14:50
Antirumgon; Narshad - The Lost Souls
Es war erstaunlich, wie leicht man sich mit den einfachsten Dingen beschäftigen konnte. Würfel, zum Beispiel. Der hochgewachsene Turianer liebte es, einfach nur in der Ecke der Bar zu sitzen und einen kleinen, von Menschenhand erschaffenen Holzwürfel über den Tisch tanzen zu lassen.
"Möchten Sie sonst noch etwas, Sir?"
Garett blickte auf. Er wunderte sich darüber, dass die junge Menschenfrau ihn immernoch mit "Sir" ansprach. Er war seit fast einer Woche ständig hier anzutreffen, er verließ das "The Lost Souls" nur, um in der Wohnung eines ehemaligen Kameraden und Freundes zu schlafen.
"Nein, danke."
Die junge Dame lächelte ihm höflich zu, ehe sie sich den anderen Kunden zuwandte. Garett seufzte. Er hatte schon viel zu viel Geld in diesem Laden ausgegeben.
Morgen ist es soweit. Endlich wieder Dienst.
Er lehnte sich zurück in den Stuhl und sah sich um. Neben der Würfelei war seine zweite Lieblingsbeschäftigung hier in Narshad das Beobachten fremder Leute. Doch heute war fast nichts los. Am bemerkenswertesten fand er immernoch den großen Kroganer, den er vor einigen Tagen in Begleitung einiger Menschen gesehen hatte. Eine junge Menschenfrau war auch darunter gewesen.
Hm. Sie sah nicht schlecht aus. Für einen Menschen.
Er versuchte sich an das genaue Äußere von Amanda zu erinnern.
Natürlich nichts, im Vergleich zu Keyla...
Er seufzte erneut. Keyla. Er schloss die Augen.
__________________________________________________
> Citadel ; Quartier der GFL ; Versammlungshalle <
12:34
Das künstliche Sonnenlicht der Citadel schien einladend durch die großen Fenster der riesigen Halle. Garett fiel spontan einiges ein, dass er jetzt gerne tun würde. Zum Beispiel draußen am See die Beine ausstrecken und den Tag genießen. Stattdessen stand er jetzt hier drinnen, zwischen etwa einhundert anderen Soldaten, die meisten davon waren noch Privates – Rekruten. Seit gestern war er selbst keiner mehr, man hatte ihn zum Corporal befördert. Garett war stolz auf sich.
Weiter vorne in der Halle, in den vorderen Reihen, standen die verschiedenen Offiziere, aufgestellt und sortiert nach Rang und Spezies. In den ersten drei Reihen standen selbstredend nur Asari. Allen voran Melina Cayannis, die ganz vorn vor einer Art Podest stand und mit ihrer lauten, ausdrucksstarken Stimme die Halle durchdrang. Garett wusste, dass sie nicht lange bleiben würde. Anschließend würde sie nach Thessia reisen, um dort die selbe Rede bei der Hauptgedenkzeremonie zu halten.
„Soldaten! Heute ist ein besonderer Tag.
1924 Jahre – eine lange Zeit.
Eine lange Zeit für Turianer, für Menschen,
für Batarianer, für Salarianer...“
Wie all die anderen Soldaten in der Halle stand auch Garett aufrecht, mit hinter dem Rücken verschränkten Armen. Obwohl er die GFL über alles in seinem Leben stellte, konnte er den Zeremonien nie viel abgewinnen. Sie waren in seinen Augen zu unproduktiv und zeitaufwendig, ein notwendiges Übel. Eine Zurschaustellung von Macht. Er verstand nicht, was besonders die Asari daran so toll fanden. Zweifellos könnte man mit der Zeit des ewigen Geredes Nützlicheres anfangen.
Für ihn war das alles hier einfach nur...
„Langweilig, nicht wahr?“ hörte er eine weibliche Stimme direkt neben ihm flüstern.
Garett tat, als hätte er nichts gehört.
„Corporal Morrtarus, richtig?“
Er antwortete nicht.
„Groß, kräftig, ….“
„...selbst für uns Asari.
Wir waren nicht dabei. Keiner von uns.
Wir standen nicht dort, Seite an Seite.
Mit unsere Vorfahren. Mit Trayana Aurelius.
Nein, wir waren nicht dort.
Doch vergessen, das dürfen wir nicht...“
Garett beobachtete schweigend die Zeremonie.
„... schweigsam. In der Tat, Corporal Garett Morrtarus.“
Garett seufzte und brach damit sein Schweigen.
„Ja, der bin ich. Warum?“
„Ich wollte Ihnen nur zu ihrer Beförderung gratulieren. Alle Achtung. Ich habe gehört, Sie hätten letzte Woche auf Virmire ziemlich Dampf abgelassen.“
Er schnaubte, als er die ehrliche Begeisterung in der fremden Stimme hörte.
„Schmuggler und Piraten. Keine ernsthaften Gegner für einen Soldaten.“
„Aber, aber, warum so bescheiden? Chief Hackett meinte, ihr hättet eine beeindruckende … Kampfmoral. Ihr würdet keinen Moment zögern, einen Befehl auszuführen. Er verglich Euch mit einem...“
„... Ruhm, Ehre und Tapferkeit!
Das waren die Dinge, die sie stark machten.
Damals, auf Rookato, im Angesicht der tödlichen Rachni.
Ruhm, Ehre und Tapferkeit!
Das sind die Dinge, die UNS die nötige Stärke verleihen!...“
„...Hund?“
Er hörte die weibliche Stimme neben sich leise lachen.
„Ja, woher wisst Ihr das?“
Garett zuckte leicht mit den Schultern.
„Die Privates nennen mich so. Sie sind Menschen. Der Chief ist auch nur ein Mensch.“
„Nur?“ die Stimme neben ihm lachte erneut. „Höre ich da etwa Antipathie, Corporal?“
„Nein. Der Chief ist mein Vorgesetzter. Über ihn zu urteilen steht mir nicht zu.“
„Aber mir.“
Erstaunt blickte Garett zur Seite, in die strahlend blauen Augen einer bildschönen Asari.
„...Wir wollen nicht vergessen, was sie damals erkämpften.
Wir wollen nicht vergessen, wofür sie starben.
Wir, ihre Enkel und Erben.
Träger der Fackel der Rechtschaffenheit.
Sie lebten als Helden, sie starben als Helden...“
„Oh, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Wie unhöflich von mir. Staff Legionnaire Keyla Alceria.“
Ich habe sie behandelt wie einen gewöhnlichen Private. Idiot!
Garett blickte wieder nach vorne, damit sie seine Verlegenheit nicht sehen konnte. Sie lachte erneut leise auf.
„Keine Angst, Corporal. Von dieser Sorte bin ich nicht.“
Garett ließ den Blick durch den Raum schweifen. Wenn die Soldaten, die in der Reihe vor ihnen standen, etwas gehört hatten, so ließen sie es sich nicht anmerken. Der Batarianer, der links neben ihm stand, hatte zwei seiner Augen geschlossen, die anderen beiden blickten verschlafen nach vorn. Er war nicht der einzige im Saal, der scheinbar im Begriff war, im Stehen einzuschlafen.
„Allerdings. Warum stehen Sie nicht weiter vorne, bei den anderen Unteroffizieren, Sir?“
Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, dass sie nun ebenfalls vorgab, die Zeremonie zu verfolgen.
„...Heute, Soldaten, versammeln wir uns,
um ihrer Taten und ihres Mutes zu gedenken.
Das Feuer ihrer Leidenschaft brennt in uns weiter.
Es wärmt unsere Seelen, schützt uns vor dem Bösen...“
„Da vorne fällt es eher auf, wenn man redet. 2nd Leutnant Oley'pas hat mich schon das letzte Mal dabei erwischt.“
Sie zuckte mit den Schultern und lächelte.
„Sie war nicht gerade erfreut. Aber ich kann einfach nicht die Klappe halten. Wenn man seit über 100 Jahren immer und immer wieder die selben Zeremonien mit ansehen muss, dann braucht man einfach eine Ablenkung.“
„Das tut mir Leid.“
Sie kicherte. Garett, der ihr heimliche Blicke zuwarf, bemerkte, dass sie nicht sehr alt sein konnte. Für Asariverhältnisse, versteht sich.
„Man könnte denken, Ihr meint das ernst.“
„... wie mächtig das Böse auch immer erscheinen mag,
am Ende wird es immer bezwungen.
Es muss sich beugen – uns, dem Zorn der Citadel.
Selbst die Rachni mussten dies begreifen...“
„Ich meine es ernst.“
Sie schmunzelte, als sie seinen ernsten Gesichtsausdruck sah. Doch plötzlich verlor auch sie im nächsten Moment jede Heiterkeit. Die Asari musterte ihn mit gerunzelter Stirn.
„Lacht Ihr eigentlich nie, Corporal? Ihr habt bisher noch nichtmals gelächelt.“
Ihr kritischer Blick lastete schwer auf ihm. Garett schwieg, blickte jedoch nervös zur Seite. Plötzlich bemerkte er, dass Commander Cayannis die Hymne angestimmt hatte. Lautstarker Gesang, nicht melodisch, sondern laut und hart, in bester Militärtradition, erfüllte die Halle. Garett war froh, dass ihm so eine Antwort erspart blieb.
„... Ruhm und Ehre!
Ein unbezwingbares Herz, wir alle sind Brüder.
Wir, der Zorn der Citadel, wir alle sind Brüder.
Und Ruhm, ewiger Ruhm.
Wir werden ihre Bürde gemeinsam tragen.
Geschmiedet wie ein Schwert im Feuer der Gerechtigkeit, wir sind alle Brüder.
Die, die vor uns stehen, tauchen den Nachthimmel in Flammen.
Doch unsere Loyalität strahlt noch heller!
Auch die letzte verdorbene Seele soll niederknien!
Die, die vor uns stehen, tauchen den Nachthimmel in Flammen.
Doch unsere Loyalität strahlt noch heller!
Auch die letzte verdorbene Seele soll fallen!
Wir, der Zorn der Citadel, wir alle sind Brüder. ”
Stille kehrte ein. Commander Melina Cayannis ließ ihren Blick durch die Halle schweifen. Dann fuhr sie mit ihrer schier endlosen Rede über den Glanz und die Glorie der GFL fort. Alles verlief weiter, wie gehabt. Garett hatte die Asari neben ihm fast vergessen.
„Gehe ich Euch auf die Nerven? Ich kann auch wieder nach vorn zu...“
„Nein, bleibt!“
Erschrocken stellte er fest, dass er nicht mehr geflüstert hatte. Mehr noch, er hatte versucht einem Vorgesetzten quasi einen Befehl zu erteilen.
Einige Soldaten in der Reihe vor ihnen, zwei Menschen und drei Turianer, drehten sich kurz genervt zu ihnen um und machten „Pssscht!“. Garett blickte verlegen zu Boden. Er wartete auf den vertrauten Klang ihres Lachens, doch er wartete vergebens.
Stattdessen hörte er sie, leiser als bisher, folgende Worte flüstern:
„Wenn Ihr nach der Zeremonie etwas Zeit hättet, dann besucht mich doch bitte in meinem Quartier. Ich würde mich wirklich freuen... „Hund“.“
Der Turianer nickte nur knapp, doch in seinem Kopf war die Hölle los. Eine persönliche Einladung. Im Quartier. Von einem Vorgesetzten.
Garett hatte keinen blassen Schimmer, was sie von ihm erwarten würde. Er konnte sich nicht mal vorstellen, warum sie ihn eingeladen hatte.
Sie war eine Asari. Nicht dass dies unüblich wäre, die höheren Ränge waren hauptsächlich von Asari besetzt. Es ist auch nicht so, dass er noch nie mit einer Asari persönlich gesprochen hätte.
Aber noch nie hatte eine dieser merkwürdigen Wesen ihn so verwirrt. Die meisten Asari – Kameraden und Vorgesetzte – waren still und nahmen ihre Positionen und Aufgaben sehr ernst.
Keyla Alceria schien das genaue Gegenteil davon zu sein. Sie war gesprächig und schien über alles lachen zu können. Das sagte jedoch nichts über ihre Leistung als Soldat aus. Da sie die obere Spitze der Unteroffizierslaufbahn erreicht hatte, musste sie auch gewisse kämpferische Qualitäten haben. Garett merkte, dass er sie mochte. Wahrscheinlich sogar mehr.
Sei nicht dumm. Sie ist deine Vorgesetzte. Du bist ein unbedeutender Corporal.
Irgendwann hielt er es nichtmehr aus. Er wollte sich zu ihr umdrehen und sie nach dem Grund ihrer Bitte fragen. Doch als er nach rechts blickte, war sie nichtmehr dort.
_____________________________________________