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Sejan war für Octavian immer ein Plappermaul gewesen, jemand, der seinen Intellekt immer einen Tick zu hoch einstufte und aufgrund seiner nihilistischen-rationalen Sicht stets etwas Ekel in Octavian hervorrief. Während Sejan Octavian jedoch zum Corefield-Komplex im Industriegebiet der Citadel chauffierte, wünschte er sich, er würde mehr sprechen, ihm Fragen stellen und Erklärungen fordern, oder ihn zumindest mit seinen Ansichten und Stellungnahmen quälen, die Sejan gerne von sich gab, wenn er der Überzeugung war, dass er ein rhetorisches Duell gewinnen konnte, was nach Sejans Geschmack viel zu selten war und laut Octavian nie passieren durfte. Für ihn war Sejan nämlich stets eine Variable, und nie eine abhängige, sondern eine beeinflussende, vor allem aber war Sejan meilenweit davon entfernt eine Konstante zu sein. Vielleicht lag es an seinem Aussehen, das für Octavian stets einen Tick zu verlogen erschien, aber recht vertrauen konnte er Sejan nie – und dabei hatte der Diener durchaus noble Taten unternommen um das Vertrauen Octavians im Laufe der Jahre zu gewinnen. Seit Sejan aufgrund von Tante Gruska bei Julius Visconti anfing, war Sejan versucht, Octavians Gunst zu gewinnen und ihn zu beeindrucken. Es konnte durchaus daran liegen, dass Octavian im Vergleich zu den anderen Brüdern hin und wieder ein Ohr für seine Anliegen hatte, auch wenn diese gelegentlichen Zuneigungen nicht regelmäßig waren und vor allem stark schwanken. Aber das schien Sejan lange Zeit zu reichen; ein Gefühl gehört zu werden und doch in irgendeiner Richtung wichtig zu erscheinen, kann für viele als ausreichend interpretiert werden; für Sejan – so Octavians Überzeung – war es in mancherlei Hinsicht erfüllend. Schließlich kam Sejan aus ungebildetem Haus und war sich dessen sehr wohl bewusst. Er hatte nie eine Schule besucht, weshalb man seine philosophischen Versuche und Interessen vielleicht gar umso höher einstufen musste, und außerdem war Sejan nie sonderlich begeistert gewesen von Corefield Design. Um genau zu sein, so Octavians Interpretation, war Sejan noch nicht einmal sonderlich an Geld, Ruhm oder Macht interessiert; drei äußerst beliebte Motive für Leute des modernen Citadel-Raums. Viel mehr hatte Sejan ein regelrechtes Faible für alte, deutschsprachige als auch turianische Philosophen entwickelt. Um Sejans Theorie des Lebens und vor allem der Philosophie zu verstehen, brauchte man Durchhaltevermögen und einen Hang zum Irrationalen. In Sejans Theorie war Nietzsches Übermensch kein Mensch an sich, sondern – in Verknüpfung mit den Theorien des Chardinisten Pavel – eine Art Gottheit, die in jedem Menschen schlummerte. Dabei galt es durch Gewalt und die brutalste Form von Gewalt, nämlich den Krieg, das Rohe zu formen um den Gedanken des Überlebens zu bewerkstelligen, und damit dem Wahnsinn der Dekadenz zu entkommen. Verkompliziert wurde die Sache nur durch Sejans Verständnis der Hegelischen Dialektik, die er – relativ eigen – rückwärts interpretierte. Für ihn standen Thesis und Anti-Thesis nicht konträr zu einander, sondern waren nur das Resultat einer Synthesis die sich spaltete. Als Argument nahm er hierfür wiederum den Zyklus der Vergesslichkeit her des turianischen Kriegsphilosophen Varklus, der behauptete – ähnlich zu Nietschze, dass das Leben ein Zyklus sei und der Wahnsinn des Lebens nur dadurch bezwungen werden konnte indem man ihn vergaß. Dieses Vergessen – so Varklus – einzig durch den Überlebensinstinkt bewirkt und durch das konstante Gelübde an die turianischen Götzen oder – in Sejans Fall – die menschliche Gottheit. Es gab noch weitere Motive und Handlungsvorschläge in Sejans eigener Analyse des Lebens, unter anderem weitere chardinisten Praktiken und Glaubensdiktate, asarische, reinblütige Biotik-Verherrlichungen sowie kroganische Kampfideologien- und Wissenschaften, aber Octavian hatte es noch nicht recht geschafft dies alles recht zu verstehen und eingehend zusammen zu führen, trotz all der Jahre die er mit Sejan verbracht hatte. Trotzdem konnte man sagen, dass Sejan alles andere als ein Rassist war, wohl eher hätte man ihn als Misanthrop bezeichnen können, der quasi lieber ein Ideal aller Rassen glaubte, als an das Ideal einer Rasse. In diesem Sinne hatte Sejan vielleicht schon immer eine Tendenz zum Unmöglichen und scheiterte gar gerne daran, da es seine teils verbitterte Weltansicht nur stärkte und damit auf lange Sicht – laut ihm – selbst unterstützte. In Sejans Gesicht war dies dabei stets deutlich abzulesen, denn er vermochte es nur schwer seine Emotionen zu verbergen. Er war ein schlechter Lügner und eigentlich ein noch schlechterer Diener. Aber er hatte seine Prinzipien und er folgte einem gewissen höheren Weg, den er sich selbst auferlegt hatte – und der von den Viscontis insoweit ignoriert oder akzeptiert wurde, sodass sie ihn bis heute nicht entlassen hatten. Sejan war stets angespannt, seine Gehirn arbeitete unentwegt und die intellektuelle Anspannung, die er seinem eigentlich ungebildeten, und vielleicht gar unfähigem, Gehirn anvertraute, nagte stets äußerst stark an ihm, denn nicht jedermann war für jeden Gedanken geschaffen. Manche wurden Physiker, andere Schriftsteller, manche Soldaten, andere Hausfrauen. Jeder fand irgendwie das was zu ihm passte, oder auch nicht. Sejan jedoch befand sich – und das wusste er selbst – oftmals in einem inneren Konflikt, den er ständig zu gewinnen versuchte, doch oftmals war es ein Nullsummenspiel, denn ehrlich gesagt passen chardinistische Weltansichten nun wirklich nicht mit kroganischen Kriegsideologien zusammen. Grundsätzlich war Sejan also eigentlich nicht ungebildet, ihm mangelte es nur an Intellekt und der fehlenden Eigenschaft ‚Nein‘ zu sagen zu Theorien diverser Rassen, die von Autoren stammend die auf ihn den Eindruck machten, als dass sie klüger als er waren; und möglicherweise war er gerade deshalb sein Leben lang ein Diener und keine Führungsperson.
Anstatt aber an diesem Morgen Octavian mit kruden Ergüssen zu langweilen, entschloss sich Sejan offenbar dazu nichts zu sagen. Es lag – so Octavians Einschätzung – wohl an der generellen Stimmung des heutigen Tages, der akzeptierenden Meinung das Julius tot war und es nun nichts mehr diesbezüglich zu tun war – außer den Mörder zu finden. Dennoch verhielt sich Sejan ruhig; er warf immer noch die abschätzenden, spekulierenden Blicke durch den Rückspiegel auf Octavian, aber heute waren sie nicht zu penetrierend wie noch gestern. Und in Sejans Gesicht konnte man deutlich Verdruss vorfinden. Octavian hätte gerne ein paar Worte gewechselt, aber ehrlich gesagt wusste er nicht was er groß reden konnte. Sejan war stets derjenige, der in ihren Unterhaltungen den Ton vorgab und Octavian reagierte und korrigierte ihn, woraufhin Sejan stets glücklich Octavians Meinung und Ratschläge akzeptierte und annahm. Selbst wenn die Unterhaltungen für Octavian leidlich erträglich waren, so waren sie dennoch eine sinnvolle Beschäftigung auf seinen Fahrten quer durch die Citadel. Dieser Eindruck resultierte aus der simplen Einsicht, dass man in jeder Diskussion sich selbst verfeinerte und seine Argumente veränderte oder sie auch nur schärfte, sodass sie letztendlich besser wurden. Um nicht an seinen Aufenthalt in den Arrestzellen der C-Sec zu denken, entschloss sich Octavian einen Vorstoß zu wagen, sacht – aber immerhin.
„Etwas interessantes aus dem Anwesen zu berichten?“ Er konnte nicht umhin eine gewisse Autorität an den Tag zu legen, etwas befehlendes lag in seiner Stimme, und als er die Sätze aussprach, rang er sich ein Versprechen hab den nächsten Satz besser zu formulieren.
„Hm – nein, nicht wirklich“, kam es zögerlich von der Vorderbank nach hinten gemurmelt. „Antonius hat sich betrunken nach der schlechten Reportage und quer durch das Anwesen geschrien, Lepidus verließ kurze Zeit darauf mit Claudia uns, und ein paar Gäste kamen noch an, aber an weitere Vorkommnisse kann ich mich nicht erinnern. Es war ein langer Tag, ich ging früh zu Bett.“
„Kein nächtlicher Spaziergang?“
„Nein, heute Nacht nicht. Obwohl – Madame Vanderlyle hat mich geweckt und wollte mit mir über Sie reden, Herr. Sie hat sich Sorgen gemacht und ehrlich gesagt-.“
„Sie machen sich auch Sorgen?“
„Etwas, Herr.“
„Beruhigen Sie sich, ich bin wieder auf der Höhe“, versicherte Octavian und versuchte an seine eigenen Worte zu glauben. „Es war nur ein kleiner Ausrutscher, ausgelöscht durch das Fieber.“ Welches zwar erst nach dem ‚Ausrutscher‘ sich zeigte, aber das musste Sejan nicht wissen.
„Fieber, Herr?“
„Das übliche.“
„Sie haben ihre Medikamente nicht genommen?“
„Ich habe kaum noch welche. Vermutlich wird es heute Zeit für einen Besuch beim Arzt.“
„Und danach in eine Kirche?“
„Hm.“ Octavian überlegte einen Moment lang und er empfand einen Kirchenbesuch als durchaus befriedigend; selbst wenn sein Leben dadurch nicht leichter wurde, und schon gar nicht seine Sorgen und Bedenken verschwanden, so würde es zumindest etwas seine Seele leichter. „Keine schlechte Idee.“
„Ihr Vater hat keine Beichte abgeleistet.“
„Bitte?“
„Ich meine, ihr Vater ging seit Monaten schon nicht mehr in örtliche Kapelle. Es lag wohl an seinem Zustand in den letzten Monaten. Der Citadel-Blitzkrieg, die Aufräumarbeiten, die Geschehnisse rund um Corefield und – nunja, sein Privatleben.“
„Das haben Sie nicht gerne gesehen?“
„Sie meinen, seinen konstanten Verfall?“
„Genau.“
„Nein, es hat mir das Herz gebrochen, Herr.“ Die zwei erreichten gerade eine Kontrolle vor den Industriegebieten, die die Shuttles überprüften, die sich auf dem offiziellen Weg dorthin bewegten. Sejan legte seinen Ausweis vor und ein paar Sekunden später wurde ihnen der Eintritt in den Tunnel erstattet, der sie über dem Industriegebiet ausspucken würde; von da an war es nur noch ein kurzer Weg zu den Corefield Büros. Im künstlichen orangen Licht des Tunnels erwähnte Sejan, dass die asarische Detective ihn gestern Abend noch besucht hatte und ihm ein paar unangenehme Fragen stellte. Octavian versuchte sich zu erkundigen, ob die Asari unangenehme oder auch nur formale Fragen über ihn selbst stellte, aber Sejan schien darauf nicht eingehen zu wollen. Er bevorzugte es vor erst zu schweigen, was Octavians Missgunst weckte und ihm klar machte, dass Sejan offensichtlich etwas beschäftigte, dass er so noch nicht bereit war Octavian vorzutragen. Er stellte weiterhin gefühlvoll und bedacht Fragen bezüglich der Asari und des gestrigen Abends, vor allem aber über Vater, im Grunde ging es aber um Sejan; keine der Fragen beantwortete Sejan wirklich, stattdessen klammerte er sich an Einzeiler, die Octavian ein Gefühl der Besorgnis brachten, ihn aber auch erneut realisieren ließen, dass nicht nur er und seine Brüder mit dem Verlust zu kämpfen hatten.
Die zwei verließen nach geschätzten drei Minuten den unterirdischen Tunnel, der sich allmählich vage nach oben aufbaute, und sie anschließend auf eine höhere Ebene brachte, von der sie von oben herab den – im Vergleich zu anderen pulsierenden wirtschaftlichen Gegenden – kümmerlichen Industrierand der Citadel überblicken konnten.
Da es noch relativ früh war am Tag, war Sejan selbst auch noch hungrig, hatte er doch zum jetzigen Zeitpunkt nur eine Tasse Kaffee getrunken um Octavian abholen zu können. Die Katerstimmung lag demnächst nicht nur über Octavian und seinen Brüdern, sondern auch über Sejan und noch weiteren, wie Anna, Claudia oder auch Sarvil, so Sejans Erklärung. Sarvil war anscheinend besorgt um Octavian gewesen und hatte das Anwesen besucht nur um von Anna letztendlich die Nachricht von Octavians Verhaftung zu empfangen. Also wussten es alle, schlussfolgerte Octavian, rollte die Augen aufgrund der Geschwätzigkeit Annas, die doch nur auf ihrer Ehrlichkeit und Besorgnis beruhte und vergab ihr im selben Gedankenzug. Wenn sie sich Sorgen machte, so war es ihre eigene Schuld – aber Octavian empfand es zumindest als leichten Balsam, dass sich jemand Sorge machte. Und obwohl Sarvil ein – für Menschen im allgemeinen – verhassten Batarianer darstellte, so zählte Octavian den treuen „ersten Offizier“ unweigerlich zu seinen nächsten Leidensgenossen und zu seinem vermutlich einzigen Waffenbruder, den er jemals hatte, und das obwohl er eine Offiziersausbildung abgeschlossen hatte. In diesem Sinne war es fast schon eine verkehrte Beziehung zwischen den beiden; als stamme sie aus einem Paralleluniversum. Aber die Tatsache, dass ein Batarianer um einen Menschen besorgt war, kam vielleicht genau von dort.
Sejan drosselte die Geschwindigkeit des Shuttles und hielt bei dem beliebtesten, und vermutlich auch dem einzigen, Octavian wusste es nicht genau, Supermarkt in den Industriegebieten. Sejan trat heraus nach dem er nachgefragt hatte ob Octavian etwas wollte, aber er hielt nur das Säckchen in die Höhe und holte es heraus, sein Diener ging am Fenster vorbei und ein Shuttle-Bus fuhr langsam vorbei, wodurch die griesgrämigen Gesichter der Angestellten zu erkennen waren, und hinter dem Shuttle-Bus war das Denkmal des salarianischen Ökonomen und Wissenschaftlers Harlos zu bewundern, der majestätisch über dieses Gebiet der Citadel wachte. Seine Schrift über den notwendigen Selbsterhalt eines jeden planetaren Systems erzeugte vor mehrere hundert Jahren ein solche Debatte, dass das Industriegebiet schlagartig auf der Citadel ausgebaut wurde. Menschliche Theoretiker konnten bis heute nicht sagen ob Harlos Gedankengut den kreativen Anarchismus eines jeden Planeten und jeder Raumstation bevorzugte, ähnlich einem System, welches auf Kommunen basiert, oder die natürliche Aufteilung der Herstellungskapazitäten eines starken Citadel-Raums förderten. Octavian selbst sah in Harlos Theorie mehr einen Appell an die Autorität der Citadel sich gegen jegliche Notstandslagen zu rüsten; einen Ratschlag, den der Citadel-Rat nicht unbedingt warmherzig übernommen hatte. Noch ehe Octavian aber den Gedanken weiterspinnen konnte, kam Sejan überraschend rasch mit einem Burek mit Fleischfüllung zurück, typisch für ihn und irgendwie auch typisch für jeden bei Corefield Design. Die Firma war nur noch ein paar Meter entfernt und die Papiertüten des kleinen Stands, der die Bureks verkaufte, machten geschätzte fünfzig Prozent des Mülls aus. Burek selbst war ein relativ einfaches Gebäck, das auf der Erde gerne produziert wurde, jedoch schmeckte das asarische Äquivalent davon, sofern man es so bezeichnen konnte, besser. Nicht weil die Zutaten unbedingt besser waren, sondern weil die asarische Variante mit einer köstlichen, trockenen Sauce zubereitet wird. Sicherlich, kein Häftling der sein letztes Mal wegen seiner Todesstrafe serviert bekommt, würde nach einem asarischen Burek verlangen, aber der – außerordentlich gesunde – Snack hatte seine Fans bei Corefield Design. Genauso wie überall im Citadel-Raum. Der menschliche Burek war nicht ganz so beliebt, aber immer noch schmackhaft, insbesondere die Käse-Variante hob sich etwas von der Konkurrenz ab, besonders das griechische Burek. Dann bemerkte Octavian, dass er zu viel über Essen nachdachte und holte seinen Proviant heraus um das Croissant zu verschlingen.
Der Corefield Komplex war nicht sonderlich groß, zumindest im Vergleich zu anderen industriellen und geschäftlichen Niederlassungen bekannter Firmen. Hier gaben sich Hadne-Kedar und Ariake Technologies die Klinke in die Hand und noch viele andere Firmen, und die meisten davon – zumindest der Großteil der menschlichen Niederlassungen – hatten sich dazu nur aufgrund der eingestürzten Preise für die Grundstücke und des unweigerlichen Loyalitäts- und Prestigegewinns dazu hinreißen lassen. Corefield Design war selbst eine jener Firmen, die sich erst durch den Citadel Blitzkrieg dazu durchringen konnte die Citadel als wirtschaftlichen Standort zu betrachten und nicht nur zu bloßen Selbstbeweihräucherung. Octavian hatte damals Vaters Engagement belächelt, musste aber alsbald feststellen, dass der Aufwand - den er in die Errichtung des Firmengeländes und in die gemeinwilligen Spenden an den Citadel-Zoo und diverse Parks - steckte, durchaus einträglich war. Der Citadel-Rat und seine Ministerien erschienen nach dem Blitzkrieg, sei es aufgrund der wachsenden Reputation und des steigendenden Vertrauens in die Menschheit oder auch der außerordentlich klugen Strategie des Firmenchefs, um einiges gewillter mit Corefield Design zu kooperieren und damit auch die Firmen, die sich unter dem Besitz anderer Rassen befanden. Natürlich ließ sich der Citadel-Rat bis heute noch nicht herab um mit Corefield Design überhaupt ein geschäftliches Gespräch zur weiteren Expansion zu unternehmen, vor allem da der Citadel-Rat – gelinde gesagt – seine eigene Favoriten in diesem Segment hatte, aber auch die ranghöchsten Politiker konnte nicht umhin das Engagement zu loben und damit den Weg zu öffnen für weitaus lukrativere Deals mit Partner, die wesentlich begieriger waren mit Corefield Design zusammen zu arbeiten. Vielleicht war dies einer der Auslöser für Vaters schwindenden Bezug zur Realität, von dem er die letzten Wochen über geplagt wurde. Der Doktor sagte, man könne es in den Griff bekommen, aber vor allem blieben die Worte hängen, dass es per se kein Anfall von Wahnsinn oder dergleichen wäre, sondern nur der Versuch seine menschliche Seele zu retten. Octavian hatte damals dem Doktor ins Gesicht geworfen, dass er sich solch christlichen-chardinistischen Kram sparen solle und dass er gefälligst die Wahrheit wissen wolle. Tatsächlich konnte der Doktor aber nichts weiter feststellen und so vegetierte Octavian die restlichen Wochen dahin und versuchte die Pflichten seiner Position bestmöglich zu erfüllen, dabei selbstverständlich nicht recht bewusst welche Gefahr rund um seinen Vater schwebte und das jemand bereits einen Mord geplant hatte.
Die Wache am Eingang, ein Turianer in denselben Farbtönen wie Octavians Uniform, der einzige Unterschied, dass es sich hierbei um eine Rüstung handelte, begrüßte Sejan am Tor. Sie wechselten ein paar freundschaftliche Worte, wobei Sejan – etwas unverschämt – immer wieder ein paar Stücke seines Bureks abzwickte und in den Mund schob, während ein Scanner das Shuttle kontrollierte und der Turianer die Ausweise ordnungsgemäß kontrollierte. Auch Octavian musste aus seiner Brieftasche seinen herausholen und der Turianer bekundete ein knappes, aber scheinbar aufrichtiges Beileid gegenüber Octavian. Der Komplex war sicherlich nicht groß, um ehrlich zu sein erschien er sogar relativ klein im Vergleich zur Niederlassung von Binary Helix ein paar hundert Meter weiter. Die Parkplätze reichten gerade so aus um einem Viertel der Angestellten Platz zu bieten. Das hatte zumindest den Vorteil, dass der Weg zum eigentlichen Gebäude nicht sonderlich lang war. Das Gebäude war weiß und blau gestrichen, ein Anblick, der für Firmengebäude auf der Citadel reichlich unoriginell war, aber zumindest als hübsch bezeichnet werden konnte, sofern man kein professioneller Kunstkritiker oder Architekt war. Das Design des Gebäudes, ein einfaches Rechteck, dass nach oben drei Stöcke besaß und nach unten sieben, erschien etwas klobig, unvorteilhaft und generell könnte man es als langweilig bezeichnen. Am Eingang prangerte das einzige Schmuckstück, dass zu finden war, und zwar das kunstvoll ausgeschmückte Logo von Corefield Design, indem man Bekenstein und kargen Planeten erkennen konnte, darüber prangerte die Buchstaben C und D. Obwohl Bekenstein rund sieben Jahre vor Julius Machtübernahme bei New D’sorni Studies gegründet wurde, trug er dennoch in den folgenden Jahren einiges zur optimalen und fast schon paradiesischen Entwicklung des Planeten bei. Dabei war dieser Beitrag eigentlich leidlich gering, denn Bekenstein schein seither ein Paradies zu sein und Visconti hatte den Planeten schlichtweg für Marketing-Gründe ein wenig unterstützt, aber selbst dieser Anteil war verschwindend gering. Das Logo machte zumindest Eindruck und den Slogan der Firma, der seit der Gründung von Corefield Design, Bestand hatte, prangerte an mehreren Ecken, aber nirgendwo schimmerte er so deutlich als wie über dem Eingang. Octavian kannte den Mann hinter dem Marketing-Coup nicht, aber wenn es nach ihm ginge, hätte er sein ganzes Leben nichts mehr arbeiten müssen, da es schlichtweg perfekt zu Corefield Design passte und deshalb auf Firmenkosten wie ein König hätte leben können. Vermutlich bekam er aber nur einen feuchten Händedruck und das jämmerliche Gehalt in die Hand gedrückt.
Octavian hatte ganz vergessen wie der erste Stock des Unternehmens aussah seit seinem letzten Besuch hier, vermutlich lag es daran, da es schlichtweg nicht sonderlich aufregend war. Die Eingangshalle erinnerte mehr an ein Museum, die Räume nächstfolgend waren marginal interessanter, stellten sie doch nur bessere, detaillierte Museen dar oder dienten sie als Kantine, Besprechungszimmer unwichtiger Mitarbeiter; es befand sich gar eine Spielstube im äußersten Bereich des ersten Stocks. Ein roter Teppich war ausgerollt im Flur, das Licht floss in fast schon gold-ähnlichen Tönen durch den Raum, kunstvolle und reizhafte, silberne oder goldene Verzierungen verpassten der Marmorwand etwas Leben; in der Mitte des Raumes befand sich eine Rezeption, die Sejan und Octavian getrost ignorierten. An den Wänden hangen die ersten oder wichtigsten Errungenschaften von Corefield Design, darunter jeweils ein knapper Text über den Planeten. Die meisten davon wurden von menschlichen Kolonialisten bevölkert, während einige auch von nicht-menschlichen Rassen gegründet wurden, aber dieser Anteil war wohl, wie vieles bei Corefield Design, ein rein prestigeträchtiger Anspruch. Schlussendlich am Ende des Flurs war der heißerwähne Fahrstuhl, der allerdings von einer Kontrolle und zwei gewohnt bösartigen Batarianer bewacht wurde. Obendrein befanden sich zwei stationäre Geschütze im Raum, die mittels eines einfachen Knopfdrucks alles durchsieben würde, welches von der VI als Feind bezeichnet wurde, was generell alles war, außer den Angestellten, die dazu erlaubt waren den Knopf zu drücken und den Viscontis.
Einer der Batarianer aktivierte augenblicklich den Lift als er Octavian sah, der andere zögerte etwas. Sejan schritt an ihnen gemütlich vorbei, so als wäre es ein alltäglicher Prozess. Der zweite Batarianer zögerte noch immer, räusperte sich dann aber und sprach aber: „Entschuldigung, ich müsste ihre ID sehen und Sie scannen.“ Octavian wartete hinter der Rezeption, während Sejan irritiert zu ihm blickte.
„Es ist Standardvorgehen, also bitte.“
„Bist du wahnsinnig? Das ist Sejan, und das ist Octavian Visconti.“
„Trotz-dem…“, stotterte der Batarianer, der sich zaghaft am Nacken rieb und nervös seine vier Augen in beschämender Art immer wieder zukniff.
„Erhabener, Sie können natürlich ohne Kontrolle durch.“
„Kann ich das?“, antwortete Octavian.
„Äh“, gab Tyflavs von sich, so zumindest der Name auf dem Namensschild des Batarianers.
„Damit wir uns verstehen: Diese Kontrollen sind nicht zum Spaß hier. Selbst wenn ein Mitglied des Citadel-Rates hier hindurch will, wird der Weg erst freigegeben nachdem die ID und die Erlaubnis zum Eintritt bestätigt wurde. Verstanden?“ Tyflavs zögerte etwas, und fing nun ebenfalls an nervös mit den Augen zu blinken, während sein Kollege ein wenig Mut fasste und für Tyflavs mit einem beherzten ;Ja, Erhabener!‘ antwortete. Der zweite Batarianer machte sich augenblicklich an die Arbeit. Octavian hätte Lust auf einen kleinen Scherz Richtung Tyflavs gehabt, aber er entschied sich dazu nichts zu sagen, schließlich lag ihm nichts daran irgendjemanden zu schikanieren und schon gar nicht seine eigenen Angestellten. Er holte wie zuvor seine ID hervor und eine Kamera erfasste ihn, übermittelte ein Bild auf das Terminal der Wachen, ehe die offizielle Freigabe von ihnen erteilt wurde. Der selbe Vorgang wurde bei Sejan wiederholt und mit einem wohl gemeinten Ratschlag an Tyflavs verabschiedete sich Octavian von den zwei Wachen vorerst, der wie folgt lautete: „Ich dulde keine Ausnahmen hier. Der Mord meines Vaters ist hier passiert, das sollte uns allen eine Lektion zu sein.“ Die Batarianer nickten eifrig und als Octavian in den Aufzug eintrat, warf er ihnen einen strengen Blick zu, einer jener Sorte, der unmissverständlich den vorherigen Satz weiterführte, und verdeutlichte, dass jeder, der in der damaligen Nacht nicht seinen Dienst erfüllt hatte mit Konsequenzen zu rechnen hatte – denn so geschwächt war sein Körper nach wie vor, dass er die glasigen Augen nicht verstecken konnte, als er das Gemälde, welches von der Decke über dem Wachposten herab ring, nicht hätte ignorieren können. Die rasche, aber ausdrucksvolle Reaktion in Octavians Gesicht – eine Reaktion, die sich vornehmlich durch das Verziehen seines Mundwinkels und in dem Versteifen seiner Wangen zeigte; letztendlich aber vor allem der Unmut der sich darin vollkommen und fast schon traditionell entwickelte und zur Geltung gebracht wurde, nach dem er das Bild seines Vaters sah, reichte den Batarianern aus um all dies zu interpretieren.