PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Sind Computerspiele "Kunst" ?



zyklop
06.03.2007, 21:15
Im Zusammenhang mit der Killerspiel-Debatte taucht immer häufiger auch die Frage auf, ob Computerspiele generell als "Kunst" oder doch eher als "Kitsch" einzuordnen sind. Diejenigen, die solchen Spielen den Status einer Kunstform verweigern, führen als Gründe vor allem an, das Computerspiele zumeist kommerziell sind, technisch von Programmierern entwickelt werden und inhaltlich eben "nur" Spiele sind, die dazu teilweise sogar noch Sex oder Gewalt verherrlichen.

Ich selber würde die Frage, ob Computerspiele eine eigene Kunstform sind, eindeutig bejahen, und zwar aus folgenden Gründen:

Der Begriff der "Kunst" unterlag im Laufe der Zeit parallel zur kulturellen Entwicklung der unterschiedlichen Gesellschaften rund um den Globus auch einem steten Wandel. Kunst und Kultur hängen eng miteinander zusammen, ja sie bedingen einander sogar. Beide werden von Menschen hervorgebracht, vor allem die Kunst ist das Ergebnis eines kreativen, intellektuellen Prozesses, in den zumeist auch die Gefühle des "Kunstschaffenden" und seine kulturelle und religiöse Prägung mit einfliessen. Somit ist Kunst niemals etwas statisches, sie muss zwangsläufig ständig im Fluss sein, sich in verschiedene Richtungen und in Form neuer Medien weiterentwickeln und dabei durchaus auch vermeintlich moralische Grenzen überschreiten, um etwas neues zu schaffen.
Autoren, Filmemacher und vor allem auch Theater-Intendanten sind dafür ein gutes Beispiel. Wer einmal eine Aufführung von Peter Zadek live miterlebt hat, der kann abhängig von seinem kulturellen Hintergrund durchaus zu geteilten Schlüssen kommen, ob es sich dabei um Kunst oder um Kitsch, um experimentelles Theater oder schlichtweg um Pornografie handelt. Gleiches gilt für die Arbeiten berühmter Regisseure oder Schriftsteller. Wo Menschen kreativ werden und etwas erschaffen, womit sich andere Menschen intellektuell auseinandersetzen sollen, muss es zwangsläufig zu Mißverständnissen, Irritationen, Ablehnung oder gar Abscheu kommen. Alles andere würde der Verschiedenartigkeit von uns Menschen keinesfalls Rechnung tragen. Der sogenannte "Mainstream", also das Bemühen, es allen Recht zu machen, scheitert ja schon bei der simplen Diskussion von Designern, ob ein ordinärer Dosenöffner schwarz oder weiss sein soll. Solange es frei denkenden Menschen gibt, wird es auch unterschiedliche Meinungen und Geschmäcker geben - und solange wird es auch hoffentlich auch unterschiedliche Ausdrucksformen der Kunst geben.
Kunst war schon immer auch kommerziell, wer etwas anderes behauptet, ist blauäugig. Selbst die "alten Meister" (Rembrandt, Rubens, Dürer, da Vinci, etc.) haben zu ihrer Zeit nicht für Museen oder aus reinem Selbstzweck Gemälde gemalt oder Statuen gemeisselt - immer entstanden ihre Arbeiten als Aufträge einer elitären Oberschicht, zumeist Adel oder Kirche. Die Auftraggeber erfreuten sich dann an dieser Kunst in ihren privaten Palästen oder Gemächern. Die Päpste und Bischöfe schmückten damit ihre Kirchen und lockten so Gläubige an, die zu jener Zeit zwar nicht lesen konnten, die aber durch die Gemälde und Wandmalereien Szenen aus der Bibel plastisch vor Augen geführt bekamen. Bevorzugt natürlich Themen von Himmel (Zuckerbrot) oder Hölle (Peitsche)...
Entwickler von Computerspielen müssen in der Tat wirtschaftlichen Aspekten Rechnung tragen, ansonsten bekämen sie gar nicht erst die Chance, ihre Ideen von kreativer Unterhaltung am Computer umzusetzen. Denn das erfordert heutzutage bei ambitionierten Projekten einen nicht unerheblichen finanziellen Aufwand. Genauso wie vor 500 Jahren Leonardo da Vinci Farben und Leinwand kaufen und Hilfskräfte bezahlen musste, so muss heute ein Entwickler-Team Hardware und Lizenzen kaufen und Gehälter für Mitarbeiter zahlen. Dennoch ist die reine Entwicklung eines Computerspiels ein kreativer, zeitaufwendiger Prozess, der häufig während der Umsetzung mehrfach Änderungen unterliegt, weil die Beteiligten alte Ideen verwerfen und dafür neue Ideen umsetzen wollen. Grafiker erschaffen digitale Kunstwerke, die sich mittlerweile durchaus mit klassischen Gemälden messen können. Level-Designer oder Storyboard-Schreiber lassen ihre eigene Kreativität in ein Spiel einfliessen, um dem Kunden nicht nur eine intellektuelle Herausforderung zu bieten, sondern ihm auch ein ganz persönliches Genusserlebnis zu verschaffen. So wie man beim Betrachten eines Bildes oder eines Theaterstücks Freude empfinden kann, so kann man das gleiche auch beim Spielen eines Computerspiels verspüren. Das es dabei auch "Schund" gibt, der jeglichen künstlerischen Anspruch vermissen läßt, wird niemand bestreiten - gleiches galt und gilt bis heute aber auch für jede andere Form von künstlerischem Ausdruck. Würde der Autor dieses Artikels von geistiger Umnachtung befallen zu Pinsel und Leinwand greifen, so würde das Ergebnis garantiert von keinem noch so wohlmeinenden Zeitgenossen als "Kunst" betrachtet werden - in 300 Jahren mag das anders sein.
Computerspiele sind seit etwa 30 Jahren Teil unserer Kultur geworden - und damit unterliegen sie auch den gleichen Spielregeln wie alle kulturellen Güter. Die Wahrheit, was Kunst und was Kitsch ist, liegt wie so häufig im Auge des Betrachters...

Thelias
06.03.2007, 22:25
Unlängst gab es eine Gerichtsentscheidung, woraus hervorging, dass professionelle Tätowierer keine Künstler sind (der Kläger wollte in eine Künstlerkrankenkasse, was ihm dadurch aber verwehrt wurde).

Vieles, was gerne vom eigenen Schöpfer als Kunst angesehen wird, halte ich nicht für eine solche. Ich denke auch nicht, dass es sich bei PC-Spiele grundsätzlich um Kunst handelt. In meinen Augen ist das Feld von PC-Spielen ein wirtschaftlicher Markt, der aus wirtschaftlichen Interessen heraus immer weiter ausgedehnt wird. Am ehesten dürfte das Phänomen mit der Filmindustrie zu vergleichen sein. Sicher, um sich weit vorne zu platzieren, bedarf es einiges an Kreativität. Aber das macht grundsätzlich aus Schauspielern, Regisseuren und Kameraleuten noch keine Künstler. Die meisten setzen sowieso auf den Fortschritt der Technik, um besser in der Gunst potentieller Käufer abzuschneiden.

Aber ich halte den Gedanken trotzdem nicht für ganz falsch. Ich bediene mich hier mal eines Beispiels: jeder Hund ist ein Tier, aber umgekehrt ist nicht jedes Tier ein Hund. Es mag tatsächlich Künstler unter den Machern von PC-Spielen geben, aber das ist die Ausnahme.

Nun kommt die berechtigte Frage nach speziellen Spieletiteln, die ich für Kunst halte. Da fallen mir die Pioniere der PC-Geschichte ein. Die Macher waren oft Tüftlern, die mit ihren Schaffen eine Idee verwirklichen wollten. Heraus kamen Titel wie Pac-Man, Pong oder auch Kings Quest.

Heutzutage, wo alles größer, schöner und besser sein muss, um am Markt zu bestehen, bleibt fast kein Platz mehr für Kunst.

Ich für meinen Teil fordere für ein tolles Spielerlebnis keine Künstler, eher ehrliche Arbeit von Leuten, die einen nicht abzocken wollen.

Avantenor
06.03.2007, 23:54
Ich sehe es wie Thelias. In der Anfangsphase der PC-Spiele mag das noch der Fall gewesen sein, Electronic Arts hatte ja wohl seine Wurzeln in der Künstler-Szene, Psygnosis, aber auch Sierra. Damals setzten ein, zwei kreative Köpfe relativ schnell neue Produkte und neue, intelligente Spielkonzepte um, erschufen fantastische Welten usw.

Aber bereits Ken Williams sagte in einem Interview, daß er Sierra nur gegründet habe, weil er darin die beste Chance sah, Geld zu verdienen, nicht weil er besonders kunstvolle Spiele schaffen wollte. So hat sich der Markt entwickelt und mit zunehmender Massenwirkung wurde es nicht besser. Electronic Arts ist heute von Arts wohl am weitesten abgerückt und verwendet in kluger Vorrausicht lieber das Kürzel EA als Branding. Spiele sind nicht mehr auf Kunst ausgerichtet, sondern auf Massenwirksamkeit. Gerade Massenwirksamkeit ist jedoch eigentlich keine Kunst mehr, sondern Kommerz. Rembrandt hat nicht für 1.000.000 Kunden gemalt, sondern für einen. Rembrandt hat sich maximal den Wünschen eines Käufers beugen müssen, nicht denen von 100.000. Kunst ist immer auch was individuelles, etwas was mit Normen und Konventionen bricht. Das bedeutet jedoch in der Regel für alle Spiele den Tod, denn der Massenmarkt mag keinen Bruch mit Konventionen, Liebgewonnenem. Kaum ein Spielestudio und kaum ein Publisher geht dieses Risiko heute noch ein.
Und Rembrandt hat seine Visionen alleine umgesetzt. Bei einem Spiel entscheiden heute viel mehr Leute mit, es gibt keine autokratischen Spieledesigner, die nur noch Untergebene befehligen. Es geht hier um die Existenz eines jeden Beteiligten, und deshalb muss ein Konsenz im Team bestehen. Designentscheidungen werden im Team diskutiert, ein Level wird nicht von einem Level Designer allein gestaltet, da gibt's noch die Environment Artist, den Story Designer, die Grafiker, die Jungs für die Spezialeffekte... Bioshock hat allein zwei Personen, die nur das Wasser bearbeiten.

Thelias hat es auch schon geschrieben, sicher braucht man Kreativität, um vorranzukommen. Doch Kreativität braucht auch ein Ingenieur, um eine neue technische Erfindung zu entwickeln, Kreativität wird genutzt, um Arbeitsprozesse im Betrieb zu verbessern und Kreativität erfordert auch das Schreiben einer Romanreihe. Aber Wolfgang Hohlbein ist kein Künstler, R. A. Salvatore auch nicht. Das sind Handwerker. Und der Spielemarkt ist zu einem großen Teil nur noch Handwerk. Es gibt ein paar wenige kreative Köpfe, die den Handwerkern Vorlagen geben. Aber es ist mit wenigen Ausnahmen keine Kunst mehr, sondern geht auf dem Weg zum Endprodukt durch soviele Änderungsphasen, daß von der ursprünglichen Idee nur noch wenig vorhanden ist. Grafiken kauft man bei Grafikfarmen, eingekaufte Middlewares werden zusammengestückelt, um die Entwicklungszeit möglichst kurz zu halten. Alles läuft auf industrielle Massenproduktion hinaus, riesige Werbekampagnen überschwemmen die potentiellen Kunden. Wo ist da die Kunst?

Es gab ein paar wenige Ausnahmen. Planescape war eine, oder die Spiele der Clover-Studios (Ico, Shadow of the Colossuss, Okami). Aber alle diese Spiele verkaufen sich nur wenig und es gibt keine Fortsetzungen. Fortsetzungen gibt's nur zu soliden Handwerksprodukten, Need for Speed, Fifa, GTA, The Elder Scrolls oder Command & Conquer. aber Kunst verkauft sich immer nur in kleinen Mengen, bringt selten Gewinn. Zumindest nicht genug, um die Aktionäre überzeugen zu können. Nein, die heutigen Spiele sind keine Kunst mehr. Kunst wird von wenigen Mäzenen gesponsort, die möglichst wenig Einfluß auf ein Produkt nehmen. Die gibt es in der Spielebranche nicht.

Rygar
07.03.2007, 08:33
Sehe ich auch so. Aber man muss auch sagen, dass durchaus auch Fortsetzungen Kunst sein können. Als Beispiel möchte ich hier (mal wieder) Oblivion anfügen. Es brach nicht mit Traditionen der Serie, war aber doch in sich sehr stimmig und vor allem grafisch das schönste RPG bisher. Das ist doch auch irgendwie Kunst, finde ich!

zyklop
07.03.2007, 09:35
@Ava
Bei den von dir angeführten Autoren gebe ich dir Recht - allerdings kann auch ein guter Handwerker künstlerische Elemente in seine Arbeit einfliessen lassen. Wo hört dann die reine Arbeit auf und wo beginnt die Kunst ?
Rembrandt und andere alte Meister haben mitnichten ihre Werke allein erschaffen, mittlerweile weiss man, das große Teile ihrer Werke von Schülern vorbereitet oder teilweise gemalt wirden. Die Meister haben das ganze überwacht, haben ihre stilistischen Impulse eingebracht, haben Schlüsselelemente selber gemalt. Aber das ganze Werk war zumeist eine Teamarbeit.
Sicher sind heutzutage viele Spiele Massenware - aber aus dieser Masse ragen doch auch immer wieder einzelne Stücke hervor, die meiner Meinung nach durchaus künstlerischen Anspruch erheben können - insbesondere im Rückblick. Bei aktuellen Spielen tue ich mich auch schwer, da ein Beispiel anzuführen - Spore könnte vielleicht mit seinem innovativen Ansatz was werden, wenn auch die Umsetzung stimmt.

Avantenor
07.03.2007, 12:22
@Rygar:
Halte ich nicht unbedingt für Kunst. Es ist einfach nur realtistischer geworden, mehr Polygone, neue Grafiktechniken. Aber Kunst läuft auf einer höheren, gedanklichen Ebene ab. Kunst hat normalerweise ein Botschaft. Diese Botschaft sehe ich bei Spielen nicht unbedingt. Oder beschäftigt Dich das Spiel außer in einer direkt mit dem Spielerlebnis verbundenen Weise?

@Boris:
Rembrandt hat alle wichtigen Designentscheidungen getroffen, da gab's kein Mitspracherecht seiner Schüler. Maximal der Käufer hat noch Wünsche geäußert, und selbst daran hat sich Rembrandt nicht unbedingt gehalten. Das war der Grund, warum er vollkommen verarmt starb.
Ich gebe ja zu, daß Spiele Kunst sein können, mit Okami hab ich ja auch ein gerade aktuelles Beispiel genannt. Aber das ist weniger als ein Prozent der Spiele. Das macht noch nicht alle Spiele zum Kunstwerk. Ein getunetes Auto ist auch ein Kunstwerk, aber nicht alle Autos an sich.

Sargnagel
08.03.2007, 00:32
@Ava
Bei den von dir angeführten Autoren gebe ich dir Recht - allerdings kann auch ein guter Handwerker künstlerische Elemente in seine Arbeit einfliessen lassen. Wo hört dann die reine Arbeit auf und wo beginnt die Kunst ?

„Der Kunst liegt ein Können zugrunde, und es ist ein Arbeitenkönnen. Wer Kunst bewundert, bewundert eine Arbeit, eine sehr geschickte und gelungene Arbeit. (Bertolt Brecht)

Ich kenne diese Auseinandersetzung aus meiner Vergangenheit als Goa-Techno-DJ. Lange Zeit war diese Musik einer kleinen Künstlerszene samt Fans vorbehalten. Da es aber hochqualitative (in Hinblick auf Innovation) Produktionen handelte, wuchs die Anhängerschar stetig.

Diese Szene hat sich entgegen aller Gerüchte übrigens bis heute den gewissen unkommerziellen Touch bewahrt, auch wenn immer wieder versucht wurde, diese Musik zu verkommerzialisieren oder zumindest als Kommerz abzutun. Dass die Macher guter Sounds auch gutes Geld verdienen, ist absolut gerechtfertigt. Und obwohl ein relativ großer Markt dafür vorhanden ist, ist der Hype und der damit einhergehende Ausverkauf bisher ausgeblieben.

Dieses Ideal, dass Kunst grundsätzlich nichts mit Kommerz zu tun hat, ist, wie schon gesagt, nicht zu halten.

Ich kenne genug Musiker, die auf ihre musikalischen Werke den Anspruch erheben, Kunst hervor gebracht zu haben, allerdings ist diese im wahrsten Sinne brotlos. Nicht zuletzt, weil es zu wenige Leute gab, die diese Meinung teilten. So verschwinden dann die selbsternannten "Künstler". Das liegt auch daran, dass nicht genug Menschen auf die Kunst zugehen können; sie erwarten, dass die Kunst zu ihnen kommt. So sterben immer wieder "Kunstzweige" ab und es überleben die, die Anhänger finden konnten. Ups, Marktwirtschaft! ;)

Kunst muss zumindest von Wenigen anerkannt werden, um als solche zu überleben. Von daher muss sich Kunst auch immer -zumindest ein wenig- am Kommerz orientieren.

Und so ist es auch in der Spiele-Branche (gilt ja nicht nur für die PC-Spiele). Dabei geht es aber inzwischen eher nur noch um Innovationen als um wahre Kunst. Spore z. B. mag zwar eine Nische aufgetan haben, mit Kunst hat es allerdings weniger zu tun als mit eben der Auffüllung eben dieser Nische. Es ist halt eine neue Idee mit neuen Möglichkeiten- und da sind wir wieder bei Innovationen.

Aber vielleicht werd ich ja auch eines besseren belehrt...