Die berauschende Anwesenheit des Lyriums pochte noch immer in seinen Adern, als Rhaego die Augen aufschlug. Er fühlte sich benommen und merkwürdig steif. Mühsam stemmte er sich vom Boden hoch. Wie er dort gelandet war, wusste er nicht. Aber eines wusste er, hell und klar brannte es in seinem Bewusstsein: Er hatte den Dämon besiegt. Er hatte sich standhaft gezeigt, wieder und wieder, hatte sich gegen seine Verlockungen gestellt, die Versprechungen von Freiheit ignoriert... Er hatte es geschafft. In den Augen der Verzauberer um ihn herum sah er eine leise, anerkennende Bestätigung. Er hatte es geschafft. Den Dämon besiegt. Die Läuterung bestanden.
Er richtete sich ganz auf. Ein Lächeln der Erleichterung kam über ihn. Endlich war es vorbei. All die Befürchtungen, all die Furcht... vorbei!

Dann blickte er Dylan an und all seine Erleichterung zerfiel zu Asche, als er dessen kalten und berechnenden Blick sah. Natürlich hatte es Dylan sein müssen, der seine Läuterung beaufsichtigte. Vermutlich war er der Auserkorene gewesen, der ihm im Falle seines Scheiterns das Schwert in den Leib gerammt hätte. Vermutlich hätte ihm das überhaupt nichts ausgemacht, nicht mehr als das Zerdrücken einer Fliege an der Wand. Ob er sich wohl ärgerte, dass ihm das entgangen war? Dylans Gesichtsausdruck verriet nichts, lediglich dieses Abwägen, das Rhaego einen Schauer über den Körper jagte.
Schließlich öffnete der Templer den Mund und sagte ein einziges Wort: „Nein.“
Wie ein Faustschlag traf es Rhaego, ließ ihn wanken. „Was?“ Das darf doch nicht wahr sein! Sechs Jahre der Vorbereitung, das kurze Hochgefühl des Erfolges... und jetzt das. „Aber ich habe alles richtig gemacht! Der Dämon ist besiegt!“
Dylan zuckte mit den Schultern. „Ich traue dir immer noch nicht, Magier. Wir alle haben es gesehen – die größte Verlockung ist für dich den Turm zu verlassen. Früher oder später wirst du dieser Verlockung nachgeben und abtrünnig werden.“
„Das ist der Grund? Welchen Magier verlockt das nicht?“, rief Rhaego ungläubig aus. Er sah sich zu den Verzauberern um, doch wo er zuvor freundliche Anerkennung gesehen hatte, war nun nichts mehr, höchstens ein Schatten aus Angst. Nein. Sie würden ihm nicht helfen. Natürlich nicht. Er war auf sich allein gestellt.

Auf Dylans Kopfbewegung hin traten die Verzauberer einige Schritte zurück, während die anwesenden Templer ihren Kreis um ihn herum enger zogen. Rhaego blickte hektisch von einem zum anderen, dann wandte er sich wieder an Dylan: „Ist das ein Test? Noch ein Test? Ob ich mich beherrschen kann? Ob ich meine Lektion gelernt habe?“
Mit seinen eiskalten, ausdruckslosen Augen schüttelte der Templer den Kopf. „Nein. Kein Test. Ich traue dir nicht. Aber ich lasse dir die Wahl: Die Besänftigung oder der Tod. Deine Entscheidung.“
„Bitte?“ Rhaego konnte nicht glauben, was er hier hörte. „Es gibt keine Rechtfertigung dafür! Ich habe die Läuterung bestanden! Das Zirkelgesetz verbietet die Besänftigung eines Magiers nach der Läuterung!“ Wieder blickte er sich hilfesuchend um, doch er fand nichts. Die Verzauberer standen still im Hintergrund, die meisten hatten den Blick gesenkt. Um ihn herum war lediglich der dichte Kreis der Templer. Vor ihm wartete Dylans ausdrucksloser Blick. Panik stieg in ihm auf, wilde, unbeherrschbare Panik. „Ihr könnt das nicht tun!“, rief er. „Ich habe alles richtig gemacht! Ihr alle habt es gesehen! Der Dämon ist besiegt! Was verlangt ihr sonst noch?“
„Deine Entscheidung. Ich weiß, dass du uns verraten wirst. Aber nicht während meiner Wache. Also wähle: Besänftigung oder Tod?“
Entsetzt schüttelte Rhaego den Kopf. „Nein!“, keuchte er. „Ihr habt dazu kein Recht! Ihr dürft nicht...“
Mit einem scharrenden Geräusch zog Dylan sein Schwert. Rhaegos Herz pochte wie wild. Erneut blickte er sich um, doch er fand keinen Ausweg. Das Nichts war so verlockend nahe mit all seiner ungestümen Macht, doch gegenüber den Templern war es nutzlos. Panisch schüttelte er den Kopf.
„Bitte! Ich habe doch alles gemacht! Die Läuterung ist bestanden!“

Dylans Schwert glänzte bedrohlich im Licht der Fackeln, während der Templer einen Schritt auf ihn zu kam, doch es waren die starren, ausdruckslosen Augen, die Rhaegos Panik noch steigerten. „Besänftigung oder Tod“, wiederholte Dylan. „Wähle!“
Rhaegos Mund war wie ausgetrocknet. Verzweifelt schüttelte er den Kopf, ohne ein weiteres Wort herauszubringen. Unaufhaltsam trat der Templer einen Schritt nach vorne. Seine Hand schnellte vor und krallte sich über der Brust in Rhaegos Gewand. Schnell wie eine Schlange schoss die Klinge vor und ihre Schneide kam direkt vor Rhaegos Kehle zur Ruhe.
„Wähle!“