Citadel: C-Sec
23:58
Aus dem Radio erschallte turianische Volksmusik, der Götze auf dem Armaturenbrett und das Bild einer Turianerin bescherten Octavian einen persönlichen Einblick in das Leben seiner neuesten, aber vermutlich nicht gefährlichsten Nemesis. Während sie sich im Landeanflug zur C-Sec befanden, hinter ihnen manche Shuttles Hupkonzerte von sich gaben, da der Turianer alles andere als ein rücksichtsvoller Fahrer war, ergab es sich, dass Octavian den C-Sec Detective noch etwas beobachten konnte, aber selbst als ein größeres Shuttle knapp an ihnen vorbei schlitterte, verzog dieser nicht sein cooles Gesicht; allem Anschein nach war er ein Draufgänger – Octavian sollte es recht sein. Knapp am Gebäude entlang, fing der Turianer an die Bremsen zu ziehen, um dann kurz auszuscheren und reinzufliegen, was man wohl kaum als normales Landemanöver bezeichnen konnte. „Und nichts wird mehr erklingen außer unseren Waffen / und die Moral der Feinde verschwindet“, schaffte das Radio gerade noch auszuspucken bevor der Turianer es abdrehte. „Turianische Schlachtgesänge“, zwinkerte er Octavian zu: „Nehmen Sie die Zeilen nicht zu ernst, es ist nur gute Musik um durch die Citadel zu düsen.“ Was auch immer. Er öffnete die Tür und zerrte seinen Gefangen harsch aus dem Shuttle, vermutlich war es Zeit für einen Auftritt.
„Werden Sie mich jetzt wie eine Trophäe jedem in der C-Sec vorstellen?“
„Sie haben wohl eine vollkommen falsche Meinung von mir?“
„Das ist also kein Triumph für Sie?“ hackte Octavian nach.
„Routine“, erwiderte der Turianer knapp.
„Dafür dass es sich um Routine handelt, tragen Sie aber eine ziemlich schwere Rüstung, Detective“, neckte er ihn noch etwas, bis die beiden die Landeplattform verließen. Ein neonleuchtendes Schild signalisierte, dass diese Landeeinrichtung nur für C-Sec Shuttles erlaubt war und man sich doch bitte sofort beim Wachpersonal melden sollte. Vor sich Octavian immer wieder an schubsend, der sich leicht kindlich alles versuchte einzuprägen, kam der Turianer dem Personal näher, welches mit Sturmgewehren in der Hand und voller Montur an Rüstung den Eingang zur C-Sec versperrte.
„Warum in so hoher Bereitschaft, Officers“, witzelte der Turianer den beiden Kontrolleuren entgegen, die sich daraufhin nur mit einem abweisenden Grinsen gegenseitig anblickten und dann zu den beiden Neuankömmlingen die Worte „weil du kommst“ entgegenwarfen. Es gab auch schon bessere Konter. Die offizielle Antwort, dass es aufgrund des Funds eines Geth-Exoskeletts war, wussten sie aber nicht und vor allem war die Information sowieso nicht für die Ohren des Turianers und Octavians bestimmt.
„Freut mich, dass mich noch jemand beachtet. Sehen Sie Herr Octavian, ich habe genug Prestige?“
Die beiden C-Sec Beamten, einer Turianer, einer Mensch, gaben ein Schnauben von sich, gefolgt von einem ungläubigen Kopfschütteln. Der Mensch nahm die Karte vom Detective entgegen und beantragte Freigabe. „Wohin mit dem?“
„Zuerst Verhörraum, dann erst einmal in die Tagesarrestzellen. Er kann nur hoffen, dass eine nette Kaution für ihn herausspringt.“
„Was hat er denn angestellt?“
„Schwere Körperverletzung“, antwortete der Turianer knapp, der Mensch betrachtete währenddessen die Handschuhe von Octavian, der gelangweilt vor den beiden Wachen stand.
„‘Ne Asari-Schlampe verprügelt, was?“ Der Mensch offenbarte sein dreckigstes Grinsen und zeigte dabei seine gelben Zähne. Statt eines Kommentars schnaubte der Detective aber nur knapp, was als Antwort wohl vollkommen ausreichte, und auch Octavian gab nichts von sich preis; sie schritten einfach durch die Tür in den nächsten Gang und folgten den Beschreibungen, die sie zum Lift bringen würde. Mehrere Türen befanden sich am Gang und eine der Türen stand offen; ein Trupp von C-Sec Offizieren machten sich gerade für einen Sondereinsatz bereit und wuselten hektisch, aber konzentriert und eingespielt um sich gegenseitig herum um ihre Equipment so rasch wie möglich zu erlangen. „Schneller – Abflug ist in einer Minute“, brüllte der Sergeant und seine Officers fingen noch mehr zu hudeln an. Als Octavian und der Detective am Lift angekommen waren, hörte man noch ein lautes „Jetzt aber los“ und ein Trupp von bewaffneten, schwergepanzerten C-Sec Beamten stürmten aus der Kabine heraus, gefolgt von einer torkelnden, blonden Gestalt, die den Officers noch knapp hinterherwinkte, ohne dabei von einem von ihnen eine nette Abschiedsgeste zu bekommen, und sich dann lächelnd umdrehte, um ebenfalls in den Lift zu steigen. Octavian bemerkte wie der Turianer näher an ihm rankam und er konnte das immer schnellere Atem erkennen. Die leicht kauzige Art mit der sie sich mit einer Hand an der Wand anlehnte und die andere dazu verwendete um salopp ihre Hüfte zu berühren, das nervöse Augenzwinkern und dabei die äußerst entspannten Kaubewegungen, aber vor allem die verfärbten Zähne, das bleiche Gesicht, die roten Augenringe und die abgekauten Fingernägel entlarvten sie für Octavians Augen als eine Drogensüchtige. Einige Symptome passten zu Red Sand, aber nicht alle, vermutlich war sie gefangen in verschiedenen Mischungen. Ihr Emblem zeigte dass sie ebenfalls Detective tätig war. Octavians Musterung schien dem Turianer nicht zu entgegen, denn er bot dem weiblichen Detective den Lift an und schlug vor zu warten. Mit einem Seufzen, aber keinem Dankeschön nahm sie das Angebot an und schlenderte gemütlich in den Lift. Kurz bevor sich der Lift schloss, meinte sie noch: „Wenn ich draußen bin, werde ich alle Tasten drücken – meinen Dank auszudrücken.“ Und quittierte dies noch mit einem hämischen Lächeln gefolgt von einem Augenrollen.
„Sehr freundlich die Beamten von heute – das muss man schon sagen“, meinte Octavian sarkastisch. „Undercover-Agentin?“
„Was geht dich das an?“
„Nun, die Symptome sind mir bekannt. Ich hatte einst einen Mitarbeiter unter mir, der ähnlich agiert hat. Natürlich musste ich ihn feuern, so jemand nutzt niemanden etwas. Aber scheinbar kann man bei der C-Sec wohl machen was man will.“ Der Turianer schritt an Octavian vorbei und drückte den Knopf erneut um den Lift heraufzuholen.
„Willensschwach. Hat eine einige Zeit lang mit Yvonne de Laurant zusammen gearbeitet und ist jetzt dafür ziemlich im Eimer.“
„War der Einsatz erfolgreich?“
„Keine Ahnung, sagen Sie es mir?“
„Wie meinen?“
Der Turianer zögerte, überlegte vermutlich und antwortete dann: „Die Gesundheit und Psyche eines Detectives zu riskieren nur um ein paar Schmuggler festzunehmen, die sowieso ein paar Tage später von anderen ersetzt werden. Das ist irgendwie kein guter Tausch.“
Der Lift öffnete sich und die beiden traten ein. „Aber trotzdem ist es die Aufgabe der Polizei. Und wer sich zum Dienst meldet, insbesondere für einen Undercover-Einsatz, muss mit solchen Risiken rechnen. Wie will die C-Sec sonst gegen solcherlei Verbrecher vorgehen? Die Drahtzieher sollten doch die oberste Priorität sein:“ Der Turianer drückte einen Knopf.
„Ich habe nie einen Drahtzieher kennen gelernt, im Endeffekt sind alle nur Idioten, die in eine dumme Situation geraten sind oder zu viel Macht errungen haben. Die Typen können wir auch so auffliegen lassen und festnehmen, dafür braucht es keinen Undercover-Einsatz, nur engagierte Officer.“
„Für Sie ist Polizeiarbeit wohl eine ziemlich einfache Sache?“
„Ist es das nicht? Die Bösen festnehmen, den Unschuldigen helfen. Schwarz-Weiß Denken? Mag sein. Aber für mich verkompliziert sich die Welt zu sehr, ich mag es zu wissen auf welcher Seite ich stehe, geht es Ihnen nicht auch so?“
„Nein“, erwiderte Octavian und fügte nach kurzer Zeit zu: „nicht wirklich.“
„Und da irgendwie jeder nur noch denkt, dass es kein Schwarz-Weiß gibt, sondern nur Grauzonen, wird alles zu einer unendlichen moralischen Frage definiert. Man verstrickt sich in einem Dilemma, eine einzige Zwickmühle, die einen davon abhält zu handeln. Und ich für meinen Teil bin hier um etwas zu unternehmen.“
„Sie haben Recht, eine äußerst einfache Einstellung.“
„Dafür hat sie mich nicht davon abgehalten, sie festzunehmen. Ich habe Kollegen, die verstehen warum sie die Asari verprügelt haben. Und hätten es zugelassen. Entweder weil sie korrupt sind oder sich für intelligenter halten als sie sind. Ich behaupte nicht ich sei sonderlich clever, aber ich habe noch Prinzipien.“
„Die habe ich auch.“
„Ach, und die wären?“ Der Fahrstuhl wurde langsamer und öffnete sich, der Turianer packte Octavian und schubste ihn damit er losging.
„Zum Beispiel, dass man nicht meinen toten Vater demütigt.“
„Und da dachte ich, sie hätten ihren Vater gehasst?“ Octavian ließ die spöttische Frage des Detectives unkommentiert und schritt stattdessen nur den nächsten Gang entlang, beinahe genauso designt wie der vorherige; wodurch ein eigenartiger Zustand des Nirgendwo entstand. Er hätte im ersten, im achten oder im letzten Stock sein können, aber all das konnte er nicht sagen, denn die Übereinstimmungen, fast schon die Gleichheit, waren überragend und stellten ein gar absurdes Gefühl der Uniformität dar; hinzu kamen nämlich noch dieselben Rüstungen und symmetrisch gleich groß gebaute Büros, die verachtenden Blicke, die hier und da Octavian prüften und den Grund kannten, warum er hier war, auch wenn die Handschellen unter dem Mantel gut versteckt waren. Es war merkwürdig, dass Octavian immer noch die Handschuhe trug, die der Turianer eigentlich schon lange als Beweismaterial beschlagnahmt hätte sollen. Aber vielleicht sah der Turianer die ganze Sache auch um einiges gelassener als so manch anderer und scherte sich nicht groß um solcherlei Kleinkrämerei. Für ihn zählte Octavian vielleicht doch mehr als der korrekte Ablauf einer Verhaftung.
„Und was passiert jetzt?“ fragte Octavian nach, nach dem die beiden den Korridor gewechselt hatten und der Turianer die Handschellen von seiner neuesten Trophäe entfernte.
„Jetzt werden Sie verhört, was aber vermutlich mehr ein Kaffeeplausch sein wird, und anschließend geht es in die Kurzzeit-Arrestzellen. Sonst irgendwelche Fragen?“
„Nein.“
„Gut, ich würde auch keine mehr beantworten“, erwiderte der Turianer mit einem trotzigen Augenzwinkern, dass man nicht klar deuten konnte, sofern man nicht gerade ein Spezialist für turianische Gesten war. Er tippte einen Code im nächstgelegenen Tastaturfeld ein und mit einer forschen Handbewegung, die Octavian an der Schulter packte, schubste er ihn in die Verhörzelle. „Bis gleich.“ Die Tür schloss sich und ehe es Octavian noch recht realisierte, öffnete sich eine zweite Tür und eine Asari trat herein. Es war nicht die Partnerin des Turianers, sondern scheinbar nur eine Sekräterin, die die formalen Angelegenheiten erledigte. Mit einem einfachen Block bewaffnet, trat sie an Octavian heran, gebot ihm sich zu setzen. Das Formular und der Stift wurden sogleich an ihn ausgehändigt, aber sonderlich erfreut war er darüber nicht. „Muss ich das machen?“
„Bitte füllen Sie einfach das Formular aus.“
„Meinetwegen.“
Das Formular war dabei in gängigen Standardfragen gehalten, Name, Wohnort und so weiter. Mit reichlich ungelenkiger und man mag gar meinen unleserlicher Schrift schrieb Octavian alles weitere nieder. „Ich hoffe Sie können das verwerten“, gab er knapp und scherzhaft von sich, aber die Asari nahm nur das Blatt wieder an sich um es vermutlich anschließend in ihrem Terminal einzutippen.
Der Raum fiel äußerst karg aus, die Leere des Raums und der blaue, depressive Grundtenor, ausgelöst durch die Lichter, erzeugten bereits einen Vorgeschmack auf die kommenden Stunden in der Arrestzelle. An den Wänden hing nicht viel, außer zwei Kameras die alles überwachten, was vor sich ging rund um den Tisch in der Mitte, sowie rund drei Lampen, die reichlich genug Licht verbreiteten. Der Tisch aus Metall sowie den zwei festgenagelten Stühlen fehlte es an Charme und das Prädikat „Eigentum der C-Sec“ prangerte an jedem von ihnen. Er streifte endgültig seine Handschuhe ab, ebenso den Mantel und seine Kappe. Das violette Blut hatte die Asari bemerkt, fiel ihm jetzt auf und obwohl er sie während dem Ausfüllen des Formulars kaum beobachtet hatte, sah er in den wenigen Augenblicken wie sie ihn anstarrte respektive eher seine Handschuhe. Gewalt gegen eine asarische Zivilistin; vermutlich hatte Octavian noch Glück gehabt, dass ein Turianer ihn fest genommen hatte. Zweifellos aber spielte das im Endeffekt keine Rolle, ein paar Hiebe taten einen Moment lang weh, um genau zu sein spürte Octavian die früheren Schläge mit der Schrotflinte auf seinen Kopf nur noch entfernt, was aber weitaus wichtiger war, war letztendlich das Resultat morgen, ob er ein freier Mann sein würde oder nicht.
Die Tür durch die Asari zuvor hereinkam, zischte erneut auf und diesmal war es ein turianischer Freund, der sich seiner C-Sec Rüstung entledigt hatte und stattdessen gemütlichere, aber dennoch offizielle Kleidung trug, ein hübsches C-Sec blau, in Verbindung mit schwarzen Streifen. Ihren Stil sollte die C-Sec nochmal überdenken, dachte sich Octavian.
„Wie gesagt, ich glaube kaum dass Sie groß was abstreiten werden, schließlich habe ich Sie auf frischer Tat ertappt“, meinte der Turianer, während er an den Tisch näher kam und ein Diktiergerät zuvor aus einer Tasche hervorzauberte, er knallte ein paar Formulare auf den Tisch und anschließend machte er es sich auf dem Stuhl gemütlich: „und außerdem, werden Sie vermutlich sowieso nach einem Anwalt kreischen, nicht?“
„Ein Anwalt verzögert doch nur dieses Prozedere, nicht?“
„Bitte?“
„Ich habe seit drei Tagen quasi nicht geschlafen. Ich bin müde, und betrunken und mit den Nerven am Ende, denn schließlich – nur um es für die Akte festzuhalten – ist mein Vater vor kurzem ermordet worden. Etwas was aber auch als Vulvia Terasys jüngstem Bericht hervorgehen sollte.“
„Sie geben also zu, dass Sie Vulvia Terasy tätlich angegriffen haben?“
„Die Handschuhe sagen das zumindest aus, ja.“
„Und wieso?“
„Verleumdung, Lügengeschichten. Manchmal reicht es einfach und dann platzt es schon einmal aus einem heraus.“
„Ihnen tut es Leid was Sie getan haben?“
„Nicht wirklich. Sie hat es schließlich verdient.“
„Wären Sie weitergegangen?“
„Nein.“
„Für mich hat es aber so ausgesehen als wären sie kurz davor gewesen Vulvia Terasy brutal zu ermorden.“
„Dann haben Sie eine ziemlich merkwürdige Auffassungsgabe. Ich wollte hier eine Lektion erteilen. Man streut kein Salz in Wunden anderer Leute, aber vor allem muss man dann mit den Konsequenzen leben.“
„Sind Sie froh festgenommen worden zu sein?“
„Dämliche Frage.“
„Inwiefern hat sich der Tod ihres Vaters genau auf sich ausgewirkt?“
„Sind Sie jetzt Anwalt?“
„Ich möchte nur gerne die Sachverhalte klären warum Sie Vulvia Terasy tätlich angegriffen haben.“
„Mein Vater ist mir wichtig, sehr sogar. Wir hatten in der Vergangenheit unsere Differenzen, aber so ist es nun mal unter uns Menschen, und besonders in unserer Familie. Vielleicht würden wir uns alle gegenseitig hassen, wenn wir nicht verwandt wären, aber wir gehören zusammen. Also ja, der Tod hat mich erschüttert, ich wäre ein gefühlloses Nichts, wenn ich den Tod einfach so hinnehmen könnte. Mehr brauchen Sie nicht zu wissen, Ihre Akte über mich ist sowieso schon viel zu dick.“
„Sie würden es also nicht als emotionale Tat bezeichnen?“
„Ich war mir bewusst was ich tue.“
„Diese Antwort ist verblüffend ehrlich.“
„Und wieso das?“
„Ach, meistens hört man etwas von wegen ‚ich war nicht ich selbst‘ oder ‚ein roter Schleier hatte sich über meine Augen gelegt‘, all solches Gedöns. Also sagen Sie, dass Sie Herr ihrer Sinne waren?“
„Ja.“
„Nicht einmal betrunken?“
„Wollen Sie mir jetzt ein Alkoholverbot aufdrängen?“
„Wenn Sie das in Zukunft von solchen Verbrechen abhält…“
„Oh nein, aber derlei Sachen liegen hoffentlich in der Vergangenheit, zumindest wenn Vulvia Terasy gelernt hat nicht weiterhin Unsinn über meinen Vater, die Firma oder mich zu verbreiten.“
„Sie sind sich sicher, dass alles erlogen ist, was Sie schilderte? Ein Fünkchen Wahrheit steckt doch überall drinnen.“
„Waren Sie nicht währenddessen damit beschäftigt mit der Freundin meines Bruders zu flirten?“
„Eher umgekehrt. Aber ich habe den Bericht dennoch gesehen. Für mich klingt das alles allzu plausibel und sofern ich Bescheid weiß gab es schon mehrere, negative Berichte über Corefield Design und Schlagzeilen über die geradezu katastrophalen Arbeitsbedingungen auf Ilium.“
„Geht es jetzt über Corefield Design oder über mich?“
„Oh, ich versuche nur etwas rumzustochern, die Situation zu verstehen. Vielleicht hat Vulvia Terasy gar nicht gelogen, vielleicht hat Sie auch einfach nur die Wahrheit preisgegeben. Und das gefällt Ihnen gar nicht.“
„Sie hat am Tag der Beerdigung meinen Vater und sein Vermächtnis beleidigt.“
„Und seit neuestem sollen sich die Medien von so etwas beeinflussen lassen. Das klingt nicht gerade nach Pressefreiheit, ein Ideal auf das Ihre Rasse doch so sehr pocht, nicht?“
„Etwas Anstand wäre immer angebracht.“
„Angenommen ein Diktator stirbt und das unterdrückte Volk jubelt, würden Sie jedem eine Tracht Prügel androhen, nur weil der Diktator ihr Vater war?“
„Wenn es ein guter Diktator war, dann ja.“
„Ein guter Diktator, gibt es so etwas?“
„Es ist möglich. Bedienen wir uns dem Ideal des Philosophenkönigs, dem Fürsten im machiavellischen Sinne oder – um einen turianischen Vertreter zu nennen – Kantos aufgeklärtem Götzenprinz, so ist die Botschaft immer dieselbe. Ein einzelner Mann, mit Wissen, Kompetenz, Macht und Güte, ist effizienter, besser und notwendiger als eine Schar von demokratischen Moralaposteln und juristischen Halsumdrehern. Mein Vater hat nicht umsonst Corefield Design praktisch alleine geleitet, und das ist öffentlich bekannt. Und aus jedem einzelnen Jahresbericht ist zu entnehmen, dass Corefield Design sich gebessert hat, jedes Jahr aufs Neue. Vielleicht liegt es daran, weil mein werter Vater einfach Glück hatte, vielleicht auch daran, dass Familienunternehmen, wie Corefield Design, in Generationen denken und nicht in Quartalen, vielleicht aber liegt es auch einfach daran, dass mein Vater verdammt gut darin war, was er tat – auch wenn er sonst genügend persönliche Fehler hatte. Und wenn Sie es jetzt immer noch nicht verstanden haben, dann sage ich es Ihnen erneut: Die D’sorni Schwestern wollen Corefield Design zurück und Vulvia Terasy ist eine Mittel zu diesem Zweck, nicht mehr. Eine Lektion für Vulvia bedeutet eine Lektion für diese zwei Nervensägen. Damit wäre alles zu erklären und wenn Sie jetzt noch Fragen haben, dann halten Sie lieber meinen Vater aus dieser Angelegenheit heraus. Es dreht sich nur um mich.“
„Hm, ich verstehe. Keine allzu persönlichen Fragen. Denken Sie ich bin ein verfluchter Straßenbulle? Ich muss Ihnen unbequeme Fragen stellen, ich muss reinwühlen, denn nur so kann ich feststellen, wie groß ihr Strafmaß ausfallen sollte. Und auch wenn ich es nicht bestimmen kann, will ich so viel wissen wie möglich. Damit meine ich alles.“
„Und deshalb soll ich Ihren mangelnden Respekt mir gegenüber tolerieren?“
„Mangelnder Respekt? Was meinen Sie denn damit schon wieder?“
„Ihr Shuttle anhalten um mich in einem privaten Gespräch zu verhören. Mir mit ihrer Schrotflinte den Schädel einzuschlagen. Bei der Trauerveranstaltung meines Vaters herum zu schnüffeln und die Gäste zu diskriminieren. Für was halten Sie sich mich? Denken Sie nur weil ich nicht zu Gegend war, habe ich es nicht gesehen. Rumgeschnüffelt haben Sie, wie ein lausiger Hund auf der Suche nach Nahrung. Und damit sind Sie zu weit gegangen, ebenso wie Vulvia Terasy. Respektieren Sie gefälligst die Privatsphäre meiner Familie. Und ich muss gestehen, in gewisser Weise bin ich sogar froh, dass Sie mich fest genommen habe, denn jetzt weiß ich, dass Sie es in ihrer irrem, fehlgeleitetem Gerechtigkeitssinn nur auf die Viscontis abgesehen haben – verraten Sie mir bitte, wie viel?“
„Wie viel was?“
„Sie wissen schon. Wie viel haben ihnen die D’sornis gezahlt.“
„Nichts.“
„Und ich soll Ihnen glauben, dass Sie nur aufgrund von Vulvia Terasys Bericht oder Anruf, was auch immer es war, gefolgt sind? Woher wusste Sie überhaupt, dass Sie für den Fall eingeteilt waren?“
„Sie ist eine gute Journalistin.“
„Tz, natürlich.“
„Muss ich Ihnen klar machen, dass Sie gerade einen Beamten der Citadel beleidigen?“
„Und Sie beleidigen mich. Unentschieden würde ich meinen.“
„Okay, Visconti. Noch einmal von vorne. Sie haben auf Vulvia Terasy auf brutalste Weise eingeprügelt. Sie geben zu, dass Sie bei klarem Verstand waren, und deshalb hätten Sie sie nicht getötet, aber sicherlich bleibende Schäden riskiert nur um ihren Jähzorn zu befriedigen, der nur durch einen einzelnen Bericht am Tag der Verbrennung ihres Vaters gesendet wurde, weil Quarianer vor dem Krematorium protestiert hatten, die selbstverständlich jedes Recht dazu hatten ein Zeichen zu setzen. Es sieht schlecht für Sie aus.“
„Korruption macht ebenso keinen guten Eindruck, sowohl in der C-Sec als auch bei den Citadel News.“
„Was zum Teufel ist ihr Problem? Ich werde nur von der Citadel bezahlt, sind Sie paranoid oder ist das eine typische menschliche Eigenschaft jedes Wort, sobald es aus dem Mund einer anderen Rasse kommt, umzudrehen?“
„Weder noch, Sie stinken einfach nur nach Korruption.“
„Glauben Sie wirklich dass Sie mich reizen können?“
„Mit der Wahrheit? Immer.“
„Das entspricht aber nicht der Wahrheit.“
„Drehen wir uns nicht etwas im Kreis hier?“
„Eine Frage noch: Glauben Sie das Vulvia Terasy etwas zu tun hatte mit dem Tod ihres Vaters?“
„Wenn ich ja sage, würde das mich entlasten, nicht?“
„Naja, vielleicht.“
„Und wenn ich nein sage, dann verschlimmert es das alles nur, richtig?“
„Nun, ich-“
„Nein. Ich glaube nicht, dass Sie etwas mit der Ermordung meines Vaters zu tun hatte.“
Mit diesem letzten Satz entließ der Turianer sich selbst aus dem Zwiegespräch, in das er sich mit Octavian eingelassen hatte. Während seines Verhörs hatte er immer wieder Notizen aufgeschrieben, versucht die Reaktionen und Antworten von Octavian zu deuten, aber die scheinbar ehrlichen Antworten beunruhigten ihn. Die kalttrotzige Willkürlichkeit mit der Octavian stets reagiert hatte, so als würde er beliebig antworten und nur dann eine ausführliche Erklärung abgeben, wenn es ihm genehm war, machte es dem Turianer hart seinem Häftling etwas zu entlocken. Und auch wenn er letztendlich alles hatte um Octavian für schwere Körperverletzung anzuprangern, kam er sich unweigerlich als Verlierer vor. Octavian ätzte förmlich vor Niederlage und inneren Bezwingung, und mit jedem Wort, dass er ausspie, kam sich der Turianer vor als würde er mehr den Duft der Bedrückung in sich aufnehmen, während sich Octavian Stück für Stück davon entledigte und langsam immer mehr aufblitzte; die feinen Gesichtszüge, die sich zeitweise lockerten, nur um wieder kurz darauf starr zu werden, das angedeutete Lächeln jedes Mal wenn er scheinbar die Wahrheit sprach, die Regungslosigkeit, die Octavian zeigte, selbst dann als er über seinen Vater sprach. Er zeigte Schwächen, ja. Und jeder andere hätte mit diesen Aussagen wohl bereits den nächsten Flug nach Purgatory gebucht. Aber der Turianer konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass er als Verlierer hervor ging. So als hätte Octavian gerade genug geopfert um ihn in einen Hinterhalt zu treiben, damit er geschwächt sich aus dem Verhör zurück ziehen konnte, aber nicht vernichtend, und Octavian würde ebenso geschwächt im Verhörraum verweilen, am selben Ort, keinen Mucks von sich gebend, bis jemand ihn abholte, aber dafür zumindest triumphierend. Das Verhör gefiel dem Turianer nicht, und er hätte es bevorzugt die Akten und das Diktiergerät seelenruhig zu verstauen, stattdessen sammelte er seine Sachen zittrig ein, darüber nachdenkend welche Schritte er weiter unternehmen sollte.
Ein paar Minuten nach dem der Turianer den Verhörraum verlassen hatte, kam die Asari erneut in den Raum. Diesmal hatte sie eine Pistole in der Hand, gefasst darauf Octavian erschießen zu müssen, falls er sich wehrte. Er gedachte es nicht, und das störte die Asari vielleicht. Zumindest konnte Octavian dies ihren hasserfüllten Augen ansehen. Erschossen in der C-Sec, das wäre eine traurige Schlagzeile, redete er sich scherzhaft ein. „Gehen wir?“, fragte Octavian schnippisch. Aber es gab keine Reaktion. Die Asari nahm Octavians abgelegene Kleidungsstücke an sich, fuchtelte knapp mit der Pistole vor seinem Gesicht herum als wäre sie eine Art Mafiosi und drang ihn damit zum Aufstehen. Gesagt, getan. Immer noch zumindest die Jacke tragend, verließen sie den Verhörraum, nur um einen Gang entlang zu schreiten, der fast lebloser wirkte als das Zimmer zuvor; keine Menschenseele war zu sehen und keine Dekoration war zu erkennen, stattdessen war kein sanfter Blauton zu genießen sondern karge, graue Töne verwelkten Octavians neu gefundenen Siegesgeschmack. Das Verhör lief gut, wenn auch nicht perfekt. Er hätte gern den Turianer zur Weißglut gebracht, ihm damit seine Argumente den Hals runterstopft, um ihm zu zeigen, dass man sich nicht immer unter Kontrolle hatte. Aber der Turianer war nicht dumm, vermutlich war das kein Turianer wirklich, zumindest fast keiner. Trotzdem war es ausreichend um ein gutes Gefühl aus dem Verhörraum hervorzutragen. Die Gegenargumente Octavians hatten es in sich wie er fand und die kühle Art wie er antwortete, hatte sicherlich zur Situation gepasst. Vor allem aber war er ehrlich über das was er getan hatte, das waren das mindeste und das Beste was er wohl tun konnte. Ein Anwalt hätte das alles nur hinaus gezögert, und vor allem hätte er ihn zum Leugnen und Lügen angestiftet. Das war nicht gerade nützlich, da er doch primär den Mörder seines Vaters, mit oder ohne C-Sec Unterstützung fassen wollte. Und den Turianer unnötig zu verärgern, war wohl kaum einträglich dafür. Deshalb musste Octavian alles in allem sich selbst eingestehen, dass es gut lief. Auch wenn er, so musste er ebenfalls zugeben, über eine Sache gelogen hatte: Vielleicht hatte Vulvia Terasy tatsächlich etwas mit dem Mord zu tun. Aber das war nur eine reine Formsache.
Die Asari hatte ihn kommentarlos in den Lift geführt und ließ ihn nun ein paar Minuten lang warten, während zwei vollausgerüsteten, gut gepanzerten C-Sec Offiziere Octavian wachsam beäugten, nachdem sie sich ihm endgültig alles bis auf sein Hemd und die Hosen abgenommen und verstaut hatten. Der salarianische Beamte kümmerte sich währenddessen um weitere formale Angelegenheiten und sorgte dafür, dass ein Kroganer versetzt wurde, sodass Octavian nur mit einem wesentlich schwächeren Häftling für ein paar Stunden in der Zelle saß, vermutlich würden sie beide morgen entlassen werden. Obwohl eigentlich die Vorhalle zu den Stunden-Arrestzellen, die man wohl als ungemütliche Variante des Stundenmotels bezeichnen konnte, gab sich der Raum indem Octavian warten musste alle Mühe sich herauszuheben. Er war tatsächlich nett eingerichtet mit lederüberzogenen Stühlen und ein paar Blumensträußen auf dem Tisch, was zweifellos einen bizarren Eindruck vermittelte – so als wäre man gar bei einem Arztbesuch. Schlussendlich erhob sich der Salarianer und reichte Octavian eine Kommunikationseinheit. „Einen Anruf, nicht mehr“, gab der Salarianer knapp von sich. Und Octavian war glücklich über diese Möglichkeit, denn es war höchste Zeit jemanden anzurufen. Sarvil? Er wollte doch kein Massaker in der C-Sec veranstalten. Antonius? Eine Lieferung Alkohol würde bestimmt nicht schaden. Lepidus? Eine Moralpredigt würde schaden. Pavel, der Chardinismus-Priester? Er wurde verhaftet, aber es drohte doch keine Todesstrafe. Sejan? Der würde sich nur zu viele Sorgen machen. Jacqueline? Auf keinen Fall.
Zögerlich wählte er eine Nummer, nach dem er sich sicher war, dass er zumindest das Treffen absagen musste.
„Anna Vanderlyle am Apparat“, meldete sich die liebliche Stimme am anderen Ende der Leitung.
„Anna, ich bin es, Octavian. Schlechte Nachrichten, unser Bloody Mary-Treffen muss verschoben werden.“
„Etwas Schlimmes passiert?“
„Wie man es nimmt. Ich wurde verhaftet, aber nichts was sich nicht glätten lässt.“
„Wegen diesem Bericht?“
„Genau.“
„Oh, nein. Antonius hat mir davon erzählt, ich habe ihm gesagt, dass würde schlecht enden, aber er hat gemeint, dass das notwendig war. War es das? Im Gefängnis zu landen?“
„Ich weiß es nicht.“
„Und wieso meldest du dich?“
„Nun, um dir Bescheid zu sagen. Schließlich sollst du nicht vergebens auf mich warten.“
„Ich verstehe.“
„Und noch etwas, halte ein paar Credits bereit um die Kaution zu bezahlen, falls es so weit kommt. Ich würde nur ungern die nächsten Tage im Knast sitzen wegen dieser Lappalie.“
„Verdient hättest du es.“
„Sag‘ so etwas nicht.“
„Viel Glück, pass‘ auf beim Duschen.“
„Dein Mitgefühl hilft mir wirklich.“
„Immer doch.“
Der Salarianer befahl einer der Wachen Octavian abzuführen, nach dem er die Komm-Einheit zurück auf den Tisch gelegt hatte. Wenig zimperlich richtete die menschliche Wache Octavian mit einem einzigen Ruck auf und schubste ihn in den Gang, der bedrohlich von Gitterstäben abgegrenzt wurde. Mit weißem Hemd und schwarzer Hose und gesenktem Kopf, das blonde Haar matt, zerzaust und ungewaschen, der Buckel nach vorne gelehnt und schläfrigen, erschöpften Augen trat Octavian in die Zelle ein. Ein Salarianer befand sich in ihr, er wirkte verwirrt und hatte etwas Hyperaktives und Hibbeliges an sich, als hätte er vor jedem seine Lebensgeschichte zu erzählen. Seine Augen leuchteten leicht bläulich, offensichtlich ein Red Sand-Süchtiger. Die Lebensgeschichte eines Drogenabhängigen. Das wollte Octavian nicht hören, er wollte schlafen, nur schlafen.