Hallo liebe Leute!

Wie bereits in einem vorherigen Thema angedroht, gibt es nun die Kurzgeschichte des Hexers Dalen zu lesen. Es dürfte euch allen sicher bewusst sein, aber es handelt sich hierbei um eine Fangeschichte. Ich habe, inspiriert durch das Spiel und die Bücher, den Hexer Dalen von Amell entworfen, den jüngsten Hexer der Greifenschule.
Da ich recht neu im Thema der Kurzgeschichten bin, habe ich es auch mit Kritik sehr gelassen. Nehmt euch doch die Zeit, die kleine Story zu lesen uns sagt mir, was ihr davon haltet. Ich bin für positive und negative Kritik offen. Dankeschön für eure Zeit und viel Spass beim lesen

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Der Hexer der Greifenschule: Begegnung

Die Finsternis in dieser Nacht war undurchdringlich. Dunkle Wolken waren am Himmel aufgezogen und hatten Mond und Sterne verdeckt. Ein frischer Wind war aufgezogen und das Flüstern und Raunen der Bäume und Sträucher wurde immer lauter, beinahe unerträglich. An einem kleinen Feuer und in eine Decke gehüllt, sass eine Gestalt auf einem kleinen hölzernen Hocker und ver-suchte vergeblich sich zu wärmen. Es würde nicht mehr lange dauern und es würde zu regnen be-ginnen, da war er sich sicher.
Eine weitere Gestalt stand etwas abseits und versuchte sich durch krampfhaftes Auf und Ab die Zeit bis zum Morgen zu vertreiben. Die Laterne, die er dabei in den Händen hielt, diente mehr dazu ihn wach zu halten, als das sie wirklich dazu gebraucht worden wäre, um die Finsternis zu vertrei-ben. Denn egal wie viele Feuer man in dieser Nacht auch entzündet hätte, es wären nicht genug gewesen. Weder um sich zu wärmen, noch um Licht zu schaffen. Aber selbst eine Kerze wäre bes-ser gewesen, als in vollkommener Dunkelheit zu sitzen und in die Nacht hineinzustarren. Ein Blick über die Schulter zeigte, dass das kleine Städtchen tief und fest schlief. Niemand, nicht einmal der grösste Säufer, war jetzt noch auf den Beinen. In weniger als zwei Stunden würde die Sonne auf-gehen und den Anfang eines neuen Tages ankündigen und somit auch den Beginn von Arbeit und Handel. Doch bis dahin, galt es zu warten und zu wachen so gut es ging.
Wie aus dem Nichts vernahm er plötzlich ein angsterfülltes Wiehern, das vom Wind bis zu ihm hin-aufgetragen wurde. Ängstlich erhob er sich von seinem Platz am Feuer. Er umklammerte den Griff des alten Schwertes, dass er unter der Decke versteckt hatte fester. Hier in der Nähe trieb ein Un-geheuer sein Unwesen. Bereits zwei Menschen waren seinen Zähnen und Klauen zum Opfer gefal-len. Der Bürgermeister war nach Beauclair aufgebrochen und hatte dort die zuständigen Leute um Hilfe gebeten. Doch in der von hohen Mauern umgebenen Stadt wollte man nichts von den Ängs-ten der kleinen Leute wissen. So war Belhaven auf sich alleine gestellt. Wie immer.
Gespannt lauschte er in die Nacht. Er versuchte verzweifelt, über das Heulen des Windes hinaus zu hören. Doch nichts ausser dem Rauschen der Blätter war zu vernehmen. Vielleicht hatte er sich das Geräusch nur eingebildet? Vielleicht waren die langen Stunden, die er zum Wachdienst verdonnert worden war, zu viel für seine Nerven gewesen und nun hörte er schon dinge, die gar nicht da wa-ren. Langsam löste er die um das Heft der Waffe gekrallten Finger. Er musste es sich eingebildet haben. Niemand war verrückt genug, durch die Nacht zu reiten.
Er setzte sich wieder hin und verkroch sich unter der rauen Decke. Trotz dem Licht des Feuers und der Laterne, hielt er das Schwert nahe seinem Körper und versuchte, nicht an das Geräusch zu denken. Es war seiner Fantasie entsprungen. Seinem müden Geist, der die langen Stunden des…
Ein ängstliches Wiehern erklang, deutlich diesmal und ganz nahe. Er schaute in die Finsternis der Nacht und ehe er ihn richtig sehen konnte, ritt ein Fremder auf einem scheckigen schwarz-weissen Pferd in den Schein der Laterne, die sein Freund hielt.
Der Mann war furchtsam anzusehen. In grünes, mit einem stilisierten Greifenkopf versehenes Le-der und einem stählernen Kettenhemd gehüllt, wirkte der Fremde wie der Vorbote des Todes selbst. Die Griffe zweier Schwerter ragten über der rechten Schulter des Fremden und glitzerten gefährlich im Licht der Laterne. Das dunkle Haar war streng nach hinten gekämmt und geölt wor-den. Das harte aber durchaus gutaussehende Gesicht wurde von einer langen Narbe verunziert, die sich von der Schläfe bis hinunter zum Kinn zog. So bedrohlich dieser Mann auch aussah und so furchteinflössend seine Ausrüstung auch war, das grauenvollste waren jedoch seine Augen, die in einem kränklichen gelb aufleuchteten und wie die einer Katze aussahen. Der Hexer war zurückge-kehrt.
„Ich muss zum Bürgermeister.“, knurrte der Hexer mit tiefer Stimme. Seine Katzenaugen fixierten dabei seinen Freund, nur um einen Augenblick später in seine Richtung zu blicken. Ihm wurde kalt und er spürte, wie die Kraft aus seinen Gliedern schwand. Sein Freund schien von dem gelben Blick des Hexers unberührt.
„Der Bürgermeister schläft.“, blaffte er den Hexer an und dieser wandte seinen Blick dem Mann mit der Laterne zu. „Dann wecke ich ihn eben auf.“, knurrte jener zurück und gab seinem Pferd Schenkeldruck. Das Tier gehorchte und setzte sich in Bewegung.
Gerade machte sein Freund mit der Laterne Anstalten sich dem Hexer in den Weg zu stellen, als eine Hand ihn davon abhielt. Unbehelligt zog der Monsterschlächter weiter und würdigte die bei-den Wachen dabei keines Blickes. Die beiden Männer blickten ihm nach, bis sie der Meinung waren er sei ausser Hörweite, und fluchten dann: „Mutant.“
Obwohl er es nicht hätte hören sollen, vernahm Dalen jede einzelne Silbe des Wortes, die der Mann ausstiess. Ihm war beigebracht worden, dass Hexer keine Gefühle hatten. Das sie Instru-mente des Todes waren, die sich von jedem mit genug Geld anheuern lassen konnten, um für sie Dinge aus der Welt zu schaffen. Hexer waren gefühlslose, rücksichtslose, gnadenlose und effizien-te Jäger. Doch all diese Erklärungen und all dieses Wissen und all seine Ausbildung konnte ihm nicht sagen, warum er so viel Wut empfand. Wut über die Worte der Bauern und Städter, für die er sein Leben riskierte und die ihm all seine Taten mit Missachtung und Hass vergüteten. Brodelnde, ab-grundtiefe Wut über die Menschen, die zu beschützen er erschaffen worden war.
Während er in Gedanken versunken gewesen war, hatte er nicht bemerkt, dass Spitzohr, sein Pferd, vor einem grossen mit einem Gartenzaun versehenen Haus stehen geblieben war. Dalen sprang aus dem Sattel, löste den Knoten mit dem der Jutesack an seinen Sattel festgebunden war und schritt zur Tür. Mit der Faust donnerte er so laut gegen die Tür, das selbst die Nachbaren den Krach hören mussten.
Er hörte das rascheln der Decke und die tapsenden Schritte, die die Treppe hinabhuschten. Er war nicht alleine. Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, erklang hinter der Tür eine zitternde Stimme, die fragte: „Wer ist da?“
Dalen grinste. „Hier ist die Wache Ihrer kaiserlichen Majestät Emhyr var Emreis von Nilfgaard. Ihr und Eure gesamte Familie seit mit sofortiger Wirkung verhaftet!“
Deutlich vernahm Dalen wie der Bürgermeister nach Luft schnappte. Einen Augenblick später wur-de der Riegel der Tür zurückgeschoben. Ohne Vorwarnung trat Dalen in das Haus noch bevor es dem Bürgermeister in den Sinn kam, die Tür erneut zu verschliessen. Im Schein einer Kerze, die ein junges Mädchen trug, das hinter dem Bürgermeister stand, fand sich der Hexer in einem einladen-den kleinen Vorzimmer wieder. Ein kleiner runder Teppich bedeckte den Parkettboden und ge-genüber dem Eingang standen zwei Sessel und ein grosser Kamin. Rechts neben der Eingangstür führte eine Treppe in den zweiten Stock und zu den Schlafräumen.
„Was soll denn das?“, fragte der Bürgermeister, ein älterer ausgemergelter Herr mit einem Gesicht, das an ein Frettchen erinnerte. Er trug einen purpurnen Morgenmantel mit schwarzen Stickereien. Seine Füsse steckten in fellgefütterten Pantoffeln und auf der krummen Hackennase ruhte eine Brille. Das Mädchen, das hinter dem alten Mann stand, trat einen Schritt nach vorn und lege ihrem Vater eine Hand auf die Schulter. Sie war jung. Sechszehn oder siebzehn Jahre, allerhöchstens. Und sie war hübsch. Hübscher als die meisten anderen Mädchen, die Belhaven zu bieten hatte. Die Ar-beit in den Eisenmienen oder den Schmelzöfen der kleinen Stadt liess aus den zarten und wunder-schönen Geschöpfen, Wesen mit dicken Armen und starken Handgelenken werden, die es ohne Probleme mit einem ausgewachsenen Wyvern aufnehmen konnten. Sie jedoch war anders. Schlank, goss und mit goldener Lockenmähne, besass die Tochter des Bürgermeisters alles was ein Mann begehrte. Abermals fragte sich Dalen, wie so ein hässlicher kleiner Kerl eine so wunderschö-ne Tochter haben konnte.
„Was willst du hier?“, blaffte ihn der Bürgermeister an und reckte sein schmales Kinn stolz in die Höhe. „Mein Geld abholen.“, meinte Dalen und öffnete den Sack. Daraus plumpste ein rundlicher Gegenstand heraus und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden. Die Tochter des kleinen Frettchens stiess einen spitzen Schrei aus und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, sodass es mit dem weissen Nachtrock um die Wette leuchtete. Denn auf dem Fussboden lag der abgetrenn-te Kopf einer Bruxa, den Mund weit aufgerissen, die Zunge hängend und die spitzen Fangzähne voller Blut.
„Eine Bruxae, wie bestellt.“, meinte Dalen nur und zwinkerte dem blonden Mädchen zu. Dem Frettchen-Bürgermeister passte das offenbar gar nicht. „Warte hier, ich hole dein Geld.“, meinte er, machte auf den Absätzen kehrt und verschwand die Treppe hinauf.

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Dalen blieb alleine mit dem jungen blonden Mädchen zurück, das immer noch Mühe hatte sich den abgetrennten Kopf des Vampires anzuschauen. Dalen starrte sie unverhohlen an und musterte jede Einzelheit der bleichen ebenmässigen Züge. Unbewusst berührte er seine Narbe im Gesicht, die sich vom rechten Augenwinkel bis hinunter zum Kinn zog. Das Ergebnis eines Fehlers, den er einmal begangen hatte.
Gerade öffnete Dalen den Mund, um die Schönheit der jungen Dame zu preisen, als ihr Vater wie-der ins Zimmer stürmte und ihm einen Beutel zuwarf. Spielerisch fing Dalen den Stoffbeutel, ent-knotete die Schnüre und blickte hinein. Eine Vielzahl silberner Münzen glitzerte darin. „Wie viel ist da drin?“, fragte er misstrauisch und warf dem Bürgermeister einen vernichtenden Blick seiner gelben Augen zu. Der kleine hagere Mann liess sich davon nicht beeindrucken und antwortete: „Hundertfünfzig Florin, wie abgemacht.“
Dalen nickte zufrieden und lächelte erneut. „Wie abgemacht.“, wiederholte er, deutete eine Ver-beidung an und schritt zur Tür.
„He, nimm gefälligst das Ding mit, das du hier hast liegen lassen!“, keifte ihn der Bürgermeister an. Dalen kümmerte sich nicht um das Gezeter des alten Mannes, stattdessen schwang er sich in den Sattel von Spitzohr und rief einfach über die Schulter: „Beseitigen von Überresten kostet extra.“
Er hörte noch wie der alte Mann zu fluchen begann und ihm drohe, er würde ihn nächstes Jahr aus der Stadt jagen lassen. Belhaven war seit vier Jahren ein festes Ziel von Dalen und jedes Jahr brüllte ihn irgendjemand an er würde ihn das nächste Mal lynchen oder hängen. Und trotzdem hiess man ihn jedes Jahr aufs Neue willkommen und empfing ihn mit offenen Armen. Kein Wunder, gab es doch jedes Jahr aufs Neue irgend ein Geschmeiss mit dem die Menschen des kleinen Städtchens nicht fertig wurden. Die Beamten von Beauclair kümmerten sich im Normalfall nicht um die Ängste der Menschen hier. Es sei denn, die Erzlieferungen blieben aus. Und das war, soweit Dalen wusste, noch nie vorgekommen.
Er lenkte Spitzohr gemütlich durch die Gassen und hielt auf die Taverne zu in der er abgestiegen war. Dort lagen ebenfalls ein Teil seiner Habseligkeiten und ein warmes Essen und ein guter Schluck Wein warteten nur darauf genossen zu werden. Es dauerte knapp eine halbe Stunde, bis Spitzohr vor einem grossen mehrstöckigen Haus stehen blieb. Dalen sprang aus dem Sattel und warf dem Stallburschen, der gerade aus einem kleineren Nebengebäude kam und sich die Augen rieb, einen silbernen Florin zu. „Behandle mein Pferd gut, hast du verstanden?“, rief er ihm zu und verschwand in die Taverne, während der Bursche verwirrt auf die Münze starrte und dann grinste.
Der Schankraum war mehr oder weniger leer. Kein Wunder. In weniger als einer Stunde würde es Morgen sein und die Arbeit würde beginnen. Auch der Wirt und Besitzer der Taverne war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich schnarchte er gemütlich vor sich hin. Also nahm Dalen sein spätes Mahl selbst in die Hand und ging schnurstracks zur Küche. Unerwarteterweise war aber schon jemand wach. Ein rundlicher Mann mit einer schneeweissen Schürze stand an einem Ofen und bemühte sich gerade damit, Feuer zu entfachen. So rundlich wie sein ganzer Körper war auch sein Gesicht. Es verriet auf Anhieb das gutmütige Wesen des Mannes und seine Halbglatze bestärkte den Eindruck dessen, was Dalen schlicht einen Onkel nannte.
„Kann man dir zur Hand gehen?“, fragte Dalen und trat nun vollends in die Küche ein. Erschrocken richtete sich der rundliche Mann auf und hielt ihm die Kerze entgegen. „Meister Hexer.“, machte er und atmete erleichtert aus. „Du hast mir aber einen Schrecken eingejagt. Ich dachte schon, wer sich denn da angeschlichen hat.“
„Was machst du da, Meister Jung? So früh schon auf den Beinen?“, gab Dalen zur Antwort und trat an den beleibten Wirt heran. Melchior Jung, der Besitzer der Taverne Zum Eisernen Gral, deutete mit dem Kopf aus den Ofen. „Ich versuche ein Feuer zu machen. Aber der Zunder ist irgendwie nass geworden. Offenbar hat einer meiner Gehilfen Wasser verschüttet. Na wenn ich den in die Finger kriege, der kann sich auf etwas gefasst machen.“
„Immer mit der Ruhe, Meister Jung. Ist doch halb so schlimm.“, entgegnete Dalen und lehnte sich an die Wand während er den dicken Mann dabei beobachtete, wie er krampfhaft versuchte im Ofen Feuer zu machen. Nach einer Weile gab er auf und warf ergeben die Hände in die Luft. „Dann müssen meine Gäste eben auf ihr Brot warten. Das ist mir noch nie passiert, Meister Hexer, noch nie! In über zwanzig Jahren im Geschäft, ist es noch nie vorgekommen, dass meine Gäste kein fri-sches Brot am Morgen hatten.“
„Vielleicht kann ich helfen.“, sagte Dalen und lächelte. „Und wie? Sag bloss nicht, dass ihr Hexer Zunder trocknen könnt.“
Dalen behielt sein Lächeln bei und zuckte die Schultern. „Naja, wir Hexer haben so unsere Metho-den. Aber du weisst, wir arbeiten nicht um sonst.“
Melchior Jung zog die Augenbrauen zusammen und betrachtete ihn argwöhnisch. Schliesslich nick-te er und fragte mit gedämpfter Stimme: „Wie viel?“
Dalen musste sich beherrschen um nicht zu lachen. Sein Streich gelang ihm besser als gedacht. So tat der junge Hexer so, als müsse er überlegen. Schliesslich lachte er. „Wenn du mir etwas zu essen machst und ich einen Schluck Wein dazu nehmen kann, dann helfe ich dir.“
Die Mine des Wirtes hellte sich auf und er lachte mit lauter dröhnender Stimme. „Ich mache dir zu essen was du willst. Wenn du mir nur das Holz hier anzündest.“
„Abgemacht!“, sagte Dalen und trat an den Ofen. Er verformte die Finger seiner Hand zu einem seltsamen Zeichen und keine Sekunde später schossen Funken aus seinen Fingerspitzen. Im Nu brannte das Holz lichterloh und die Flammen erhellten einen Teil der Küche. Zufrieden trat Dalen vom Ofen weg und verschränkte die Arme. „An die Arbeit, Meister Jung. Fleisch muss es sein und warm auch. Alles andere überlasse ich deinen fähigen Händen. Ich warte im Schankraum.“
Während sich der dicke Koch an die Arbeit machte, setzte sich Dalen in den Schankraum und schloss die Augen. Seine Hand wanderte unbewusst zum Medaillon, dass er um den Hals trug. Es hatte die Form eines Greifenkopfs dessen Schnabel zu einem stummen Schrei aufgerissen worden war und dessen Augen aus grünen Smaragden bestand. Das Zeichen seiner Zunft, das Zeichen sei-ner Schule, das Zeichen seiner Familie.
Er hörte wie Melchior die Tür zum Schankraum aufstiess und eintrat. Dalen öffnete die Augen und blickte aus dem Fenster. Die Sonne war bereits aufgegangen und erhellte einen Teil des grossen Zimmers voller Stühle und Tische. Es würde zwar noch ein wenig dauern, bis der leuchtende Him-melskörper komplett über den Horizont geklettert war, aber für die Augen eines Hexers, war es bereits mehr als genug. Fragend kratze sich Dalen am Kopf. Er musste wenigstens eine dreiviertel Stunde meditiert haben, ohne das er es gemerkt hatte.
Meister Jung stellte das Essen, ein Stück gebratenen Hammel mit Kartoffeln und Rüben, vor ihn auf den Tisch. Legte einen dampfenden Laib Brot, einen Krug und einen Becher dazu. Mit einem fre-chen Grinsen machte der dicke Wirt kehrt und verschwand in die Küche.
Dalen ass sein wohlverdientes Mahl und spülte das Ganze mit dem besten Wein aus Meister Jungs Keller hinunter. Zwar hatte er auch schon besseren Wein getrunken, aber für eine so schlichte Ta-verne war es kein allzu schlechter Tropfen. Gesättigt begab sich der junge Hexer auf das Zimmer, dass er vor wenigen Tagen gemietet hatte. Er kam jedes Jahr in die Taverne von Melchior Jung. Er mochte den dicken Mann und seine Familie. Seine Tochter wollte ihn immer dazu zwingen ihr Fechtunterricht zu geben, was Mutter und Vater gar nicht gerne sahen. Seine beiden Söhne, die acht und sechs Jahre alt waren, liessen keine Gelegenheit aus mit ihm zu raufen. Zwar war das nicht immer so gewesen, und auch jetzt noch, merkte Dalen, dass Melchior eine gewisse Zurückhaltung ihm gegenüber zeigte, aber jedes Mal wenn er die Kinder des Wirtes sah und mit ihnen Zeit ver-brachte, verflog all seine Wut und löste sich in Nichts auf.
Dalen löste die Riemen seiner Rüstung und legte sie auf den Stuhl, der in seinem schlichten Zimmer stand. Er sog das Kettenhemd aus, das er unter dem grünen gehärteten Leder getragen hatte und legte es ebenfalls auf besagten Stuhl. Er entledigte sich der Gefütterte Stoffjacke und warf sie ein-fach auf den Boden. Zu guter Letzt kamen die Stiefel dran, die er ebenfalls achtlos durch das Zim-mer schleuderte. Nur seine Schwerter, das eine aus Silber und das andere aus Stahl, lehnte er an die Wand neben sein Bett. Jederzeit griffbereit.
Zufrieden legte sich der Hexer auf das schlichte Bett und starrte an die Decke. Erneut kreisten seine Gedanken um die Kinder des Bürgermeisters und die Tatsache, dass sie keinerlei Furcht vor ihm zeigten. Zum tausendsten Mal in seinem zweiundfünfzig Jahre andauernden Leben fragte sich Da-len ob es sich so anfühlte, wenn man Kinder hatte. Ob sich dieses gute Gefühl jedes Mal einstellte, wenn man die lachenden kleinen Gesichter sah. Abermals in dieser Nacht bestätigte sich seine Vermutung und das Wissen und die Lektionen seiner Meister wurden bedeutungslos. Hexer, so war er sich sicher, konnten doch Gefühle haben.

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Der nächste Morgen, oder genauer gesagt der nächste Nachmittag, begrüsste ihn mit dem Lärm von Schmiedehämmern und dem Zischen glühenden Eisens, das in kaltem Wasser abgeschreckt wurde. Licht flutete das kleine Zimmer und zu allem Überfluss trafen die Strahlen seine empfindli-chen Augen. Hexeraugen waren auch ohne ihre berühmten Tränke schon empfindlich genug und er brauchte es daher nicht unbedingt, das ihm die Sonne einen Streich spielte.
Fluchend erhob sich Dalen aus seinem Bett und blickte aus dem Fenster. Er hatte sich verschätzt. Es war nicht Nachmittag sondern früher Abend. Bald würden die Menschen von Belhaven ihr Tagwerk beenden und in ihre Häuser zurückkehren. Dann wären die Sorgen des heutigen Tages vergessen und man würde sich auf einen neuen Tag einstellen.
Dalen zog sich an und vergas dabei keine Einzelheit. Er überprüfte den Sitz der Rüstung und seiner Schwerter. Unter dem Bett zog er einen Rucksack hervor und öffnete ihn. Darin befand sich eine kleine Kiste, deren Inneres mit separaten Wänden getrennt war und mehrere seiner Tränke ent-hielt. Ein kurzer Blick hinein versicherte ihm, das sein Vorrat noch ausreichte und er keinerlei neuen Kräuter brauchte. Ausserdem fanden sich mehrere Messer, Schleifsteine, fünf Fläschchen mit Ölen, verschiedene Kräuter, die in einem Beutel verschnürt waren und eine lederne Mappe mit Operationswerkzeug. Auch ein Hexer musste sich ab und an selbst zusammenflicken.
Zufrieden erhob Dalen sich vom Bett und öffnete den einzigen Schrank im Zimmer. Daraus nahm er sich seinen Reiseumhang und warf ihn sich über die Schulter. Gerüstet und bereit zum Aufbruch machte er sich auf in den Schankraum, um seine Zeche zu bezahlen und eine letzte Mahlzeit vor seiner Abreise einzunehmen. Der Unterschied zum frühen Morgen hätte nicht grösser sein kön-nen. Der Schankraum platzte aus allen Nähten. Es gab offenbar keinen einzigen Platz, der nicht besetzt war. Selbst an der Theke, hinter der sich Melchior Jung herumtrieb und hastig Bier und Wein einschenkte, tummelten sich bereits Leute. Eine Schankmagd – Dalen hatte ihren Namen vergessen – lief eilig hin und her und brachte alle möglichen Getränke, oder räumte Tische ab, die sofort wieder besetzt wurden, kaum waren die Gäste gegangen.
Dalen quetschte sich zwischen einem grossen Schmied und einem Minenarbeiter hindurch zur Theke und sah zu Melchior. Der dicke Wirt bemerkte ihn sofort und deutete mit einer Handbewe-gung an, dass er gleich bei ihm sein würde. Er rief nach seiner Frau, die augenblicklich aus der Küche kam. Die Dame Jung war eine schlanke Frau mittleren Alters, deren Haarfarbe sich von schwarz in silbern verwandelte. Genau wie ihr Mann trug sie eine weisse Schürze und ein schlichtes Kleid da-runter. Sie nahm den Platz von Melchior ein, während sich der Wird zum Ende der Theke begab, gefolgt von Dalen.
Ein Tisch war gerade frei geworden und Melchior setzte sich sofort. Niemand währe auf den Ge-danken gekommen den Besitzer des Grals zu bitten, ihnen den Tisch zu überlassen. Die Gäste, die hierher kamen, wussten, dass der Gral eine einzigartige Taverne war, deren Preis-Leistungs-Verhältnis perfekt übereinstimmte. Man konnte gutes Essen und guten Wein zu fairen Preisen erwerben.
Dalen nahm gegenüber Melchior Platz während sich der dicke Wirt mit der Schürze die Stirn abtupf-te. „Verdammt viel los heute, Meister Jung. Das wird ein gutes Geschäft geben.“
„Ich habe schon mehr erlebt, vertrau mir. Einmal war die Taverne so voll, dass ich sogar Bänke und Tische draussen aufgestellt habe.“, meinte der Gastwirt und blickte ihn mit ernstem Gesicht an. „Du gehst schon?“
Dalen nickte. „Es ist schon Herbst. Ich muss mich auf den Weg machen. Die Hexer meiner Schule kommen dieses Jahr zusammen. Und ich möchte mir die Chance nicht entgehen lassen, den alten Georg von Kagen zu sehen.“
„Ich glaube ich habe schon von ihm gehört.“, gab Melchior nachdenklich zurück und blickte ihm dann in die Augen. „Hör zu, Meister Hexer. Ich weiss, ich erwecke vielleicht nicht den Anschein, aber ich kann dich wirklich gut leiden. Und meine Familie auch. Arald und Sven können nicht genug von dir bekommen. Jedes Mal wenn du gehst, sind die beiden für Monate untröstlich.“
Dalen lächelte bei dem Gedanken an die beiden schwarzhaarigen Jungen. Er mochte sie auch. „Wo-rauf willst du hinaus, Melchior?“
Der Wirt lehnte sich in seinem Stuhl nach hinten und faltete die Hände auf den Bauch. „Eleanor und ich haben uns über dich unterhalten. Und wir wollen dir eine Arbeit anbieten. Nicht als Tellerwä-scher oder so etwas in der Art. Wir wollen dich als Sicherheitsmann und Rausschmeisser. Du be-kommst ein eigenes Zimmer, Essen und über den Lohn lässt es sich verhandeln.“
Dalen schaute den dicken Wirt fassungslos an. Zumindest so fassungslos, wie ein Hexer eben schauen konnte. Bot ihm Melchior gerade Arbeit an? Eine Arbeit, die es ihm ermöglichen würde, ein ruhigeres Leben zu führen? Sich niederzulassen und so etwas wie einen festen Wohnsitz be-kommen?
Unsicher schaute Dalen sich in der Taverne um. Er wusste nicht, was er antworten sollte. War sein Angebot ernst gemeint? Und warum unterbreitete er es ihm überhaupt. Die andere Frage war, ob er es auch tun konnte. In seinem ganzen Leben vorher, hatte er nichts anderes gekannt als das Leben eines Hexers. Selbst seine Kindheit war dadurch geprägt gewesen, dass er von einem Ort zum anderen gereist war.
„Ich weiss ehrlich gesagt nicht, was ich sagen soll.“, erwiderte Dalen, nachdem er eine ganze Weile nur stumm dagesessen hatte. Melchior lächelte ihn an. „Sag doch einfach, Ja.“
Dalen schüttelte leicht den Kopf. „Vielen Dank für dein Angebot, Melchior. Ich weiss es wirklich zu schätzen. Aber…“
„Aber du kannst es nicht annehmen?“, schloss der dicke Gastwirt seinen Satz und hob eine Augen-braue. „Warum denn nicht? Weil alle hier in diesem Laden Angst vor dir haben? Weil alle Welt meint, Hexer seien böse Kreaturen, die nichts anderen können als zu töten?“
Dalen schwieg betrübt. Was hätte er denn darauf antworten können? Noch vor wenigen Stunden war er von einer Monsterjagt zurückgekommen. Er hatte die Bruxa kaltblütig umgebracht und hat-te dabei nichts empfunden. Weder Wut, Angst, Hass noch irgend ein anderes Gefühl.
Melchior seufzte. „Hör zu, Dalen! Das meine Kinder dich mögen und das du gerne mit ihnen Zeit verbringst, ist für mich Grund genug, dir zu vertrauen und dir dieses Angebot zu machen. Aber ich verstehe, dass du vielleicht eine Weile brauchst, um darüber nachzudenken.“
Dalen sah zu Melchior Jung und blickte direkt in das breite lächelnde Gesicht des Gastwirts. Mit einem Seufzer erhob er sich und rückte den Stuhl zurecht. „Gib mir deine Antwort einfach, wenn du das nächste Mal hier bist. Ich hoffe, du kommst nächstes Jahr wieder.“
„Mit Bestimmtheit. Vielleicht etwas später als sonst, aber ich werde kommen.“, gab Dalen zurück. Melchior schien zufrieden und ging wieder hinter die Theke. Er löste seine Frau ab, die in die Küche verschwand, nur um wenig später mit einem Tablett mit Fleisch, Kartoffelbrei und einem grossen Krug Wein wiederzukehren und ihn vor Dalen auf den Tisch zu stellen. „Iss lieber auf, bevor die Jungs noch auf den Gedanken kommen dich zu überfallen. Pass auf dich auf, Dalen. Und mögen die Götter über deinen Weg wachen.“
Dalen sah Eleanor nach wie sie wieder in der Küche verschwand. Er lächelte tief in sich hinein und begann damit, das Fleisch in Stücke zu schneiden. Heute, so fand er, schmeckte das Essen viel bes-ser als sonst. Und auch der Wein schien vollmundiger.
Während der Hexer sein Abendessen genoss, öffnete sich die Tür Zum Eisernen Gral und zwei Ge-stalten in langen Reisemänteln traten ein.
In diesem Augenblick begann Dalens Greifenkopf-Medaillon zu zittern. Es war eine schlichte, kurze und einfache Bewegung, die jemandem ohne geübtes Auge entgehen konnte. Doch dem Hexer entging sie nicht. Er schaute von seiner Mahlzeit auf und blickte vorsichtig zur Tür. Die zwei Frem-den waren inzwischen eingetreten und hatten die Tür, die hinaus in die Dämmerung führte, ge-schlossen. Sie sahen sich um. Schliesslich hatten sie gefunden, wen sie suchten und hielten direkt auf Dalen zu. Er selbst tat so, als ob er die beiden Fremden nicht bemerkte und ass gemächlich wei-ter. Als sie vor seinem Tisch stehen blieben, hatte Dalen schon eine Hand an den Dolch gelegt, der sich an seinem Oberschenkel befand, bereit jeden aufzuschlitzen, der dumm genug war ihn her-auszufordern.
Frauen, dachte Dalen nur, als ihm der Geruch von Parfüm in die Nase stieg. Eine der beiden war etwa so gross wie Dalen, der mit stolzen sechs Fuss keineswegs als klein bezeichnet werden durfte. Die andere Frau hingegen, die von der der grosse Parfümgeruch ausging, war kleiner.
„Seid Ihr der Hexer Dalen von Amell?“, fragte die kleinere der beiden mit hoher Stimme. Erst jetzt schaute Dalen auf und blickte in die Schatten unter den Kapuzen. „Wer will das wissen?“, gab er barsch zurück.
Als die kleinere der beiden Frauen keine Anstalten machte ihm zu antworten, widmete sich Dalen einfach wieder seinem Essen. Einige Gäste sahen nun zu den beiden gestalten hinüber, die offen-bar lebensmüde genug waren den Hexer zur ärgern. In freudiger Erwartung auf ein bevorstehen-des Blutbad begannen einige der Männer aufgeregt miteinander zu tuscheln.
„Ich bin Clara Verdan vom Hause Verdan von Beauclair.“, flüsterte die kleine Frau und setzte sich. Ihre Begleitung tat es ihr nach.
„Und was verschafft einem lumpigen Hexer wie mir die Ehre dieses Besuchs, hochwohlgeborene Durchlauchtigkeit?“, sagte Dalen und schaufelte eine Gabel voller Kartoffelbrei in sich hinein. Nun meldete sich die grössere der beiden Frauen zu Wort und sagte: „Erstens, heisst es Durchlaucht. Und zweitens, werdet Ihr sie mit Herrin Verdan ansprechen.“. Sie legte die Hände auf den Tisch und verschränkte die Finger ineinander.
Dalen legte seine Gabel ab und nahm einen tiefen Schluck von seinem Wein. „Erstens, solltet Ihr Handschuhe tragen, Fräulein Verdan. Denn Eure zarten und weichen Hände verraten Euch sofort. Zweitens, seid Ihr und Eure Begleitung ungefähr dreissig Jahre zu früh, um zu versuchen mich hin-ters Licht zu führen. Aber ich muss gestehen, die Idee Eure Grösse einzusetzen und Euch als Krie-gerin auszugeben, ist nicht schlecht.“
Der Gesichtsausdruck der kleineren Frau veränderte sich sofort. Er wurde hart und ihre grünen Augen verengten sich angriffslustig. „Wieso bin ich nicht überrascht?“
„Wieso habt ihr dann diese ganze Farce aufgezogen? Es wäre viel einfacher gewesen, einfach her-zukommen und sich zu setzten.“, gab Dalen zwischen zwei Bissen seines Essens zurück. Keine der beiden Frauen antwortete ihm. Er verleibte sich das letzte Stück Fleisch ein und legte die Gabel bei Seite während er darauf wartete, dass jemand etwas sagte. Als niemand sprach, ergriff er das Wort: „Hört zu, meine Damen. Wenn ihr beiden etwas von mir wollt, dann sprecht es aus oder verschwindet.“
„Wer sagte denn, dass wir etwas von dir wollen, Hexer?“, sagte die falsche Dame Verdan. Wahr-scheinlich war sie die Leibwächterin der echten Baroness.
Dalen lehnte sich zurück. „Wenn ihr nichts von mir wollt, dann werde ich mich an dieser Stelle ver-abschieden. Ich bin ein vielbeschäftigter Mann, müsst ihr wissen.“
Mit diesen Worten erhob sich der junge Hexer und nahm seinen Rucksack. Er nickte den beiden Frauen zu und wollte gerade an der Kleineren vorbeigehen, als er eine Bewegung ihrer Hand be-merkte. „Wollt ihr das wirklich tun? Hier drinnen? Wo euch alle sehen können und bezeugen kön-nen, dass ich nur mein Leben verteidigt habe?“, fragte Dalen und seine Stimme liess keinen Zweifel daran zu, wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen würde.
Die echte Clara Verdan legte eine Hand auf die Schulter ihrer Begleiterin. „Als wir hörten, dass ein Hexer in Belhaven ist, haben wir uns sofort auf den Weg gemacht. Wir, das heisst ich und meine Familie, bedürfen der Dienste eines Hexers.“, sagte sie. Ihr Blick richtete sich in weite Ferne und als er wieder zurück in die Taverne fand, standen Tränen in ihren braunen Augen. „Ich bitte Euch nur darum, Euch mein Angebot anzuhören. Falls Ihr entscheiden solltet es abzulehnen, dann werde ich es so akzeptieren.“
Dalen fluchte innerlich. Er spürte, dass das Angebot gut sein würde. So gut, das er es nicht ableh-nen konnte. Dennoch sagte ihm sein Bauchgefühl – und damit war sein Medaillon gemeint – dass es an der Zeit war zu verschwinden und sich nicht auf ein Gespräch mit Herrin Verdan einzulassen. Er zermarterte sich den Kopf darüber, was er nun tun sollte. Schliesslich, fand er sich selbst auf dem Stuhl wieder und seine gelben Katzenaugen fixierten Clara Verdan. „Macht Euer Angebot, Herrin. Ich höre zu.“
Die junge Edelfrau atmete erleichtert aus und zog ihre Kapuze zurück. Darunter kam schulterlanges rabenschwarzes Haar zum Vorschein. Es war nach der hiesigen Mode geschnitten und glänzte von vielen vitaminreichen Ölen behandelt wie poliertes Obsidian. Unter dem Haar brach sich das Licht an einem glitzernden Ohrring an dem eine grosse Perle hing. Sie hatte ebenmässige Züge und volle verführerisch geschwungene Lippen. Dalen musste an sich halten, um sie nicht anzustarren.
Nach einer Weile begann Clara Verdan zu erzählten. „Sagt Euch der Name Anna Henrietta etwas?“
Dalen nickte. „Madame Herzogin oder Eure Beliebtheit, wie man sie hier in der Gegend nennt.“ Clara Verdan nickte und fuhr fort. „Unsere Familien sind langjährige Freunde und es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, aber sie hat ihren Mann – die Götter mögen ihn bei sich aufnehmen – zu Lebzeiten betrogen.“
Dalen pfiff durch gespitzte Lippen. „Alle Achtung! Hätte nie gedacht das so etwas auch bei den ho-hen Würdenträgern passieren kann. Und, hat sie es getan? Ihren Mann umgebracht, meine ich?“
„Senke deine Stimme, Hexer“, zischte die Leibwächterin. „Oder ich schneide dir die Zunge heraus und verfüttere sie an die Hunde.“
Dalen sah ungerührt zu der jungen Kriegerin. „Wir können das jederzeit klären. Wenn dein Schwert so schnell ist wie deine Zunge, würde ich gerne mit deiner Zunge Bekanntschaft schliessen.“
Die Kriegerin knurrte wütend und machte Anstalten sich zu erheben, ihre Hand wanderte unter den Mantel. „Delia!“, raunte Herrin Verdan ihre Leibwächterin an. „Setz dich, und misch dich nicht in unser Gespräch, hast du verstanden?“
„Aber Herrin, er hat…“, begann sie wurde aber schroff unterbrochen. „Ich weiss, was er getan hat. Er hat dich provoziert, um zu testen, ob wir nicht einfach alles erfinden. Ist es nicht so, Hexer?“
Der Hexer hatte keine Ahnung wovon die junge Baroness da redete, aber er hatte nicht die Absicht ihr zu wiedersprechen, zumal es so schien, als dass sie ihm mehr politisches Geschick zumass als er es eigentlich besass. Also tat er nur so, als ob er zur Seite sah. Ein Lächeln erschien auf ihrem Ge-sicht.
„Wie dem auch sei. Nein, Meister Dalen, Madame Herzogin hat ihren Gatten nicht meucheln las-sen. Er starb an einem Schlaganfall, ganz natürlich.“
Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht und sie würde wieder ernst. „Dennoch gibt die Familie des ehemaligen Königs Rajmund, Anarietta die Schuld am Tod ihres geliebten Sohnes. Und aus die-sem Grund, sind wir heute hier.“
Dalens Magen krafte sich schmerzhaft zusammen, als er sich vorstellte, was nun folgen würde. Bevor Baroness Verdan weiterreden konnte, lehnte er sich nach vorne und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. „Ich bin kein Meuchelmörder, durchlauchtigste Hochwohlgeformtheit. Es ist mir egal, was ihr von uns Hexern gehört habt. Wir sind keine kaltblütigen Killer, die durchs Land ziehen und Menschen und Monster gleichermassen umbringen. Sucht Euch jemand anderes für Euer Spiel.“
„Das wollte ich auch gar nicht sagen.“, fauchte die Dame Verdan wütend. „Lasst mich zu Ende er-zählen. Es geht nicht um Mord oder dergleichen. Es geht um einen Fluch, einen Fluch!“
Dalen knurrte eine missmutige Erwiderung, verschränkte die Arme und richtete seinen starren Blick auf die junge Herrin. Diese schnaubte einfach und fuhr weiter. „Herrin Anarietta wurde mit einem Fluch belegt. Sie isst nichts, sie schläft kaum und ihr Geist scheint… wirr zu sein. Ihr müsst uns hel-fen, Meister Hexer. Wir brauchen die Hilfe eines Fachkundigen.“
Dalen starrte in die Augen der jungen Adelsfrau. So sehr er sich auch anstrengte, er konnte kein Zeichen einer Lüge entdecken. Er hörte ihre regelmässige Atmung und sah das leichte Auf und Ab ihrer Brust. Schliesslich schüttelte er den Kopf. „Für mich klingt das nach einer Frau mit gebroche-nem Herzen. Wahrscheinlich hat ihr Liebhaber, mit dem sie ihren Mann betrogen hat, verlassen.“ Er lehnte sich nach vorne, stellte die Ellenbogen auf dem Tisch ab und verschränkte die Finger inei-nander, unwissen wie recht er mit seiner Vermutung hatte. „Ausserdem, habt Ihr nicht gesagt wie das alles mit Eurer Familie zusammenhängt. Ihr habt mir bis jetzt nur die Geschichte der Madame Herzogin geschildert, nicht aber was Ihr damit zu schaffen habt.“
Die braunen Augen der Herrin Verdan richteten sich auf ihn. Sie blickte ihn mit einer Mischung aus Bewunderung, Abscheu, Hilflosigkeit und Angst an. „Es geht um meinen Vater. Er wurde auf Ge-heissen von Herzogin Anarietta festgenommen. Unser Anwesen wurde beschlagnahmt und wir wurden des Verrates bezichtigt. Meine Mutter, mein kleiner Bruder und ich sind davongekommen aber…“
Ihre Stimme versagte und sie blickte auf den Tisch hinab. Mit ihrem Handrücken wischte sie sich eine Träne aus den Augen. Dalen betrachtete die junge Baroness eingehend. Immer noch war es ihm nicht möglich zu durchschauen, was sie vorhatte. War das ganze Treiben hier bloss eine Vor-stellung? Log sie ihn an? Oder sagte sie tatsächlich die Wahrheit? In all seinen Jahren als Hexer, hat-te ihn niemand angelogen und war mit dem Leben davongekommen. Menschen hatten versucht ihn über den Tisch zu ziehen und waren an seinen Klingen gescheitert.
„Ihr hofft also, dass ich den Fluch, von dem Ihr glaubt das er auf der Herzogin liegt, brechen kann, sie zur Vernunft kommt und Euren Vater wieder frei lässt. Sehe ich das nicht richtig?“, fragte Dalen völlig ungerührt von den Tränen der jungen Dame. Clara Verdan atmete tief ein und blickte ihn aus festen standhaften Augen an… und nickte.
Dalen seufzte und schüttelte mitleidig den Kopf. „Und wie habt Ihr euch das mit der Bezahlung vorgestellt? Ich bin nicht die Wohlfahrt.“
„Wenn der Fluch erst einmal gebrochen ist, dann gebe ich Euch so viel Florin wie Ihr nur tragen könnt. Ausserdem gebe ich Euch Land, so viel Land wie nie ein Hexer zuvor besessen hat. Ich gebe Euch…“, sprudelte Clara hervor und ihre Stimme überschlug sich beinahe, bis Dalen sie mit einer Handbewegung schweigen liess.
Die Worte der jungen Dame hatte in Dalen grosses Unbehagen hervorgerufen. Es gab keinen Fluch, dessen war sich der Hexer sicher. Die Dame Verdan hatte einfach alles verloren, was sie gekannt und geliebt hatte. Ihren Vater, ihre Mutter, ihren Bruder, ihr Zuhause und zu guter Letzt auch noch ihren Verstand. Sie bildete sich Dinge ein, die nicht existierten. Er blickte zur Leibwächterin der jun-gen Baroness, Delia. Sie blickte ihn weiterhin aus stahlharten kalten Augen an.
Er seufzte. „Es tut mir leid, Herrin. Aber ich kann Euer Angebot nicht annehmen.“, sagte er. Noch ehe er seine Gründe dafür vorlegen konnte, donnerte Clara ihre Faust auf den Tisch. „Warum nicht? Was hält Euch davon ab es anzunehmen? Es ist mir bewusst, dass ich jetzt kaum Geld habe, aber bei allem was mir heilig ist, ich schwöre, dass ich Euch alles geben werde was Ihr verlangt! Ihr müsst mir helfen!“, schrie sie verzweifelt und die umstehenden richteten ihre Blicke auf die Gestal-ten am Tisch.
Dalens Mine verhärtete sich und seine Augen blickten die Baroness mitleidlos an. „Ich muss gar nichts. Ausserdem bin ich nicht davon überzeugt, dass Euer ´Fluch´ überhaupt existiert. Euer Vater hat sich wahrscheinlich gegen die Familie König Rajmunds aufgelehnt und musste verschwinden. Das alles hat nichts mit mir zu tun. Geht, lasst mich in Ruhe und versucht möglichst lange nicht mehr hierher zu kommen.“
Wütend ballte die Baroness ihre Hände zu Fäusten und ihre Knöchel drohten aus der Haut zu sprin-gen. In ihrem Gesicht hatten Wut und Abscheu die Überhand über die anderen Gefühle gewon-nen. „Und was, wenn ich schwöre, Euer zu werden?“, fragte sie mit leiser, zitternder Stimme. Sie blickte ihn mit Tränen in den Augen an. „Sagt es mir! Würdet Ihr mir helfen, wenn ich mich Euch hingebe?“
„Herrin!“, zischte Delia entsetzt und warf einen vernichtenden Blick in Richtung des Hexers. „Tut das nicht! Er ist Eurer nicht wert. Wir können einen anderen Hexer finden. Einen, der uns hilft.“
Clara starrte ihre Leibwächterin an. „Wie lange glaubst du, wird Vater Zeit haben, ehe er gehängt wird?“ Ihr Blick richtete sich wieder zu Dalen. „Was sagt Ihr, Hexer? Meine Ehre und mit ihr mein Körper würden Euch gehören, bis ans Ende meiner Tage. Was sagt Ihr dazu?“
Dalen musterte die junge Adelsfrau eingehend. In ihren Augen erkannte er grossen Stolz und die Bereitschaft ihre Worte in die Tat umzusetzen. Obwohl sie dicke Reisekleider und schwere Stoffe trug, um sich gegen den Wind und die Kälte zu schützen, konnte Dalen ohne Probleme erkennen, dass sie ein Schönheit war. Ihr Körper war gross und besass verführerische Kurven. Sie war nicht dünn, aber auch nicht dick. Eine gelungene Mischung.
„Ich sage dazu das gleiche, was ich vorher sagte: Nein! Das ist Eure Angelegenheit und nicht mei-ne.“, gab Dalen zurück. „Und nichts liegt mir ferner, als mich mit einer verrückten und liebeskran-ken Herzogin anzulegen.“
Ruckartig erhob sich Clara und warf dabei den Stuhl hinten um. Wortlos warf sie sich die Kapuze über den Kopf und eilte hinaus. Delia, ihre Leibwächterin, folgte ihr auf dem Fusse. Bevor sie durch die Tür nach draussen ging, warf sie dem Hexer noch einen hasserfüllten Blick zu.
Die umstehenden Gäste blickte verwundern von der Tür zum Hexer und zurück. Aber auch nur so lange bis Dalen fragte: „Hat jemand ein Problem?“
Sofort wandten sich alle Gesichter von ihm weg und aufgeregtes Geschwätz begann. Nach einigen Minuten hörte man sogar schon wieder Gelächter. Melchior kam an seinen Tisch um das Geschirr abzuräumen. Er blickte Dalen fragend an. „Wer war das? Und was hast du ihnen angetan, dass sie so einfach mir nichts, dir nichts aufgestanden und gegangen sind?“
Dalen knurrte nur und blickte zu Melchior hoch. „Frag nicht. Ich will das ganze am liebsten verges-sen.“
Der Hexer griff in seinen Beutel und förderte fünf runde Silbermünzen zu tage, die er auf den Tisch legte. Er nahm eine weitere und legte sie ebenfalls auf den Tisch. Der dicke Wirt hob eine Augen-braue. „Das ist viel zu viel für drei Tage und Essen.“
Dalen erhob sich, warf sich den Rucksack über die Schultern und lächelte den Wirt an. „Nimm es einfach. Sieh es als Zeichen meines guten Willens.“
Melchior grinste, steckte die Münzen ein, hielt ihm die dicke Pranke hin und sagte: „Ein Hexer, der freiwillig sein hart verdientes Silber abgibt. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.“
Dalen ergriff die dargebotene Hand. „Halt die Ohren steif, Meister Jung. Und den Schwengel noch steifer, wenn es geht.“
Lachend zog der Wirt von dannen und Dalen verliess die Taverne. Er ging zum Stall wo der Stallbur-sche Spitzohr bereits gesattelt hatte. In freudiger Erwartung einer weiteren grosszügigen Beloh-nung, war der Schecke ebenfalls gestriegelt und gebürstet worden. Dalen nahm die Zügel in die Hand, sprang in den Sattel und sagte: „Danke, mein Junge. Und gib von dem Silber nicht alles auf einmal aus.“
Enttäuschung machte sich auf dem Gesicht des Jungen breit, als Dalen an ihm vorbei auf die Strasse und in Richtung Norden davonritt. Er liess das Städtchen Belhaven bald hinter sich und mit ihm auch die Erinnerungen an Clara Verdan. Der Hexer war sich sicher, dass – hätte er das Angebot ange-nommen – nichts Gutes daraus erwachsen wäre. Wahrscheinlich hätte ihn die Herzogin vierteilen lassen. Oder noch besser, sie hätte ihn erwürgt und dann verbrannt. Oder war es nur verbrannt? Er hatte vergessen, was die Menschen in dieser Gegend mit Hexe und Anderlingen zu tun pflegten, die unangenehm auffielen. Und zu der Sorte von Geschöpf, wollte Dalen nicht gehören.
Er ritt gemächlich die Strasse entlang und erfreute sich an einer kühlen Herbstnacht. Zwar hatte er überlegt, ob er nicht noch einige Tage in Belhaven verbringen sollte, hatte sich aber dagegen ent-schieden. Die Tatsache, dass die Hexer seiner Schule zusammenkamen, war Grund genug gewesen früher auszubrechen als geplant. Zwar wurden in den Amellbergen keine Hexer mehr ausgebildet, aber dennoch gab es noch eine Hand voll von ihnen. Und sie kamen alle fünf Jahre zusammen, um unter dem Mond der Mittwinternach gemeinsam zu trinken, Wissen und Geschichten zu tauschen und gefallener Kameraden zu gedenken. Dalen wunderte sich, ob es dieses Jahr alle schaffen wür-den.
Kurz vor Mitternacht legte eine kleine Pause ein und trank einen Schluck Brandwein, den er zuvor bei Melchor erstanden hatte. Er packte seine Sachen aus und gedachte etwas abseits der Strasse in einem kleinen Wäldchen, das auf einem Hügel lag, sein Nachtlager aufzuschlagen, als er das Ge-räusch hörte. Stahl traf auf Stahl, ein Schrei und ein dumpfer Aufschlag eines Körpers, der tot zu Boden fiel.
Dalen seufzte resigniert. Welcher normale Mensch war den schon so spät am Abend noch unter-wegs? Und überhaupt, wenn man mitten in der Nacht noch auf der Strasse herumirrte, dann we-nigstens bewaffnet und nicht alleine. Es sei denn man war ein Hexer, wie in seinem Falle.
„Nein!“, hörte er die panische Stimme einer Frau. „Fasst mich nicht an! Ich lasse euch alle umbrin-gen! Hört auf! Nein!“
Dalens Ohren spitzen sich. Er hatte diese Stimme gehört. Vor wenigen Stunden erst. Es war Clara Verdan, die da um ihr Leben schrie. Mit gezogener Waffe stürmte er an Reihen von Kiefern und Tannen vorbei der Quelle der hilfesuchenden Schreie entgegen. Dann sah er sie am Fusse des Hü-gels auf der anderen Seite seines Nachtlagers.
Es waren sechs Männer, die sich um eine einzelne Gestalt drängten. Zwei der Männer hatten Fa-ckeln in den Händen, während die anderen vier eine sich wehrende Frau zu Boden drückten. Einer der Männer mit der Fackel, riss an einem Bein, genauer gesagt riss er an der Hose, die die Dame Verdan trug. Dalen blieb keine Zeit nach der Leibwächterin Ihrer Gnaden zu suchen, denn es gelang dem Räuber endlich sich des Beinkleides der jungen Frau zu entledigen.
Noch ehe der bärtige Mann zu seiner Schandtat ansetzen konnte, fiel Dalen über ihn her wie ein hungriger Wolf. Sein Schwert pfiff durch die Luft und der Kopf des Vergewaltigers verselbstständig-te sich. Eine Fontäne roten Blutes ging auf die nähere Umgebung nieder und noch bevor ein Wort gesprochen werden konnte, trieb Dalen sein Schwert durch die Brust des nächsten Banditen.

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„Ein Monster!“, schrie einer der Männer und zog sein Schwert. Dalen hieb nach der Hand des Frem-den und trennte sie sauber ab. Kreischend und fluchend fiel der Mann zurück in die Dunkelheit. Nunendlich hatten sich die anderen Räuber zusammengeschlossen und hatten sich von ihrem Opfer ent-fernt. Clara lag am Boden und schluchzte, während sie sich vergebens bemühte ihre Beine zu bede-cken. „Sie haben sie umgebracht.“, schluchzte sie.
Erst jetzt erkannte Dalen nicht weit von ihm die Leibwächterin. Die junge Kriegerin lag auf der Erde, die grünen Augen weit aufgerissen vor Schreck, eine tiefe Schnittwunde klaffte in ihrer Kehle. Es schien so, als hätte sie sich im Todeskampf das Gesicht zerkratzt und mit den Füssen hatten sie den Erdboden aufgerissen. „Dafür werdet ihr büssen!“, knurrte Dalen und stellte sich schützend vor Clara und den Banditen. „Ach ja, wir sind zu dritt. Und glaub ja nicht, du hast schon gewonnen. Du hast uns nur überrascht. Auf ihn, Jungs!“
Mit lautem Gebrüll stürmten die drei Männer mit gezogenen Waffen auf ihn zu. Noch bevor sie zwei Schritte getan hatten, wurden alle drei von einer Welle magischer Energie zurückgeschleudert. Aus dem Gleichgewicht gebracht, hatten die drei Männer dem fegenden Schwert des Hexers nichts ent-gegenzusetzten. Der Erste starb durch einen tiefen Schnitt, der ihm die Gedärme aus der Bauchhöhle trieb. Der Zweite wurde enthauptet, als sich der Stahl des Hexerschwertes durch Haut, Muskeln und Knochen frass. Der letzte der Banditen, erkannte gerade noch, das er und seine Freunde einen gros-sen Fehler begangen hatten, sich mit dem Hexer anzulegen. Doch jede Einsicht kam zu spät, denn Da-lens Schwert schnitt ihm eine tiefe Kerbe in den Hals. Gurgelnd und Blut spuckend, fiel der Mann um wie ein Sack Kartoffeln. Dalen atmete tief ein und aus. Er hörte das Wimmern des letzten Mannes, der nahe bei einer der Fa-ckeln lag und sich das Hemd auf den blutigen Stumpf presste. Wütend hielt er ihm das Schwert vor die Nase. „Ich hoffe du kannst mir etwas erzählten, das mich davon abhält dich in Stücke zu schneiden, Abschaum!“
„Ich weiss nichts!“, flehte der Mann. „Bitte, ich weiss nichts.“ Dalen trat vor, packte den Mann am Kragen und hob ihn mit einer Hand in die Höhe. „Ich frage dich ein allerletztes Mal. Fang lieber an zu singen, oder ich hacke dich in kleine Scheiben und verfüttere dich an die nächsten Ertrunkenen, die ich finde.“
Der Bandit begann zu wimmern und Dalen roch den beissenden Gestank von Urin, als sich sein Ge-fangener in die Hosen machte. „Wir haben einen Tipp bekommen, mehr nicht. Jemand hat uns ge-sagt, das zwei Frauen Belhaven heute verlassen werden. Wir dachten nur an ein wenig Spass. Bitte, Herr, tötet mich nicht.“

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Dalen warf den Mann voller Abscheu von sich. Er achtete nicht auf die Dankeshymnen an ihn son-dern ging zu Clara. Die junge Baroness war zu einem Häufchen Elend zusammengeschrumpft. Ihr ge-öltes Haar war zerzaust und ein grosser blauer Fleck bildete sich schon auf ihrem Gesicht. Blut lief ihr aus der Nase und vermischte sich mit den Tränen. Ihr offenbar grünes Seidenwams hing in Fetzen an ihrem Körper und zeigte unzüchtig viel Haut. Sie trug keine Stiefel und keine Hose mehr und das ein-zige, das ihre Würde noch ein wenig aufrecht erhielt, war der Reisemantel, der zwar zerrissen, aber nicht ganz in Fetzten war. Dalen kniete sich neben Clara und sie richtete ihren Blick auf ihn. „Habt keine Angst.“, meinte er und reichte ihr seine Hand. „Niemand wird Euch etwas antun.“