Presrop, unterirdisches Lager der „Seher“
06.30 Uhr
Der Alltag beginnt von neuem. Meine Unterkunft ist spartanisch eingerichtet, 2 Stockbetten und ein Schrank für unsere Arbeitskleidung, ich und drei weitere Seher auf 16m² eingepfercht. Es ist für mich immer noch unverständlich, wie meine Zimmergenossen es schaffen, wie von einer anderen Macht kontrolliert um Punkt 6.30 Uhr aufzuwachen und sich fertig zu machen für die Arbeit. Meist müssen sie mich wecken, schmunzeln ein wenig dabei. Sie sagen ich würde es auch lernen, wenn ich weiter „fortgeschritten“ bin. Keine Ahnung was das heißen soll.
06.45 Uhr
Frühstück. Niemand sagt ein Wort, reden wir am Tisch als undiszipliniert und törricht gesehen. Die Stille macht mir zu schaffen, mir fehlt die wärme meiner Familie.... diese Kälte, die die anderen Seher ausstrahlen ist mir unheimlich... bis jetzt habe ich immer noch keine Freunde gefunden.
07.00 Uhr
„Ohne eiserne Disziplin verfallen wir den Reizen dieser falschen Welt. Für manche scheinen sie wie süßer Honig, doch viel mehr als süß ist er klebrig, hält dich fest und zieht dich irgendwann gänzlich in seine Tiefen, aus denen du nicht mehr entkommst.“
Die Wände in unseren unterirdischen Feldanlagen sind verziert mit solchen Phasen. Sie sollen uns motivieren, manche unterbrechen die Arbeit, blicken zu ihnen und flüstern sie für sich, bevor sie weiter arbeiten... Wieder das einzige Wort, was hier „gesprochen“ wird.
10.00 Uhr
Jemand ist heute ausgerastet. Ich kenne seinen Namen nicht, wie den von niemanden hier. Ich weiß nicht, ob sie wissen wie ich heiße, niemand fragt danach, niemand benutzt Namen... und doch können sie sich irgendwie unterscheiden und sich benennen.... Der Mann der ausfallend wurde, hatte auf einmal die Arbeit unterbrochen, sein Gerät hingeworfen und gebrüllt... Er hat gesagt, wir sollen uns nicht verarschen lassen, hätten genug bezahlt, dass wir nicht arbeiten müssen.. wir wären hier um Biotiker zu werden...
Kurze Zeit später blicke ich auf seinen toten Körper, er ist einfach umgefallen, hat ein schmerzverzogenes Gesicht als letzte Reaktion gezeigt. Ich weiß nicht was passiert ist, später hat man uns erzählt, ein „Scal“ hätte ihn gebissen, dass ist irgendein giftiges Insekt das anscheinend durch einen Import in die Basis kam und in den Feldern seine Nahrung findet... ich weiß nicht ob ich das glauben soll, aber irgendjemand hatte mir mal zugeflüstert, während ich die Schriften studierte, dass der „Milord“ stark genug sei, Adern im Gehirn platzen zu lassen und das er wüsste, was wir tun, fühlen und denken... Ich bin unsicher was ich glauben soll....
Mit einer fließenden und kräftigen Bewegung wurde das Buch zugeklappt, die Gestalt, gehüllt in schwarzen Schatten des Raumes, die nur hin und wieder von einigen flackernden Kerzen durchbrochen wurden, ließ außer einem tiefen Brummen nichts von sich vernehmen.
Vor ihr stand zitternd ein 15 jähriger Junge, starr vor Angst und gelähmt von der Ungewissheit, die diese Situation mit sich brachte. Seine Augen zuckten nervös nach links, dann nach rechts, versuchten jede Bewegung im schwachen Lichtschein zu erkennen, um sich eine Sicherheit zu schaffen, dass ungewisse zu überdecken.
Plötzlich tönte eine tiefe Stimme aus der Dunkelheit:
„Hast du Angst?“
„Neiei... neeien. Neein, Milord“, stammelte der zierliche Junge und hatte sichtlich Mühe, sich auf den vor Zittern fast weg knickenden Beinen zu halten.
„Du willst den Weg des Sehers gehen, oder?“
„Jaaja.. ja, Milord !“, nickte der Junge fanatisch.
„Mhh...“, wieder ein tiefes Grummeln, „Dann sag mir, junger Mensch, wie du dich der Wahrheit dieser Welt am Ende des Weges stellen willst, wenn du mit ihr schon jetzt geizst ?“
„Iicchch, icchc verstehehehe niccicht, Milord.“, antwortete der Junge unsicher, kurz über seine Schultern blickend.
„Du hast Angst, ich spüre es und du hast mich belogen.“
„Neieiein! Dasas woltle icich nicicht, Milord muss mir glauben !“
„Der Weg des Sehers ist lang, mein Junge und du noch ganz am Anfang.... Habe ich dein uneingeschränktes Vertrauen, dass du ihn bis zum Ende gehst oder andernfalls mit deinem Leben bezahlst ?“
Unsicher blickte der Junge sich um.
„Isis das ein Test, Milord?“
„Antworte.“
Kurz zuckend trat der junge einen Schritt näher.
„Jawohl, das habt ihr Milord, der Weg des Sehers, oder mein Tod.“
Mehrere Minuten Stille kehrten ein, bis dass die tiefe Stimme abermals durch den Raum klang.
„Ein Versprechen darf niemals aus Angst gegeben werden, junger Seher. Der Weg des Sehers ist dein persönlicher Weg, du allein entscheidest, ob du ihn gehst, oder ihn für immer verlässt, aber wähle gut, wenn du deine Seele einmal an diese falsche Welt verkauft hast, ist es zu spät, zurück zu kehren, bedenke dies... Und nun gehe, der Weg des Sehers ist noch sehr lange für dich.“
„Was, ist mit meinem Buch, Milord ?“
„Brauchst du es wirklich ?“
„Nein, mein Besitz ist auch euer Besitz, Milord!“
„Dann gehe jetzt...“
Plötzlich durch stachen zwei glühend rote Augen die Dunkelheit, die Kerzen erloschen und eine Tür öffnete sich, gewandt in einen blauen Schimmer. Der Junge blickte zur Tür, stolperte eilig hindurch, bevor sie sich kurz darauf wieder verschloss und die Gestalt in völliger Dunkelheit zurück ließ.
Zeit unbekannt