Patientenkomplex, Öff. Therapiebereich, Mittlerer Bereich des Raumschiffes, Im Orbit des Tharkads
Natürlich führte Schneiderholm Selbstgespräche, warum sollte er auch nicht? Ikarus hätte gern den Zeigefinger erhoben, Problem bei der Sache nur, er unterhielt sich ja selbst gerne mal mit sich selbst. Die beste Gesellschaft war nun mal er. Deshalb sah er Schneiderholm nicht mal quer von der Seite dafür an, sondern zuckte nur mit den Achseln. Vor allem war das jetzt wirklich nicht das ausschlaggebende Kriterium, ob jemand hier her gehörte oder nicht. Selbstgespräche führte die halbe Galaxie ab und an, mindestens ein Drittel davon hätte man dann direkt in die Gummizelle schmeißen können.
Mit Schneiderholm als Vorhut, riskierte es Vanderlyle die Umgebung näher zu interpretieren. Bis jetzt waren sie nur den üblichen Eingangshallenquatsch durchgelaufen. Kontrollpunkte, Sensoren, die piepsten, wenn sie an ihnen vorbei schlenderten. Über sein Omni-Tool versuchte er eine Komm-Link Verbindung zu Elena aufzubauen, bislang ohne Erfolg. Gerne hätte er Schneiderholm für eine Sekunden angehalten, der schritt mittlerweile immer windiger und aufgeweckter vor Vanderlyle dahin. Wirkte beinahe so als wollte er nach etwas suchen. Oder machte sich bereit für etwas.
„Bisschen ruhiger“, stellte Ikarus klar, und befürchtete gar, man möge in einen Hinterhalt laufen. Seltsam ruhig war hier alles. Die zahlreichen Besprechungszimmer mit ihren hellen Plastiktüren und den weißen, sanften Wänden, die derlei keinerlei Aggression förderten, waren alle leer, still und unbehaglicher als das sie je im wohl gefüllten Zustand sein konnten. Abstrakter wurde es für Ikarus nur in den Momenten, als man die deutlich sichtbaren Spuren der früheren Gewalt ausfindig machte. Blutflecken, die man übersah, eingeschlagene Pappwände, eine zerbrochene Scheibe, die noch nicht repariert wurde. Manche Dinge schon mehrere Tage lang ein Schandfleck im Therapiebereich, aber wann konnte das Personal auch schon mal die Zeit erübrigen, um alles perfekt auszusehen lassen? Insbesondere wenn gewöhnlich wenige Minuten später eine Horde Trampeltiere alles wieder zunichte machte. Mal eben die Wand beschmieren als wäre man wieder 5 Jahre alt. Ohne Wärter und Ärzte, ohne die Crew, ohne die Patienten wirkte all dies erbarmungslos hohl und sinnentleert… Hallen, die hier waren, bloß um Vanderlyle ein unruhiges Magengefühl zu bescheren.
Sie passierten eine Komm-Linkstation. Wenigstens etwas Glück, Vanderlyle entschied sich für eine kurze Pause. Keine Ahnung, weshalb Schneiderholm so eine Geschwindigkeit an den Tag legte, vielleicht war es auch nur die unbändige Sehnsucht aus seinem Gefangenenlager zu entkommen. Sollte er mal lieber aus seinem Gefängnis im Köpfchen erfolgreich ausbrechen.
„Elena? – Gut, ich bin es. Wie ist die Situation bei euch oben?“
„Oh Ikarus.. ich dachte schon, du wärst tot als du dich nicht gemeldet hast… Schlecht. Wir haben kein Licht mehr. Die Jungs sind aber langsam am Regenieren, sie werden…“
„Moment, moment! Ihr seid immer noch nicht in der Vorwärtsbewegung. Das letzte Mal habt ihr mir erzählt, ihr würdet euch schon aufmachen, um die… ‚Ausgebrochenen‘, die herumirrenden Patienten ,in die Zellen zurückzutreiben… Fuck, fuck! Ich bin jetzt die längste Zeit davon ausgegangen, dass das schon erledigt ist --- Moment mal… Hey, Schneiderholm hier geblieben! --- Oh verdammt….“
Klar erinnerte sich Ikarus an die Worte des Oberwärters. Ein Universal-Kommando öffnete die Zellen weiter unten im Trakt. Es sprach für sich, dass sie wenigstens noch nicht bis hier her vorgedrungen waren. Der Nachteil, vermutlich würde eine riesige Ansammlung an Fleischklöpsen auf der anderen Seite auf ihn warten. Er hatte nur insgeheim gehofft, dass die werten Kollegen ihre freie Zeit sinnvoller verbracht hätten als sich über ihre brummenden Schädel zu beklagen.
„Also Elena, schick‘ die Jungs da runter. Ich habe vom Doc eine Spezial-Mission erhalten, soll‘ den Irren aus dem Serverraum ausfindig machen und ihm die Meds überbringen.“
„Pillen, ich dachte, der sei…?“
„Ist er auch. Aber stellt sich heraus, dass der Doktor gerne schlimme Finger für die dreckigen Aufgaben einstellt. Hör mir zu Elena, kein Wort zu niemand, aber anscheinend sind unter den Patienten Warlords… und ganz ehrlich, vermutlich beherbergt die Crew auch 2-3 Verräterschweine. Möglicherweise sogar einer von der Führungsebene. Bleib cool, lass dir nichts anmerken, dann kommen wir hier schon heil raus…“
„Ok, ok, ok…“ Sie hatte schon coolere Momente, das hörte man raus. „Wäre auch zu schön gewesen, wenn wir für ein paar Wochen einen gemütlichen Job einfach nur runterreißen hätten können. Vielleicht sollten wir bloß ausbezahlen lassen und abhauen.“
„Yeah“, brummte er und fügte noch hinzu: „Wäre ein netter Gedanke. Ne Woche Credits auf der Urlaubsregion Tharkad verprassen."
"Unser kleiner Abenteuerurlaub", erwiderte sie.
"Klingt schon fast nach Flitterwochen", wurde Ikarus ungewollt romantisch, und wechselte das Thema noch bevor er ihr süffisantes Kichern hören konnte, "Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm den Doc Vertrauen soll. Für mich ist das zu viel Wirrwarr. Bleib vorsichtig“
„Eine simple Barschlägerei würde dir jetzt wohl besser zu Gesicht stehen“, waren Elenas letzte Worte, dann verabschiedete sich Ikarus mit einem kruden Lächeln.
Nun, um ehrlich zu sein: In all seinen Reisen spekulierte er nie darauf jemals einen langweiligen Job zu ergattern. Hinter der großen Metalltür wartete schon das nächste Abenteuer. Hinein in den Trakt. Nur gab es da noch ein Problem: Sie war dicht verschlossen. Das Terminal zwar nicht defekt, aber es reagierte nicht auf die Kommandos. Eventuell ein Resultat der kleinen Schießerei im Netzwerkraum. Unwahrscheinlich, dass Sheridan wirklich hier entlang lief. Irgendwo musste er abgebogen, untergetaucht oder sich verirrt haben. Schneiderholm tauchte hinter ihm wieder auf.
„Was gefunden?“