Denerim - Hafenbezirk
Einen Moment stand Justinus einfach nur da und erlaubte es sich seinen Gedanken freie Hand zu lassen. Er blendete alle Geräusche aus und sah sich den wolkenlosen, kalten Himmel an, die schmutzigen Häuserdächer und die streunenden, räudigen Köter die in den Gossen nach etwas Fressbarem suchten.
Einen Tag würde er durchhalten können und sein wahres Ich vor der Welt verbergen können, es musste sein. Er musste lernen für den Kult, für das Chaos und für sich selbst, gab es doch so vieles, das er nicht kannte oder verstand, so viele Orte die er nicht gesehen hatte, so vieles das er nicht erlebt hatte, ging ihm durch den Kopf als er den Wasserschlauch zurück packte.
Wissen war Macht und er hatte vor sich so viel davon wie möglich einzuverleiben. Die Dämonen des Chaos würden ihn nur unterstützen wenn er sich als fähig erwies und er brauchte ihre Unterstützung oder wenigstens ihren Rat.
Einen Augenblick lang verfluchte er die Tatsache, dass sie im Kult nie ihre Geschichte aufgeschrieben hatten. Zwar hatte ihr Oberhaupt großen Wert darauf gelegt, dass jeder Kultist lesen, schreiben und rechnen konnte aber nie hatten sie auch nur eine Zeile auf Pergament gebannt. Justinus hätte viel gegeben den Lebensweg ihres Oberhauptes schwarz auf weiß zu haben, damit er sich daran orientieren könnte.
Der Chaoskrieger schloss hinter seinem Visier die Augen und atmete den Gestank der Stadt tief ein als er auch schon wieder angesprochen wurde.
„Seltsame Leute, die erst Wachen zusammenschlagen und danach kleine Kinder zu ihren Müttern zurückbringen“. Justinus öffnete wieder seine Augen und sah sich den Ursprung der gesprochenen Worte an.
Es war ein halbwüchsiges Mädchen, dass auf den ersten Blick durchaus für einen Jungen gehalten werden konnte wäre da nicht die eindeutig weibliche Stimme die mit einem nicht völlig sattelfesten Fereldisch sprach.
Sie hatte kurzes, fast schon schwarzes Haar das ungekämmt in so gut wie alle Richtungen Abstand, ein kleiner Zopf an der rechten Seite stach aus der Frisur hervor. Neben dem Zopf war da noch diverser Gesichtsschmuck in der Nase und in den Ohren was den Chaoskrieger genauer hinsehen ließ.
Die einfache Männerkleidung die ihr zu groß war machte es schwieriger als es ohnehin war ihr Geschlecht auf einen Blick zu bestimmen.
Das Mädchen umrundete ihn in gebührenden Abstand, der Chaosritter kannte sehr genau seine Reichweiten und das Mädchen blieb genau außerhalb seiner kräftigen Arme.
Aber nicht nur, dass das Mädchen ihn außer Reichweite umging, nein sie schien um ihn herum zu tanzen.
Im verlauf seines Lebens hatte er hunderte im Namen seines Glaubens nieder geschlachtet und noch viele weitere mehr grausam gefoltert und entstellt und jetzt erschien dieses Mädchen und schien ihn verspotten zu wollen und, was das Interessante war, schien ihm gefolgt zu sein.
Ich hätte mir die fereldischen Barbaren ein wenig anders vorgestellt, zu denen gehört Ihr doch, oder?“ fragte das Mädchen mit ehrlicher Neugierde weiter.
Justinus fing langsam an zu glauben, dass wenn er versuchte liberaler oder gut zu handeln, dass dann die Leute ihn nicht ernst nahmen. Musste er erst wieder anfangen Schädel zu sammeln bevor die Leute seine Erscheinung für voll nahmen?
Justinus musterte nochmal das selbstbewusste, seltsame Mädchen und suchte automatisch nach Anzeichen für Waffen, konnte aber keine erkennen Sie hält mich für einen fereldischen Barbaren! Das ist doch genau das was ich wollte.... weder richtig `gut´, noch richtig `böse´!
„Wie genau hättet ihr euch denn die hiesigen Barbaren vorgestellt?“ antwortete er nachdem er das Mädchen von oben bis unten gemustert hatte „Sehen denn die Barbaren dort wo ihr herkommt anders aus?“.
Er machte, schneller als man es ihm zugetraut hätte, einen Schritt auf das Mädchen zu „Ihr folgt mir? Weshalb?“