Die Citadel: Bezirke
Hotel Kingston – Lounge
09:22 (Tag 3)
Während Kate Devereaux auf die Nachricht ihres Auftraggebers wartete, beobachtete sie schweigend das Treiben in der Lounge. Wesen aller Rassen marschierten ein und aus. Einige blieben kurz an der Rezeption stehen, andere gingen sofort zu den Aufzügen bzw. Ausgängen. Und wiederum andere taten es Kate gleich und setzten sich in die Lounge um sich ein Getränk oder einen Snack zu bestellen. Es war der ganz normale Hotelalltag im Kingston.
Das Mädchen hatte sich einen Platz ausgesucht, von dem aus sie den gesamten Eingangsbereich überblicken konnte und auch den Großteil der Lounge sah. Zusätzlich und das war ihr sehr wichtig, war an diesem Tisch nur für eine Person platz. Somit konnte sich niemand hinzusetzen und sie mit Small-Talk nerven. Einzig die Bedienung sah nach einiger Zeit vorbei und räumte das leere Glas des vorherigen Gastes weg.
„Darf ich Ihnen etwas bringen, Miss?“, fragte sie noch freundlich nach. Kate wollte zwar nicht gestört werden, aber es war schon okay. Die Dame machte schließlich nur ihren Job. Genauso wie Kate es tun wollte, wenn sie endlich die Informationen von ihrem Auftraggeber erhalten würde.
„Einen Kaffee, zwei Croissants mit Butter und ein Glas Wasser bitte.“, bestellte sie nach kurzem Überlegen. Die Bedienung tippte die Bestellung in ihren PDA und entfernte sich wieder um den nächsten Gast zu bewirten.
Normalerweise würde Kate nicht frühstücken, da jedoch die Möglichkeit bestand, dass dieser Tag noch recht ereignisreich werden würde, nahm sie dennoch etwas zu sich. Wie jeder andere Biotiker auch, musste sie viel essen um bei Bedarf die nötigen Energien freisetzen zu können. Da die 22 Jährige noch nie zimperlich im Umgang ihrer Fähigkeiten war, benötigte sie mindestens einmal am Tag etwas zu essen.
Sie blickte ein weiteres Mal auf ihren PDA, aber es waren keine Nachrichten eingelangt. Während Kate auf ihre Bestellung wartete, ließ sie ihre Gedanken in der Vergangenheit schweifen…
Ich war damals gerade fünfzehn und saß, wie jeden Vormittag unter der Woche, in der Schule. Unser Lehrer erklärte uns gerade etwas von dem Erstkontaktkrieges – absolut langweilig! Immer sprach er nur von den politischen Auswirkungen und den wirtschaftlichen Problemen. Ich meine, hätte er von den Kämpfen gegen dieses Alienvolk berichtet, wäre es ja interessant gewesen, aber so, war es echt nur langweilig.
Immer wenn mir langweilig ist, muss ich mich mit irgendwelchen Gedanken beschäftigen. Das war auch damals schon so und ist es auch heute noch. Jedenfalls erinnerte mich das Kribbeln in meinen Rücken an die Möglichkeiten, die ich hätte, wenn meine Eltern nicht so konservativ wären. Trotz ihrer Abneigung übte ich jedoch heimlich mit meinen biotischen Talenten und konnte das eine oder andere Mal etwas bewegen oder gar kaputtmachen. Aber es war einfach zu schwierig diese dunkle Energie gezielt einzusetzen. Das gleiche sollte ich auch noch an jenem Tag erfahren.
Also: DuMont, unser Lehrer, fadisierte uns schon die zweite Stunde mit dem Erstkontaktkrieg und auch meine Sitznachbarin Clara war aufs äußerste gelangweilt. Und immer wenn sie das war stichelte sie gegen mich – sie nahm mir Dinge weg oder beleidigte mich einfach. Ich wollte mich immer dagegen zur Wehr setzen, aber sie war einen Kopf größer und viel kräftiger als ich.
„He Kleine!“, sprach sie mich soeben an und ich bereitete mich schon auf irgendeine Gemeinheit vor. „Gib mir was von deinem Geld, ich will mir bei der Kantine was holen!“ Clara war sich ihrer Überlegenheit bewusst und nutzte sie so oft es ging aus.
„Nein!“, antwortete ich ihr entrüstet, aber ich wusste auch, dass dies nur rhetorisch war, denn Clara bekam immer alles was sie wollte.
„Miss Devereaux!“, sprach DuMont mich an, denn er konnte meine störische Antwort auch vernehmen. „Sie sollten mehr aufpassen! Können Sie mir sagen, wer die zweite Flotte im Erstkontaktkrieg leitete?“
Wie so oft musste ich wieder meinen Kopf hinhalten, weil jemand anderes etwas verbockt hatte. Ich seufzte und gab leise die einzig für mich mögliche Antwort. „Nein, das kann ich nicht.“ Irgendwie schien diese Antwort DuMont zu freuen, denn er nickte wissend, mit einen kleinen Lächeln im Gesicht, und machte sich eine Notiz. Ich hasste ihn! Eigentlich hasste ich alle Lehrer bis auf Montiniere, denn sie teilte uns einige Jahre zuvor alles Wissenswerte über Biotik mit. Leider unterrichtete sie aber nicht mehr auf der Schule.
„Es war Admiral Kastanie Drescher!“, beantwortet ein anderer Schüler damals die Frage. Er war ein richtiger Schleimer und Schleimer kann ich auch nicht ausstehen. Ich versank wieder in meinen Gedanken und versuchte zumindest den Eindruck zu machen, dass ich aufpassen würde. Aber schon kurz darauf stieß mich Clara in die Hüfte. „Jetzt rück schon raus mit dem Geld. Du hast doch eh genug für uns alle.“
Leider war es in der Schule bekannt, dass meine Eltern ziemlich wohlhabend sind, aber es war nicht bekannt, dass sie auch sehr geizig sind. Diesmal gab ich ihr jedoch gar keine Antwort, da DuMont schon wieder so komisch zu mir sah. Clara drückte mir nochmals ihre Faust in die Rippen und diesmal war es schon viel heftiger.
Das war der Punkt, an dem sich vieles in meinem Leben änderte. Es war der Punkt an dem ich feststellte, dass ich nicht immer klein beigeben wollte. Dass ich mich zur Wehr setzen wollte, dass ich jeden besiegen wollte, der mir gegenübertrat. Die unterschwellige Wut staute sich in mir auf und das bekannte Kribbeln gesellte sich dazu. Ich wollte Clara unbedingt eins auswischen und darum konzentrierte ich mich auf das Kribbeln und verstärkte es noch.
Über mehrere Sekunden konnte ich die Energie stauen und für eine Aktion vorbereiten aber ich erwartete nicht mehr als einen etwas kräftigeren Schlag. Aber es kam völlig anders.
Auf einmal stieg die Energie expotentiell an und ich konnte es nicht mehr kontrollieren. Mein gesamter Körper fing blau zu glimmen an und ich erschrak fürchterlich, da ich es in diesem Ausmaß noch nicht erlebt hatte. Und dann entlud sich die gesamte biotische Energie. Alles wurde von mir weggeschleudert. Mein Tisch rutschte nach vorne, Clara wurde mitsamt ihren Sessel zu Seite gedrückt und die Fensterscheibe zu meiner linken Seite zerbarst in tausende kleine Glassplitter. Mir wurde dabei schwarz vor Augen und ich verlor das Bewusstsein aber das Ergebnis meines unerwarteten Ausbruchs erfreute mich zutiefst.
Als ich wieder erwachte, stellte ich fest, dass ich nicht mehr in der Klasse war. Ich lag auf einem Bett und konnte bekannte und unbekannte Stimmen hören.
„Sie würde aber wirklich eine starke Biotikerin sein.“ Vernahm ich die fremde Stimme.
„Nein, John und ich wollen das nicht! Sie soll wie ein normales Mädchen aufwachsen und nicht wie eine Ausgestoßene.“
„Es ist ihre Entscheidung, Mrs. Devereaux. Aber ich würde Ihnen nahe legen, dass Sie dieses Thema nochmals mit Ihrem Mann erörtern. Auf Wiedersehen.“
„Danke, aber die Entscheidung steht fest. Auf Wiedersehen.“
Ich wurde natürlich nicht gefragt, es ging ja nur um mich und meine Zukunft. Wie ich meine Eltern deswegen hasse. Sie bestimmten einfach mein Leben voraus und was ich wollte, dass war ihnen völlig egal. Ich öffnete die Augen und erkannte jetzt wo ich war: Beim Schularzt auf dem Bett. Es mussten bereits einige Stunden vergangen sein.
„Kate, mein Schatz, du bist endlich wieder wach.“ Meine Mutter kam zu mir und streichelte mir übers Gesicht – eine Geste die ich noch nie ausstehen konnte.
„Wer war soeben hier?“
„Ach nur ein Mann von der Allianz.“
„Was wollte er hier? Es ging um Biotik, oder?“
„Ja, er wollte dass wir dich zu einem Training bei der Allianz anmelden, aber natürlich…“
„Natürlich habt ihr das nicht!“
„Ja, wir wollen nur das Beste für dich. Du warst wegen deinen… Eigenarten über zwei Stunden bewusstlos. Ich habe gehört, bei der Allianz…“
“Vergiss es einfach. Ihr tut so oder so nie das was ich will!“
Diese kleine Unterhaltung zeigte mir wieder, wie störrisch meine Eltern sind. Sie zahlten natürlich den Schaden, den ich angerichtet hatte, aber das war damals auch schon alles.
„Ihre Bestellung. Bitte sehr.“, die Hotelangestellte von vorhin stellte den Teller mit den Croissants, sowie den Kaffee und das Glas Wasser vor Kate auf den Tisch. Ohne zu zögern machte sie die Biotikerin über das Frühstück her.
Gerade als sie den ersten Bissen des zweiten Gebäcks zu sich genommen hatte und ihn mit einem Schluck Kaffee runterspülte, blitzte die LED an ihrem PDA orange auf und begleitet von einem leisen Summen des Vibrationsalarms kündigte sich ein Nachrichteneingang an. Ohne zu zögern nahm die Biotikerin das Gerät an sich und aktivierte das große Display. Während sie mit dem Frühstück fortfuhr, fing sie an die Nachricht zu lesen.