Tag 3
Denerim, Schenke "Zum Wolfspack" - Schankraum
7 Uhr 18 morgens
Saftige, fettige Wurst, etwas Schafskäse sowie Schwarzbrot. Es grummelte, das gierige Etwas im Leibe Aurelias, das stets um etwas Essbares bettelte. Appetit besaß Aurelia zur Zeit aber nicht. Sie stützte die Arme auf die Tischplatte und blendete die zwei Gäste komplett aus. Grübelte. Sie reflektierte das Gesagte, sortierte die Worte Lios, skizzierte im Kopf die Karte des Königtums und arbeitete die Kriegsmarschroute ab. Ostagar war Schutt wie Asche, das stoische, feste Mauerwerk zertrümmert. Tote, blutige Fleischberge zum Turm aufgestapelt, die Streitmacht faulte im Staub. Aurelia stiefelte die Karte im Kopf aufwärts. Sie machte das Fischerdorf names Redcliffe aus, die Siedlung names Lothering sowie das brecilianische Forstgebiet im Osten. Aurelia wusste, dass die Brut die südliche Passage des Forstgebiets bereits passiert und Lios Stamm ausgerottet hatte. Im Klartext bedeutete das, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Orte wie Lothering, das Arltum um Südhang sowie Drachengipfel und schließlich Denerim selbst der fauligen Ausgeburt zum Opfer fielen.
Ob die Communitas das wirklich stoppen konnte, war fragwürdig. Aber Kapitulation? Kapitulation war keine Alternative. Absolut nicht. Nicht für Aurelia und nicht für die Communitas.
Aurelia rüttelte sich wach. Sie blickte auf die Zwielichtstochter, die zwei Stücke Schwarzbrot sowie etwas Wurst aß. Gefräßiger Wolf. Schließlich ergriff des Wolfspacks zweiter Gast, Justinus, das Wort. Er war extrem groß, circa zwei Meter, so schätzte es Aurelia, am Kopf wuchs struppiges, stoppeliges Haar, so schwarz wie Ruß. Was so suspekt war, war die Art, wie er guckte - so kalt, so steif, so stoisch. Auch die gruselige, exotische Plattenrüstung, so kupferig-rot mit zackiger Kopfbedeckung, flößte Aurelia eine Extraportion an Skepsis ein. Wer er wirklich war, was er so machte, wieso er Aaron aushalf, war etwas, worum Aurelia sich zur Zeit keine Gedanken machen wollte. Aber was es auch war, es war gewiss nichts Gutes. Er begrüßte Aurelia, sagte, wer er war, bis er fragte, ob die Wirtsfrau für Aaron sorgte. Fast fürsorglich, gar stolz tätschelte er das Haar des Lausebubs. Aurelia seufzte. "Wenn dem so ist, Justinus, was sagt das über das Wolfspack aus, wenn er Brotlaibe klaut?", giftete die Wirtsfrau etwas grimmig zurück, "es mangelt dir an Nichts, du Pimpf. So dankst du es uns? Mit Dieberei?", schimpfte die Frau fort, "aber so ist es, Justinus, die Gaststube sorgt im Grunde für Aaron. Er isst und schläft hier und tätigt für uns im Austausch etwa zwei bis drei Botengänge am Tag." Sie starrte das respektlose Gör so bitterböse an, dass er das Brot auf die Tischplatte warf und bei Justinus Schutz suchte. Sie rümpfte die Nase, blickte zurück auf Justinus, "Ich danke Euch, dass Ihr ihm ausgeholfen habt, auch wenn er die Güte nicht wert ist", lächelte etwas, aber die cobaltblauen Augen blieben kalt.
"Ich bin kein Flüchtling", platzte es plötzlich aus Karàsvina und erregte damit sofort Aurelias sowie Justinus' gesamte Aufmerksamkeit. Was die Zwielichtstochter darauf mit so fester, klarer Stimme sagte, warf Aurelia fast vom Sitz. Sie starrte auf das alte Stück Pergament, das Karàsvina auf die Tischplatte klatschte, beugte sich etwas über das Tablett mit Wurst, Käse sowie Schwarzbrot und pflückte die Botschaft, die darauf mit krakeliger Schrift notiert war, wie reifes Obst auf. Wort für Wort. Satz für Satz.
Ära 9:30, Zeitalter des Drachen, Lothering
Geliebte Flora,
es ist schrecklich. Ostagar ist Schutt, die Streimacht ist Asche, unser geliebter König tot. Es heißt, dass die Wächter, die unser König so abgöttisch respektierte, desertiert oder gar Alliierte des teuflischen, fauligen Packs seien. Ich glaube das nicht, es macht gar keinen Sinn, dass die Gruppe, die seit Ewigkeiten die Dunkle Brut mit Leib und Seele bekämpft, so etwas tut. Aber mir ist es nicht gestattet, die Ereignisse um Ostagar mit meiner einfältigen Wertung zu beschmutzen.
Liebste, es beschämt mich, aber große Furcht keimt in meinem Herz auf. Flüchtige, oft hilflose Bauersfamilien, selbst die kriegrischen Stämme der Chasind fluten die Siedlung, um Schutz zu suchen. Lothering ist erstickt, die Taverne, die Kirche des Erbauers überfüllt mit Flüchtigen. Schutz. Schutz gibt es keinen in Lothering. Unser Arl sowie die gesamte Armee des Arltums ist fort, die blutdurstige Brut auf dem Weg zur Siedlung. Wie können uns ein paar Templer und ein elfischer Magus des Zirkels beschützen? Es ist aus. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Matsch uns blutig gemetzelt begräbt.
Ich kämpfe mit mir, Geliebte, ob ich die Siedlung beschützen oder zurück zu dir kommen sollte. Wenn doch nur Hilfe käme.
Ich liebe dich.
Elias
Aurelia schluckte. Flora. Sie starrte auf das Wort, schweifte ab zum Text. Er war so chiffriert, dass er wie der Brief eines Mannes namens Elias an das geliebte Weib namens Flora ausschaute, in Wirklichkeit aber erstattete er der Communitas exakt Bericht über das, was zur Zeit in Lothering passierte. Er bestätigte Aurelias schlimmste Befürchtung. Plötzlich schob sich Karàsvina bis an Aurelias Gesicht und flüsterte wölfisch: "Wenn ich mich doch geirrt habe und du deine Magie bei den Stadtmenschen erlangt hast, tötest du mich jetzt. Ansonsten sag mir, wo ich die Communitas finde."
Aurelia schwieg. Schluckte. Magie.
Es stimmte, Aurelia war wirklich magiebegabt, besaß sogar die Fertigkeit, blutige Magie, sprich die mächtigste, aber damit tückischste Form zu wirken. Aber wieso wusste die Zwielichtstochter das? Für Aurelia war die Antwort glasklar. Karàsvina musste, wie sowieso bereits spekuliert, ein Spitzel sein, möglicherweise im Auftrag der Templerbruderschaft, die zwar keine Weiber rekrutierte, aber gewiss darum eine Frau zur Communitas schickte. Es war so auffällig, dass die abgemagerte, mit altem Stoff bekleidete Frau ausgerechnet in zwei Communitasgründer gestolpert war und wusste, dass die Gruppe im Wolfspack quartiert war. Auch dass die Zwielichtstochter die Botschaft des Communitas-Spähers aus Lothering zurückgebracht hatte, war Aurelia extrem suspekt. Es war möglich, dass Karàsvina selbst dafür gesorgt hatte, dass er stirbt, um die Gemeinschaft durch die aufgetischte Lügengeschichte zu täuschen und so Zutritt zur Gemeinschaft zu bekommen.
Was es auch war, Aurelia kämpfte um die stoische Maske, die so gut wie es möglich war das Wirrwarr begrub, das die Wirtsfrau im Moment umwarf. Sie war schockiert, überrumpelt, wollte aber keineswegs, dass das an die Oberfläche schwappte.
"Es ist schrecklich, was dort passiert", sagte die Wirtsfrau schließlich aufrichtig bestürzt und ignorierte die Provokation damit komplett, "ich begreife nicht, wieso Mac Tir kostbare Zeit mit politischem Machtkampf auffrisst, statt Siedlungen wie Lothering zu helfen. Aber ist das nicht stets so mit Politik?", beschwerte sich Aurelia fort und erblickte plötzlich etwas blutig-krustiges Geschmiere am Pergamentapier.
Moment.
Perplex beugte sich die Wirtsfrau zum Pergament und betrachtete die blutigen Spirtzer etwas akribischer. Schluckte. Für Karàsvina oder Justinus schaute es gewiss wie willkürlich auf das Papier getropftes Blut aus. Aber für Communitasmitglieder war sofort klar, dass das die Chiffre für die Tatsache war, dass ein Bote die Botschaft nicht selbst zum Empfänger bringen konnte und das Pergament an eine dritte Person gereicht hatte.
So war das. Karàsvina war wirklich aufrichtig, die Geschichte tatsächlich so, wie berichtet. Aurelia atmete auf.
"Ich danke Euch, Zwielichtstochter, dass Ihr die weite Reise auf Euch genommen und mir das Pergament gebracht habt. Banquo, sei so gut und gelte Karàsvina großzügig ab. Geht ruhig mit ihm mit."
Sie lächelte, nickte.
07 Uhr 23 morgens