Ein deutlich hörbares Knacken erklang aus Konrads Kiefer, als dieser seine Zähne unnatürlich fest aufeinanderdrückte und mit ihnen knirschte. Er überlegte, ob er irgendetwas sagen sollte oder einfach nur in den Hörer schreien sollte, aber der Zorn war so stark, dass er kurz davor war, das Telefon ganz einfach gegen die Wand zu pfeffern – wäre nicht Rebekka zuvorgekommen, die ihm nach einiger Fummelei das Gerät aus seinen vor Wut verkrampften Händen genommen hatte. Das Telefonat war ohnehin schon vorüber, doch dieser Waldbrand in Konrads Magengegend, der erlosch nicht. Sein Herz pumpte derart schnell, dass ihm das rauschende Blut in seinen Ohren beinahe das Gehör nahm langsam begannen seine Kiefermuskeln zu schmerzen. Konrad bebte. Falls mir überhaupt nichts einfallen sollte, klassiere ich sie einfach als Geheimnisträger und dann verschwindet sie in irgendeinem ARIA-Gefängnis! Bei dem Gedanken an die Worte des Agenten lief Konrad ein eiskalter Schauer über den Rücken. So skrupellos konnte doch kein Mensch sein! Niemals. Nein, es war sicher nur eine Taktik, um dich aus der Reserve zu locken, Konrad, ganz ruhig. Er wird ihr nichts tun.
Der Polizist verhöhnte sich selbst für diesen verzweifelten Versuch, sich einzureden, es sei schon alles in Ordnung, denn das war es nicht, verdammt. Es ging hier um den Geheimdienst und zu was der fähig war, das hatte Konrad wohl in den letzten Tagen zur Genüge gesehen. Wenn er nicht sofort losfuhr und diesen Typen genau in der Mitte brach, dann würde Hannah morgen nicht in die Schule gehen.
„Ich verspreche dir, dass ihr nichts passieren wird“, sagte Rebekka leise und nahm sein Gesicht in ihre Hände. Konrad atmete tief aus und spürte, eine, wenn auch nur kleine, Woge der Erleichterung über sich, als ihre Finger sich auf seine Bartstoppeln legten und sie mit ihrer zarten Stimme leise fortfuhr: „Aber, und das ist jetzt wichtig, wir dürfen nicht sein Spiel spielen.“
„Ich hatte auch nicht vor, mich der Allianz zu stellen. Zumindest nicht unbewaffnet“, erwiderte Konrad in derselben Tonlage trocken und dachte dabei an einen filmreifen Last Stand in der ARIA-Zentrale. So viele von diesen Bastarden noch mitnehmen, alles andere war egal. Er schluckte die Idee herunter. So verzweifelt war er nicht. Noch nicht.
„Also, was ist dein Plan? Ich muss so schnell wie möglich zu ihm, denn sobald die Verstärkung bei ihm eintrifft, haben wir zum einen keine Chance, aber zum anderen ist Hannah dann auch verloren!“
Konrad stockte. Er dachte daran, wie er mit ihr zusammen immer Gravity Rumble geschaut hatte, sie langsam an den Sport herangeführt hatte, wenn ihre Eltern gerade nicht da waren. Beide berufstätig, gesunder Mittelstand, doch diesen Lebensstil aufrecht zu erhalten, ließ nicht viel Zeit für die Kindeserziehung. Aber Hauptsache eins haben… typisch Citadel. Sie waren keine schlechten Eltern per se, Konrad verstand sich sogar recht gut mit ihnen, aber manchmal schien es ihm, als würden sie nicht wissen, dass Hannah eigentlich an erster Stelle stehen sollte. Wenn das der Fall war, war Konrad stets eingesprungen und hatte auf Hannah aufgepasst. Sie war ein zuckersüßes Mädchen, das für ihr Alter viel zu viel Interesse an typischen Jungs-Themen hatte, von außen aber gar nicht so wirkte. Konrad wusste, dass sie irgendwann auch mal eins von den Mädchen werden würde, das den Jungs reihenweise die Köpfe verdrehte, egal ob Klassennerd oder härtester Brecher der Football-Typen.
Rebekkas Griff wurde für eine Sekunde fester, als so als würde sie ihn kneifen und Konrad bemerkte, dass er bei seinen Gedanken an das Nachbarskind, welches er wohl schon fester in sein Herz geschlossen hatte, als es ihm wohl jemals aufgefallen war, leicht zu schmunzeln begonnen hatte. Seine Wut war zwar nicht verflogen, sondern hatte sich nur zu einem dumpfen Grummeln, gepaart mit dem ein oder anderen stechenden Krampf in seine Magengegend verzogen, aber zumindest konnte er wieder klar denken.
„Ich hoffe, du hast recht, Bekka“, flüsterte er und lehnte sich nach vorne, drückte seine Stirn dabei gegen die von Rebekka, die noch immer sein Gesicht hielt. Ich habe bei Henrietta versagt, ich darf es nicht bei Hannah. Diesen Satz sprach der Ex-Polizist jedoch nicht aus, fühlte sich aber genau so.
„Packen wir unsere Sachen und sprengen wir diesen Typen. Niemand nimmt in meiner Wohnung eine Geisel.“