< Oberes Deck: Krankenstation
5.21 Uhr
Yayla ließ den Blick kurz über den vor ihr liegenden Gang schweifen. Es gab nicht besonders viel zu sehen: ein düsterer Gang, dessen Beleuchtung teilweise defekt war mit dunklem Boden und weißen Wänden, wie im Rest des Schiffes auch. Zu Yaylas Rechten befanden sich sieben Türen, von denen lediglich die vorletzte der Reihe offen stand, vermutlich die, die sich Nalya ausgesucht hatte.
Wenig später sollte sich diese Vermutung als wahr herausstellen.
Als Yayla eintrat, war ihre Schwester gerade damit beschäftigt ein paar Klamotten in den Spind auf der linken Seite des Zimmers zu stopfen, wo sich auch ein Bett befand. Auf der Rechten Seite befand sich genau das gleiche Mobiliar.
„Sieht ganz so aus, als müssten wir uns mal wieder ein Zimmer teilen“, bemerkte Yayla und beobachtete, wie Nalya den restlichen Inhalt ihrer Reisetasche auf ihr Bett kippte.
„Wenn du was dagegen hast kannst du dir gerne ein anderes aussuchen oder du ziehst zu der anderen, die hat sich irgendwo weiter vorne einquartiert“, entgegnete die jüngere Asari in ablehnendem Tonfall.
„Kein Grund, sich aufzuregen, wenn du willst, such ich mir was anderes… allerdings ist dann niemand hier, falls irgendwelche Kopfgeldjäger auftauchen“, fügte Yayla etwas leiser mit einem leichten Lächeln hinzu.
Nalya seufzte genervt. „Weißt du was? Bleib einfach hier. Ich brauch schließlich jemanden, der sauber macht und wenn du dich nicht opferst könnte ich noch irgendjemand schlimmeres hier reinkriegen. Ach übrigens, ich glaub, ich muss dir was von meinen Klamotten abtreten, von dir hab ich so gut wie nichts eingesteckt…“
„Bei der Göttin, meine schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet“, scherzte Yayla und begann, den relativ kläglichen Klamottenhaufen auf Nalyas Bett nach etwas Brauchbarem zu durchsuchen.
„Was sagt der Doc?“, fragte Nalya beiläufig.
„Das wird von selber wieder, bis es soweit ist muss ich wohl oder übel mit den Schmerzmitteln auskommen.“
„Hmpf“, war Nalyas einziger Kommentar, vermutlich wollte sie nicht unbedingt über das Thema reden, schließlich war sie es, die Yayla angeschossen hatte.
Nachdem Yayla sich ihren Klamotten-Anteil zusammengesucht hatte, verräumte sie ihn ebenfalls in ihren Spind, bis auf ein paar Kleidungsstücke, die sie vorerst tragen würde, schließlich konnte es bis zum Angriff der Nebelparder noch einige Zeit dauern und auf dem Schiff würde wohl kaum eine größere Gefahr für sie bestehen.
Die Söldnerin legte ihre Panzerung und die Waffen ab und zog sich um, ohne dabei auf ihre Schwester zu achten. Doch als sich Yayla gerade ein Oberteil überzog, ergriff Nalya plötzlich das Wort.
„Was ist mit deiner Tätowierung passiert?“, fragte sie ziemlich überrascht. Yayla starrte sie ein paar Sekunden lang verständnislos an.
„Meine was?“
„Deine Gang-Tätowierung, der brennende Dämonenkopf! Von Syn’Shara!“, erinnerte sie Nalya, offensichtlich hatte sie Yaylas Reaktion verärgert und jetzt verstand die ältere der beiden Asari auch, warum.
„Warum hätte ich es behalten sollen? Ich bin ein für alle mal raus aus Syn’Shara, also hab ich’s entfernen lassen…“
Aber natürlich. Es war nur logisch, dass sich Nalya irgendwann der Gang hatte anschließen müssen, warum zur Hölle war Yayla da nicht früher draufgekommen? Syn’Shara war in ihrer Gegend von Maera die größte reine Asari-Gang gewesen und wer Schutz brauchte, schloss sich ihnen oftmals an…
„Bevor du gleich irgendwelche Schlussfolgerungen ziehst: Nein, ich bin auch nicht mehr dabei und Syn’Shara geht mir am Arsch vorbei, aber dass du dich nicht mal mehr an die verdammte Tätowierung erinnerst? Das Ding ging über deinen halben Rücken! Aber entschuldige, man vergisst ja wirklich so einiges, wenn man ein paar Jahrzehnte lang in den Terminus-Systemen seinen Spaß hat!“
Yayla stöhnte, setzte sich auf die Bettkante und stützte die Stirn auf eine Hand.
„Nalya, reg dich ab, das hatten wir doch schonmal. Ich hatte meine Gründe fortzugehen und ich hatte meine Gründe, wegzubleiben. Mir ist klar, dass du das anders siehst, aber wenn du dich wegen jeder Kleinigkeit…“
„Schon gut!“, entgegnete Nalya wütend und starrte Yayla mit vor Zorn funkelnden Augen direkt in die Ihren. Yayla schaute nicht weg, sie kannte das Spiel. Es dauerte eine ganze Weile, bis es Nalya schließlich zu dumm wurde und sie mit einem Fauchen die restlichen Sachen von ihrem Bett riss und in den Spind packte.
„Ich komm damit klar, also reden wir nicht mehr drüber, einverstanden?“, schlug sie anschließend mit ernster Mine vor.
Yayla nickte wortlos.
Na wunderbar, reden wir einfach nicht mehr darüber, sicher die beste Lösung. Solang sie nicht irgendwann austickt und was richtig dummes anstellt… aber so unbeherrscht ist sie nicht, sie weiß, worauf sie sich mit mir eingelassen hat und ich wusste genauso, dass ich sie nicht dazu bringen kann, mir einfach so zu vergeben. Alles ist so, wie es sein sollte...
„Ich hab nur gefragt, weil ich meins noch hab…“
Nalya, die nun ebenfalls ihre Panzerung abgelegt hatte, schob das Unterhemd nach oben und offenbarte Yayla eine Tätowierung unterhalb der rechten Brust, welche ein schwarzes Feuer darstellte, in dessen Rauch zwei blaue Augen mit schlitzartigen Pupillen zu erkennen waren.
Syn’Shara… die blauen Teufel. Zu meiner Zeit musste man als Aufnahmeritual noch jemanden umlegen, frag mich, ob’s bei Nalya genauso war. Damals hatten sie sich auf die Fahne geschrieben, für Ordnung zu Sorgen und die von ihnen kontrollierten Viertel zu schützen… also jede Menge Schutzgelderpressung. Wenn man ein von ihnen war hatte man allerdings keine Probleme und von deiner Familie hielten sich dann auch alle fern… zumindest die Schlauen. Aber das Beste waren immer noch die Dinge, die wir auf feindlichem Territorium abgezogen haben. Raubüberfälle, Schießereien… war schon damals mein Spezialgebiet… Irgendwie witzig, dass die Bullen mich nie für Mord drangekriegt haben… Ob Cianna…
Yayla schüttelte energisch den Kopf. Wenn sie weiter drüber nachdachte, stellten sich ihr nur haufenweise Fragen, die sie Nalya jetzt lieber nicht stellen wollte, abgesehen davon, dass sie an diese Zeit nicht nur positive Erinnerungen hatte. Es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um alles wieder hochkommen zu lassen.
Sie musste sich irgendwie ablenken.
„Was hältst du von der Crew?“, fragte sie schließlich frei heraus.
Nalya ließ sich auf ihr Bett sinken und dachte kurz darüber nach, bevor sie antwortete.
„Yamashe ist ganz cool drauf… kein schlechter Boss, schätz ich mal. Keine Ahnung, was ich von diesem René-Typen halten soll und die Ärztin sah aus wie irgend’n verschüchtertes Mäuschen, keine Ahnung warum die an Bord ist. Sonst war da ja nur Shaiya und die ist… keine Ahnung, was weiß ich. Sie ist’n Doktor, aber was für einer? Jedenfalls sah sie nicht viel älter aus als ich… Was hältst du denn von denen?“
Yayla musste nicht nachdenken, sie hatte sich die Antwort bereits zurechtgelegt.
„Elena ist zu weich, genau wie Shaiya, die weiß glaub ich nichtmal, auf was sie sich hier eigentlich eingelassen hat. René macht seinen Job, aber anscheinend klärt er Yamashe nicht immer über alles auf, was er so tut. Die Ärztin hat mich ziemlich verwirrt, ich dachte, Elena hätte nur Experten angeheuert, da hätte ich mir was Besseres gesucht... Andererseits hat sie uns auch nicht besonders sorgfältig ausgesucht.“
Nalya richtete sich halb auf und sah Yayla zweifelnd an.
„Warum ist Yamashe dir zu weich?“
„Sie ist zu vertrauensselig und zu sehr um das Wohlbefinden ihrer Leute besorgt. Ich bin mir nicht sicher, ob sie im Extremfall hart genug durchgreifen wird.“
„Also ist sie deiner Meinung nach ein schlechter Captain, weil sie zu nett ist?“
„Ja, in gewisser Weise“, antworte Yayla mit einem Schulterzucken.
„Mit anderen Worten: Yamashe wird uns alle umbringen, Shaiya hat keine Ahnung, René ist ein unloyaler Kerl, der seinen Job macht und die Ärztin kann nichts? Klingt nach einer tollen Mission!“, bemerkte Nalya mit einem Grinsen.
Yayla lächelte. Ihre Auseinandersetzung schien schon wieder so gut wie vergessen zu sein.
„Ganz so schlimm ist es auch wieder nicht, der Alpha Chimera Tracer auf Elysium war genauso drauf und der hat es immerhin ziemlich weit geschafft. Auf der Mission, auf der ich mit ihm war hat er sich auch alles andere als schlecht geschlagen. Im allgemeinen sollte Yamashe nicht übel sein.“
„Was’n für ein Tracer? War das vor kurzem oder schon länger her?“
„Das war der Job, bei dem ich so viel Kohle verdient hab, am Tag bevor du aufgetaucht bist.“
„Und was habt ihr da gemacht? Elysium sah ja nicht grad nach viel Action aus.“
„Du hast ja keine Ahnung…“
Nalya bestand darau, die ganze Geschichte zu hören, also erzählte ihr Yayla alles von der Rekrutierung bis zum unrühmlichen Ende ihrer Auseinandersetzung mit Balak Hod’or und ihrem anschließenden sehr kurzen Aufenthalt in Leifs Anwesen.
„Und sowas ziehst du jeden Tag ab? Mal ernsthaft, das war doch ordentlich ausgeschmückt.“, fragte Nalya mit hochgezogener Augenbraue.
„Nicht jeden Tag, aber ab und zu… und nein, das war die reine Wahrheit.“
Tatsächlich hatte Yayla kein einziges Mal gelogen oder übertrieben, auch wenn es stellenweise so geklungen haben musste. Sie hatte lediglich nicht erwähnt, dass Rosselini der Vigo des Neblparder-Clans gewesen war, nur falls sich später herausstellen sollte, dass er doch was mit der Sache zu tun hatte…
Nalya schnaubte und erhob sich von ihrem Bett.
„Genug rumgesessen, ich will mir mal das Schiff ansehen… und was zu futtern könnt ich auch gebrauchen. Kommst du mit?“
„Warum nicht?“, antwortete Yayla leichthin und stand ebenfalls auf.
Sie schnappte sich die Schrotflinte von ihrem Bett, befestigte sie an ihrem Gürtel und folgte Nalya aus dem Quartier – man konnte ja nie wissen.
„Mal schaun, wo sich die Frau Doktor einquartiert hat“, bemerkte die jüngere der beiden Asari beiläufig und öffnete auf ihrem Weg durch den Gang in Richtung Küche einfach sämtliche Türen, an denen sie vorbei ging mit einem lässigen Schlag gegen das Bedienfeld.
Yayla schüttelte nur den Kopf und folgte ihrer Schwester schweigend, bis sie schließlich die richtige Tür gefunden hatte.
Zu Nalyas offenkundiger Überraschung hatte Shaiya bereits direkt vor der Tür gestanden, vielleicht, um sich ebenfalls etwas die Beine zu vertreten.
„Oh, hallo…“, war die etwas lahme Reaktion. „Wir wollten in Richtung Küche und uns danach ein wenig umschauen… kommst du mit?“, fragte Nalya schließlich, wahrscheinlich um einfach irgendwas zu sagen.
Yayla hielt sich weiter im Hintergrund und beobachtete Shaiyas Reaktion.
5.57 Uhr