Industrieanlage West
Kate konnte aus Jacobs Tonlage und Gesichtsausdruck nicht schließen, ob er nur neugierig oder auch besorgt war. Und sie wusste ebenso nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Bisher hatte sie mit niemanden über ihren Aufenthalt bei den Sehern gesprochen, sogar sie selbst versuchte das Erlebte immer wieder zu verdrängen anstelle sich damit auseinanderzusetzen. Konnte sie mit jemand, den sie gerade erst knapp über einen Tag kannte darüber sprechen? Konnte sie überhaupt mit jemand darüber sprechen?
Jedoch hatte sie in den letzten zwei Jahren mit niemand länger Kontakt gehalten. Begegnungen waren immer nur geschäftlich oder maximal für einige Stunden, aber nie über längere Zeit. Doch irgendwie hatte sie bei dem Mann, der jetzt neben ihr stand, ein anderes Gefühl. Vielleicht weil er ihr ohne Rücksicht auf sich selbst geholfen hatte, vielleicht weil er ihr vertraute, aber vor allem, weil sie, Kate Devereaux, ihm vertraute. War es ein unterbewusstes Verlangen nach jemanden, mit dem man Reden konnte, nach jemanden, den man einen Freund bezeichnen konnte?
Diese Vorstellung erweckte in ihr den Reflex alles und jeden wegzuschicken, der ihr zu Nahe kam. Es war immer der einfachste Weg eine emotionale Bindung, etwas, das man als Söldner und Einzelkämpferin nicht brauchen konnte, zu vermeiden. Doch es fühlte sich bei Jacob vollkommen falsch an. Ebenso bei Kimaya, der Quarianerin, deren Freundschaft sie genauso schnell gefunden hatte. Beide hatten ihr ohne in Erwartung einer Gegenleistung geholfen und beide waren noch immer bei ihr. Und beide hatten es sich verdient eine Antwort auf Jacobs Frage zu bekommen.
Nach den Sekunden des Schweigens hob die Biotikerin wieder ihren Kopf und sah zuerst Jacob, dann Kiba und zum Schluss abermals Jacob an. „Nicht hier…“, meinte sie dann zu ihren beiden Begleitern. Aus einem Impuls heraus ergriff sie Jacobs Hand. „Kommt mit.“ Sie führte beide an ein Fleckchen, dass ein wenig von der Straße abgeschieden war, so dass nicht jeder beliebige Passant ihre Geschichte hören konnte.
Kate ließ Jacobs Hand, erstaunt darüber, dass sie sie noch immer hielt, wieder los und lehnte sich an die Containerwand. Die junge Biotikerin holte tief Luft und begann mit ihrer Erzählung.
„Ich hoffe, ihr hält mich jetzt nicht für völlig verrückt aufgrund dessen, was ihr von Bella gehört habt, aber… meine Ausbildung zur Biotikerin fand bei den Sehern statt und ich war Teil dieser Vereinigung.“ Obwohl Kate die Seher verlassen hatte, schwang noch genügend Stolz in ihrer Stimme mit, um zu erkennen wie viel ihr das bedeutete.
„Aber die Seher sind nicht so, wie dieser Turianer sie dargestellt hat, denn sie bleiben für gewöhnlich unter sich und lassen andere Leute in Ruhe. Das Leben in der Gruppe hingegen ist äußerst hart und diszipliniert. Man studiert Biotik und lernt sie perfekt einzusetzen, selbst für simple Dinge. Es ist ein Teil von dir, eine Waffe und ein Schild. Sie macht dich stärker und überlegen, doch jetzt wo sie mir fehlt… Es ist so, als hätte ich keine Hände mehr.“
Kate seufzte kurz. „Aber genau dieses ‚unter sich bleiben’ war der Grund, warum ich mich wieder von ihnen getrennt habe.“
13:08