit Interesse an einer Zusammenarbeit zeigen, dann wusste er, dass er die Katze im Sack hatte, wie Megan es vermutlich formulieren würde.

    Ein Lieferwagen kam auf der anderen Straßenseite zum Stehen und die Scheibe des Fahrers wurde heruntergelassen. Es war die Quarianerin. Die Abenteurerin. Die revolucionista. Keel’o grinste selbstzufrieden.
    „Steig ein“, sagte sie und als Zak und Megan Anstalten machten, zu folgen, hob sie nur ihre Hand, um klar zu machen, dass das hier nach ihren Bedingungen ablief, „nur er.“
    Keel’o sah zu Megan und Zak, die ihn wiederum zweifelnd ansahen. Der Quarianer zuckte nur mit den Schultern und ging weiter zu dem Wagen.
    „Bist du dir sicher?“, fragte Zak und Keel’o winkte ab.
    „Wenn die mir auch nur einen Kratzer zufügen, haben die ein großes Problem. Das wissen die. Versuch lieber, Kratt oder Velas zu unterstützen… und behalte Megan im Auge.“
    Zak nickte und winkte die menschliche Söldnerin zu sich, um sich mit ihr langsam aus dem Staub zu machen, während Keel’o mit seiner neuen Verbündeten zurückblieb. Den letzten Satz hatte der Infobroker natürlich nur für seinen salarianischen Freund hörbar gemurmelt.
    „Kommen Sie, wir haben nicht viel Zeit“, sagte diese und sah sich nervös um. Keel’o nickte und nahm auf dem Beifahrersitz der alten Rostlaube Platz. Es war ein wahrlich heruntergekommener Lieferwagen, dessen Laderaum vollgestellt war mit allerhand Gerümpel, für den auf den ersten Blick niemand ernsthaft Verwendung haben könnte. Der Antrieb machte seinerseits Geräusche, die auf eine dringend notwendige Jahresuntersuchung hinwiesen und die schleimigen Schlieren auf der Windschutzscheibe komplettierten das Gesamtbild. Keel’o verkniff sich dabei jeden Kommentar über die Qualität des Wagens, sondern nahm vielmehr zur Kenntnis, dass der Widerstand offensichtlich finanzielle Probleme hatte – oder dies vortäuschen wollte. So gut es ging, versuchte Keel’o, sich den Weg einzuprägen, gab den Versuch jedoch nach wenigen Kurven, die sie genommen hatten, wieder auf.

    Nach einiger Zeit erreichten sie einen der unzähligen Industrieparks in Nos Astras Gerwerbegebieten, die allesamt gleich aufgebaut waren: Man kam über eine Zufahrt in ein schier endloses Labyrinth aus Straßen, die von Lagerhäusern, Containern und Kränen gesäumt waren. Um diese Uhrzeit war niemand zu sehen und die ganze Gegend schien wie ausgestorben. Vor einem der Lagerhäuser, es lag tief verwinkelt im inneren des Industrieparks, hielten sie schließlich an. Keel’o nahm beiläufig zur Kenntnis, dass – im Gegensatz zu den meisten anderen Lagerhäusern – mehrere Wägen vor dem Eingang abgestellt waren. Die Quarianerin stellte den Motor ab, machte jedoch keine Anstalten auszusteigen, sondern sah stumm zum Eingang des Lagerhauses.
    „Wir können derzeit jede Hilfe gebrauchen, die wir kriegen können“, sagte sie schließlich nach einigen Augenblicken und brach damit das Schweigen, das sich seit der Abfahrt über sie gelegt hatte, „also hielten wir es für klug, dein Angebot anzunehmen.“
    Es klang nach einem Eingeständnis der Schwäche, zumindest im ersten Moment. Dass der Widerstand Probleme hatte, das zeigte sich nicht nur an dem Wagen, den die Abenteurerin fuhr. Omega war sicherlich ein schwerer Schlag für sie, nicht nur in finanzieller Hinsicht. Gleichzeitig erkannte Keel’o in dieser Aussage jedoch noch eine andere Botschaft: Wären wir nicht so verzweifelt, würden wir dich links liegen lassen. Das war die andere Lesart. Welche sich als richtig herausstellen würde, das hoffte Keel’o bald herauszufinden.
    „Du meinst, dass euch nichts anderes übriggeblieben ist“, sagte er schließlich und obwohl er darauf keine Antwort bekam, so war der Blick, den er für diese Aussage zugeworfen bekam, Antwort genug. Die beiden stiegen aus und sie führte ihn zu einer Tür, über die man das Lagerhaus abseits der großen Tore betreten konnte. Jene waren geschlossen – man sollte also nicht sehen, was sich drinnen abspielte. Sie klopfte, ohne dass Keel’o darin ein besonderes Zeichen erkennen konnte und ein Holofenster wurde vor sie projiziert. Zum Vorschein kam ein Quarianer, dem Anzug nach zu urteilen ebenfalls noch ein Pilgerer, jedoch mit einer Schrotflinte bewaffnet. Nachdem sich die Quarianerin mit einem „Ich bin’s“ zu erkennen gegeben hatte, nickte der Wachposten lediglich und betätigte einen Schalter, woraufhin sich die Tür öffnete und einen kleinen Raum zum Vorschein brachte, der wohl als etwas wie eine Schleuse dienen sollte. Neben dem jungen Quarianer und seiner Schrotflinte war dort noch ein weiterer Schläger, ebenfalls ein Quarianer. Bereits am Stammtisch war Keel’o aufgefallen, dass es sich beim Widerstand zwar nicht exklusiv um Angehörige seines Volkes handelte, aber der Natur der Sache nach war es nur logisch, dass es sie waren, die sich im Schwerpunkt mit dieser Thematik auseinandersetzten. Angehörige anderer Völker entwickelten natürlich für die Probleme der quarianischen Angestellten bei Corefield kein Interesse und wenn doch, so blieb es zumeist bei einem oberflächlichen Interesse an der Berichterstattung durch einschlägige Medien oder in den sozialen Netzwerken. Doch wirklich aktiver Widerstand und dann auch noch bewaffnet? Für die meisten undenkbar. Insgeheim sah der ein oder andere vermutlich nichts Schlimmes an der unwürdigen Behandlung des quarianischen Volkes, hatte es doch die Geth und damit die größte Bedrohung der Galaxis seit den Kroganern hervorgebracht.
    „Dass ich euch helfen will, scheint nicht jeder verstanden zu haben“, bemerkte Keel’o kühl und spielte damit auf die deutliche Anspannung an, die in der Luft lag, als er in ihrer Begleitung den Raum betreten hatte.
    „Entspannt euch“, wies die revolucionista ihre Guerilleros an und bedeutete ihm schließlich, ihr zur folgen, „wir sind alle recht angekratzt. Die letzten Wochen waren nicht leicht, es gab viel zu tun und jetzt, wo wir kurz vor unserem Ziel stehen, da steigt die Angst, dass wir so kurz vor der Zielgeraden doch noch liegenbleiben. Die Neuigkeiten von Omega sind da auch nicht gerade hilfreich.“
    „Was ist denn euer Ziel?“, fragte Keel’o direkt, doch anstatt ihm zu antworten, öffnete die Unbekannte lediglich eine weitere Tür und führte Keel’o so in die Lagerhalle. Sie war nicht heruntergekommen, aber definitiv aus der günstigen Preisklasse, die hier gemietet werden konnte. Viel Platz hatte man auch nicht, das hatte Keel’o nicht erwartet, aber andererseits mochte das auch daran liegen, was sich überhaupt in der Lagerhalle befand: Ein Hauptquartier. Keel’o staunte nicht schlecht, als er Transportfahrzeuge sah, auf denen Corefield-Logos angebracht waren oder ein paar Mitglieder des Widerstands, die augenscheinlich schwere Kisten mit einer Gefahrgutkennzeichnung in einen abgetrennten Bereich der Halle brachten. Es herrschte reger Betrieb, wenngleich Keel’o die Zahl der Leute hier als sehr überschaubar und klein einschätzte, aber doch groß genug, um als einfacher Handlanger lediglich ein Gesicht unter vielen zu sein. Der quarianische Infobroker versuchte möglichst viel aufzusaugen von dem, was er sah. Generell wirkte alles ein wenig nach Aufbruchstimmung. Fast so, als ob man hier dabei war, alle Zelte abzubrechen. Die namenlose Quarianerin führte ihn durch die Halle und über eine Treppe nach oben, wo sich Büros befanden, die normalerweise für Vorarbeiter und dergleichen gedacht waren. In diesem Fall befand sich dort das, was Keel’o schlicht als Gefechtsstand bezeichnen würde: Blaupausen, Tabellen, Listen und allerhand anderes Gekritzel waren im Raum verstreut, der vor allem durch das grelle, blauweiße Licht der Terminals erleuchtet wurde.
    „Das ist das Herz unserer Operation“, erklärte die Namenlose und lehnte sich gegen einen der Tische, „von hier aus koordinieren wir all unsere Aktionen, die in Nos Astra laufen.“
    „Warum zeigst du mir das alles?“
    „Es ist ein Vertrauensbeweis. Ich lege meine Karten offen auf den Tisch…“
    „… damit ich dasselbe mit meinen mache“, vervollständigte er ihren Satz. Das seichte Nicken seines Gegenübers war ihm Antwort genug. Auf ihn machte es eher den Eindruck, nach jedem Strohhalm zu greifen, aber das sagte er nicht. Seine bisher neutrale Position war von vielen nicht nur wohlwollend aufgefasst worden und gerade Weltverbesserer wie sie es war und wie es sie gerade unter jungen Pilgerern zuhauf gab waren es, die ihm vorwarfen, das alles nur als Ausrede für ein Leben in Saus und Braus zu benutzen.
    „Wieso verschwindet ihr von hier?“
    „Wir stehen kurz davor, die größte Aktion in der Geschichte des Widerstandes durchzuführen“, erwiderte sie und stieß sich mit einer Hüftbewegung vom Tisch, um zu ein paar Fenstern zu gehen, die eigentlich nicht mehr als bloße Sehschlitze waren und über welche man die unter ihnen liegende Lagerhalle zum Teil überblicken konnte, „wir greifen Corefield an.“
    „Und dann? Das große Finale im Corefield Tower oder wollt ihr die Welt einfach nur brennen sehen?“
    „Was macht der denn hier?“
    Tatya hatte den Raum mit ein paar anderen Quarianern betreten und war offensichtlich überrascht darüber, Keel’o zu sehen – und das nicht im positiven Sinne.
    „Er hilft uns.“
    „Das will ich sehen“, lachte die Menschenfrau, steckte sich eine Zigarette an und pustete den Rauch verächtlich in seine Richtung, „der hat sich doch bisher andauernd fein rausgehalten.“
    Die Namenlose erwiderte irgendetwas auf eine sehr harsche Art und Weise und schon war es geschehen: Die beiden Frauen lieferten sich ein lautstarkes Wortgefecht, aus dem sich alle Anwesenden – Keel’o eingeschlossen – raushielten. Die Mitglieder des Widerstands weil sie zu viel Respekt vor den Zweien hatten, Keel’o jedoch, weil er etwas gefunden hatte, das seine Aufmerksamkeit viel mehr auf sich zog, als dieses kleine Wortgefecht, das in den nächsten Minuten ohnehin vorbei sein würde. Es waren Gebäudepläne, die auf einem der Tische verstreut waren und offensichtlich eine Art Lagerhaus zeigten, das zusätzlich über Büroräume verfügte. Auf der Blaupause waren Notizen gemacht worden, Pfeile und Kreuze, verschiedene Stellen in der Architektur wurden mit Kreisen markiert und hier und da standen ein Haufen Wörter. Keel’o kannte diese Art von Plänen. Er wusste genau, was für ein Spiel hier gespielt wurde.
    „Ihr wollt eine Bank überfallen“, stellte er fest und das so laut, dass alle Anwesenden es wunderbar verstehen konnten. Auch die beiden streitenden Frauen waren verstummt und sahen ihn nun wieder an.
    „Und wenn es so wäre?“, giftelte Tatya und Keel’o platzte langsam, aber sicher der Kragen.
    „Was ist dein Problem?“
    „Du bist nicht auf unserer Seite. Du hast nur deine eigenen Ziele im Kopf.“
    „Ich weiß nicht, wer du bist und für wen du dich hältst“, knurrte er, während er langsam auf sie zuging und sich vor ihr aufbaute, „Du hast keine Ahnung, was es heißt, Quarianer zu sein und die Härten dieses Lebens auf sich zu nehmen. Du hast keine Ahnung, wie unsere Schwächen an Orten wie Omega ausgenutzt werden. Du hast keine Ahnung über unser Leid.“
    Keel’o hielt einen Moment inne, um sich zu sammeln. Auch bei ihm waren die Erinnerungen an die letzten Ereignisse noch frisch.
    „Du hast keine Ahnung, was ich geopfert habe. Du bist keine Quarianerin, also erspar mir dein Gerede von eurer Seite oder euren Zielen.“
    Den letzten Satz unterstrich er mit einem leichten Schubser und Tatya strauchelte davon überrascht, fing sich jedoch schnell wieder und wollte sich wehren.
    „Das reicht.“
    Die revolucionista war eingeschritten. Ob es ihre Worte waren, die Tatya Einhalt geboten, oder ob es die Erkenntnis war, dass Keel’os Worte einen wahren Kern hatten, das wusste er nicht. Sie hielt sich jedenfalls zurück und beließ es bei einem zornigen Funkeln in den Augen, mit dem sie den Neuankömmling musterte. Know your place.
    „Du liegst nicht ganz richtig“, fuhr die Anführerin des Widerstands schließlich fort und ging wieder zurück an den Tisch mit den Blaupausen, „es ist keine Bank, sondern Corefields Exportzentrale. Intern nennen sie ihn nur das Kontor. Es ist die Dreh- und Angelscheibe Illiums. Sämtlicher Warenverkehr, sei es hierher oder von hier weg, der unter Corefields Flagge abgewickelt wird, passiert dieses Haus.“
    „Und was erhofft ihr euch davon?“
    „Viele Quarianer arbeiten in den dortigen Trockendocks. Wir möchten sie für unsere Sache gewinnen und der Firma damit zeigen, dass wir sie dort treffen können, wo es besonders weh tut.“
    Keel’o nickte. Selbstverständlich ging es hier jedoch nicht nur darum, das Wort zu verbreiten, sondern auch um finanzielle Aspekte. Bisher klang es danach, als würde es sich bei diesem Kontor um eine kleine Schatzkammer handeln.
    „Außerdem könntet ihr eure Kassen durch den Überfall ein wenig aufbessern“, sagte Keel’o und sprach damit seine Gedanken laut aus.
    „Das ist ein positiver Nebeneffekt“, beeilte sich die revolucionista zu versichern. Ihr schien es nicht zu gefallen, wie gewöhnliche Banditen angesehen zu werden. Keel’o hatte Verständnis dafür, schließlich wusste er um die Ernsthaftigkeit der Sache, für die sie kämpften. Doch damit gehörte er nicht der Mehrheit auf diesem Planeten an. Sicherlich würde es dann auch zur Gegenoffensive Corefields gehören, den Widerstand als vermeintliche Wegelagerer zu entlarven, die wie jeder in dieser verdammten Galaxis nur daran interessiert waren, den eigenen Lebensabend zu sichern.
    „Wir brauchen das Geld, das will ich nicht leugnen. Wir spekulieren aber tatsächlich auf langfristigere Auswirkungen“, fuhr die Quarianerin fort und schob die Blaupausen beiseite, sodass Mitschriften abgefangener Kommuniqués zum Vorschein kamen, „wir wissen, dass in den nächsten Tagen ein Transport mit neuen quarianischen Arbeitskräften im Firmenhauptquartier erwartet wird. Wenn dieser Transport sein Ziel erreicht, dann bedeutet das einen nicht zu vernachlässigenden Zuwachs an Produktionspotenzial für Corefields Präsenz auf Illium. Fangen wir diesen Transport hingegen ab und befreien die Quarianer...“
    „... verliert Corefield an Umsatz. Der öffentliche Druck wird weiter steigen und die Anleger werden sich fragen, was die Firma für die Garantie ihrer Dividende machen wird. Gewieft.“
    „Danke. Der Firmensitz ist aber eine verdammte Festung, ein System ohne Lücke. Keine Chance, dass wir dort reinkommen, es sei denn, Corefield muss improvisieren.“
    „Deswegen der Überfall auf das Kontor. Natürlich. Ihr wollt gar nicht deren Kassen plündern, sondern einfach nur das Kontor dicht machen. Sperrt die Polizei das Gelände, muss Corefield temporär auf den Firmensitz ausweichen und das bedeutet eine Menge Durchgangsverkehr. Sicherheitsrisiken überall“, summierte Keel'o, wobei er feststellte, dass er wirklich beeindruckt war, „das ist gar nicht mal schlecht.“
    Die revolucionista warf einen Blick zu Tatya, die noch immer ihre Abneigung offen zur Schau stellte, ehe sie wieder Keel'o fixierte.
    „Das ist wirklich sehr gut. Die Behörden sind im Moment ohnehin sehr angespannt und werden kein Risiko eingehen. Außerdem wird man über das Kontor sicherlich auch auf das restliche Firmennetz zugreifen können. Das ist genau das richtige, was wir jetzt brauchen“, fuhr der Infobroker fort und lehnte sich über den Tisch mit den Blaupausen. Spätestens jetzt hatte ihn das Fieber gepackt.
    „Moment mal. Das hier läuft nach unserer Maßgabe. Außerdem, wer sagt denn, dass du an Bord bist?“
    Es war wieder Tatya und Keel'o sah genervt zur revolucionista, darauf wartend, dass sie ihren Kettenhund endlich an die kurze Leine nahm.
    „Wir haben zu viel in dieses Unternehmen investiert, um jetzt zu scheitern. Dieses Unternehmen lebt von seinem akkuraten Plan dahinter und den können wir jetzt nicht einfach aus der Hand geben.“
    Keel'o zog die Augenbrauen hoch. Das war nicht die Art von Beistand, die er erwartet hatte. Ganz im Gegenteil, diese Widerstandskämpfer pochten darauf, der Bulle im Ring zu bleiben und angesichts der Zeitnot, in der sie waren, erschien Keel'o solch ein Verhalten nicht nur kindisch, sondern auch fahrlässig.
    „Euer Plan mag akkurat sein, doch es fehlt euch an zu vielen Antworten auf zu viele Fragen. Wie kommt ihr rein? Wie knackt ihr das Sicherheitssystem? Wie bringt ihr eure Leute wieder raus? Was stellt ihr drinnen überhaupt an, damit die Behörden wirklich alles dicht machen? Habt ihr die richtige Ausrüstung dafür? Seid ihr bereit, Leben zu opfern? Ich kann euch die Antworten auf diese Fragen liefern, aber ich habe keine Zeit für Spielchen um den Platz des Alphas. Ihr müsst euch jetzt entscheiden, ob ihr mich dabei haben wollt oder nicht. Ich kann und will euch nicht hinterherrennen.“
    Keel'o sah fordernd in die Runde und nachdem niemand etwas sagte, senkte er die ausgebreiteten Arme wieder.
    „Nun gut, dann viel Erfolg dabei“, stellte der Infobroker fest, nachdem ihm niemand antwortete und wandte sich dem Ausgang zu. Er hatte genug von dieser Unentschlossenheit.
    „Warte“, sagte schließlich die Revolucionista, „ich sagte bereits, wir brauchen Hilfe. Du musst nur verstehen, dass wir nicht alles einfach in fremde Hände geben können. Wir haben Bedingungen.“
    Keel'o lächelte kalt. Endlich ging es ans Eingemachte.
    „Keine Sorge, die habe ich auch.“

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