Das war genau der Grund warum Juliette, deren Ärger bei jeder Verzögerung wuchs, meist lieber allein unterwegs war. Begleiter konnten einen gewaltig ausbremsen und in Situationen wie diese zählte jeder Augenblick.
„Meine Güte, das interessiert die Räuber doch nischt!“, kam es erregt von Juliette entsetzt über diese weltfremde Naivität der Dalish. Ihre Häscher würden wohl kaum brav darauf warten bis sie sich die Mägen vollgeschlagen hatten und erst dann handgreiflich werden. Das wäre genauso wahrscheinlich wie ein jagender Fuchs der dem gejagten Hasen einen Vorsprung gewährte. So eine Blauäugigkeit hätte sie einem Kind und nicht einer erwachsenen Frau zugetraut. Man musste zwar bedenken das Leriâ als erschreckend unwissende Außenstehende mit etwas mehr Toleranz behandelt werden müsse, aber wenn es um Juliettes Überleben ging neigte sie dazu wenig tolerant zu sein. „Wir müssen jetzt verschwinden oder wir werden nie wieder eine Ma`lzeit zu uns ne`men!“
Ihren Rucksack schulternd nachdem sie ihre wenige restliche Habe eingesteckt und verstaut hatte meinte sie noch drängend zu dem Magier: „Ja, das ist Blut und es wird noch me`r fließen wenn wir nischt verschwinden!“
Auch er regte sie auf mit seiner Fassungslosigkeit über die kleinen dunklen Spritzer auf Juliettes Kleidung und vor allem auf ihrer Faust. Noch so ein weltfremder Narr. Im Turm war ihm wohl eindeutig nicht klar gemacht worden das Ferelden ein gefährliches Land war in dem der Tod um jede Ecke lauern konnte oder er war nicht nur körperlich schwach, vielleicht sogar beides. Ehrlich gesagt regte die Adlige im Moment alles auf was nicht mit einer schnellen Flucht zu tun hatte.
So oder so hatten sie keine Zeit. So wie sie Leclerc kannte war es nur eine Frage der Zeit bevor er die ganze Wirtschaft auf der Suche nach seiner Beute auf den Kopf stellen würde und er war nie und nimmer ohne sein gutes Dutzend kampferprobter Schergen unterwegs, weshalb Juliette eine Konfrontation lieber vermeiden wollte.
„Na los! Isch bitte eusch!“, drängte Juliette verzweifelt ihre Gefährten während sie schon neben der geöffneten Falltür stand.
„Isch trage auch euer verdammtes Gepäck, i´r Kretin!“, warf sie dem Magier mehr an den Kopf als das sie anbot.
Schließlich kamen die anderen Juliettes Bitte endlich nach und machten sich so schnell es das körperliche Befinden gestattete Aufbruch bereit, wenn auch darunter Alrik man beunruhigt oder verwundert war das Juliette die einen kampfstarken Eindruck machte so sehr darauf pochte schnell zu verschwinden. Ohne Widerrede oder weitere Verzögerung zu akzeptieren half die Adlige, der verletzten Leirâ die Leiter hinunter, nachdem sie mit dem Magier ihren deutlich leichteren Rucksack gegen seinen schweren getauscht hatte. An der Wand unten im Gang zusammengesunken ruhte immer noch der ohnmächtige Söldner, dessen Blut aus seiner gebrochenen Nase über sein Gesicht auf seine Rüstung floss und sich in einer Pfütze unter ihm sammelte. Und eben dieses Blut, das auch an Juliette klebte, ließ wenig Zweifel daran wer ihn schlafen geschickt hatte.
„Das war einer von ihnen! Er wollte sich zu uns hoch schleichen.“, erfand Juliette etwas hektisch als sie die Blicke ihrer Gefährten bemerkte. Um etwaige Fragen und weitere Verzögerungen zu vermeiden wollte sie gerade dazu drängen weiter zu gehen als plötzlich eine besorgte Kinderstimme erklang.
„Geht es dem Mann da gut?“
Juliette wirbelte zu dem kleinen dunkelblonden Mädchen herum das plötzlich vor ihnen mitten im Gang stand. Es war kaum ein acht Sommer alt und trug eine Nummer zu große Kleidung. Beklommenheit und Neugierde zugleich stand in seinem kindlichen Gesicht.
Die Adlige erkannte die großen braunen Augen als die eines der Kinder, das sie zusammen mit ihren Geschwistern gestern aus einem Türspalt heraus beobachtet hatte, als die Gruppe in das Gasthaus eingekehrt war. Zuerst erschrak Juliette bei dem Gedanken das Mädchen könnte Hilfe holen und somit ungewollte Aufmerksamkeit auf die Gruppe lenken, doch dann kam ihr eine Idee.
„Nein, nein, Kleine.“, sprach Juliette beruhigend und freundlich als sie näher an das Kind trat und sich hinkniete um auf gleicher Augenhöhe zu sein. „Der Onkel `at sisch nur den Kopf angeschlagen und ru`t sisch gerade aus.“
Wirklich beruhigt wirkte das Mädchen nicht aber es unterließ es zum Glück Hilfe zu holen und blickte etwas unsicher in die freundlich wirkenden stahlgrauen Augen der Orlaisianerin als diese ihr eine Hand auf die Schulter legte.
„Kommst du gerade aus dem Schankraum?“
Ein etwas verlegenes Nicken der Kleinen.
„`ast du da unten gerade Männer eintreten se`en? Männer in Schwarz gekleidet?“
Ein weiteres Nicken. Man hatte ihr wohl eingepaukt mit Fremden nicht zu sprechen und erinnerte sich nun da ihre Sorge um den blutenden Mann wohl unbegründet war wieder daran. Vielleicht war sie auch einfach von der großen Frau die seltsam sprach eingeschüchtert. Sie wäre nicht die erste gewesen.
Doch ob sie es war oder nicht Juliette spürte wie ihre Instinkte aufschrien sich davon zu machen, konnte ihre Nervosität aber noch verbergen. Sie mussten hier schnell weg aber wenn der Schankraum voll mit Leclercs Schergen war, konnten sie diesen Weg nicht nehmen dafür war die Gruppe vor allem durch Leirâ und Rhaego viel zu auffällig. Sie brauchten also einen anderen Ausweg.
„Weißt du wie wir `ier schnell `eraus kommen könnten?“
„Durch die Tür?“, erwiderte das Mädchen unsicher als wäre diese Antwort das selbstverständlichste überhaupt.
„Nein!“, kam es von Juliette etwas zu harsch zurück, worauf sich das Mädchen versteifte. Rasch darauf fing die Adlige sich wieder. Sie musste ruhig bleiben und versuchen eine klaren Kopf zu bewahren oder sie würde ihn noch verlieren, wortwörtlich.
„Gibt es noch einen anderen Weg raus aus dem `aus, Kleine?“, fragte sie schon freundlich wenn auch etwas gezwungen. „Vielleischt eine `inertür?“
Das Kind überlegte und antwortete dann leicht trotzig: „Ja aber Vater sagt die ist nicht für Gäste.“
In Gedanken fluchte Juliette. Dieses Gör wusste wo sie heraus kämen wollte es ihnen aber nicht sagen. Fast wäre sie versucht gewesen in ihrer Frustration mal Tacheles mit dem Kind zu sprechen als sie sich eines Besseren Besan. Damit würde sie nichts erreichen und es gab eine bessere Möglichkeit: Womit konnte man kleine Kinder besser ködern als mit den Versprechungen von Schätzen?
„Wenn du es uns doch sagst schenke ich dir das hier…“, leitete die Adlige geheimniskrämerisch ein als sie aus ihrer Tasche den aus dem Turm gestohlenen Kamm hervorholte. An sich war es schon ärgerlich das sie das vermaledeite Ding wo sie es doch vor kurzem erst an sich genommen hatte gleich wieder weggeben musste, aber wenn Juliette sich zwischen körperlicher Unversehrtheit und einem gestohlenen Kamm entscheiden musste, entschied sie sich lieber für ersteres. Juliettes geheimniskrämerische Stimme weckte die Neugier der Kleinen die sie sogleich packte und das Mädchen dazu brachte gierig nach dem Kamm zu greifen, doch Juliette hob den Kamm rechtzeitig aus der Reichweite.
„Was ist das?“, fragte das Mädchen neugierig als sie sich nach diesem unbekannten Etwas streckte. Sie hatten Glück. Das Kind war noch jung und eines von der neugierigen Sorte und auf dem Land sah man nicht oft einen Kamm, erst recht nicht das vergleichsweise teure Modell das im Turm der Magier Anwendung fand.
„Das verrate isch dir erst, wenn du uns `ier `eraus gefü`rt `ast.“, meinte Juliette lockend lächelnd und den Kamm in ihrer behandschuhten Faust verschwinden lassend.
Ein paar Herzschläge lang blickte das Mädchen zwischen dem aristokratischen Gesicht der Söldnerin und ihrer geballten Faust hin und her, wägte diesen unbekannten aber dennoch hoch interessanten Schatz und das Verbot ihres Vaters ab. Schließlich siegte die Gier nach einem Herzschlag und das Kind führte sie ungesehen am Schankraum vorbei herunter vor eine Tür. In dem kleinen Raum roch es nach Vieh und man hörte gedämpftes Geschnatter, offensichtlich war der Stall bevölkert mit Federvieh nicht weit. Doch das kümmerte Juliette nicht. Eine Flucht war in greifbarer Nähe und wenn sie es geschickt anstellten würde sie vielleicht ungesehen entkommen sodass ihre Verfolger gezwungen wären Gerüchten nachzujagen. Wäre sie allein gewesen hätte die Adlige die Erfolgsaussichten darauf deutlich höher eingeschätzt.
„Hier.“, verkündete das Mädchen ehe es sich trotzig vor die Tür stellte. „Und nun her mit dem Ding oder ich schreie.“
Kleine Erpresserin, dachte sich Juliette leicht ärgerlich als sie erkannte dass sie das Mädchen unterschätzt hatte und den Kamm aushändigte. Es hatte offensichtlich geschlossen dass die Gruppe versuchte abzuhauen und das sie sogar etwas gegen sie in der Hand habe. Und da sagt man doch Landvolk wäre dumm wie Stroh.
Zufrieden und neugierig zugleich beäugte die Kleine dieses Etwas und spazierte damit davon. Der Blick der Adligen folgte der Kleinen kurz ehe er bei Leirâ hängenblieb. Auch wenn Juliette nach wie vor Probleme hatte elfische Emotionen zu lesen verhieß die Miene der Dalish nichts Gutes, definitiv nicht.
„Was ist denn los, Leirâ?“, fragte Juliette drängend.