Konrad hörte den Ausführungen des Captains stumm zu, als jene über New York sprach, ihm von dem Spiel der Skyline mit der Sonne schwärmte und er dabei in ihren Umschreibungen das Panorama der Citadel im Widow-Nebel wiederzuerkennen dachte. Hin und wieder nickte er, um ihr zu signalisieren, dass er folgte und interessiert zuhörte, als sie die Oyster Bar ins Gespräch brachte und über New York als kulturellen Schmelztiegel bezeichnete, was ihn erneut an die Citadel denken ließ. Vielleicht würde es ihm dort wirklich gefallen. Vielleicht würde Konrad mal einen Ausflug dorthin unternehmen. Der Gedanke, alles hinter sich zu lassen und sich im Komfort des Nichtstuns einzulullen , war verlockend, doch Konrad wusste, dass er zuerst diese Geschichte durchstehen musste, ehe er sich Ruhe gönnen konnte. Wenn das alles vorbei war, dann würde er New York besuchen und sich in den Häuserschluchten der Megacity verlieren. Er lächelte bestätigend, als der Captain ihn als einen Sporttyp bezeichnete, erwiderte jedoch sonst nichts darauf. Genauso wenig wie er darauf einging, dass Henrietta von „Jugendfreunden“ ihres Großvaters getauft wurde. Dieser Begriff ließ nämlich in Anbetracht der Mafiaverbindungen der Familie Raum für unzählige Interpretationen, die sich Konrad im Moment nicht leisten konnte. Er brauchte gerade einen Verbündeten, keinen Verdächtigen. Captain Benedict schien genau das für ihn zu sein und die anscheinend gegenseitige Sympathie, die sich zwischen den beiden mehr und mehr aufbaute, wollte er nicht durch solche Kleinigkeiten und Trivialitäten verspielen. Das konnte und wollte er sich jetzt nicht leisten.
„Aber machen Sie sich keine Sorgen“, erwiderte schließlich professionell auf seine Bedenken, „ich schätze meine Privatsphäre.“
„Dann können wir ja etwas persönlicher werden.“ Konrad legte sein Besteck auf dem Teller ab, nachdem er das letzte Stückchen Fisch mit zwei Gabeln Reis verdrückt hatte und griff nach dem Bier, das nun mittlerweile auch quasi leer war und welches er mit einem kräftigen, herzhaften Ruck, wie er nur von jemandem von Terra Nova kommen konnte, in einem Zug leerte. Ungefragt wollte sich Henrietta erheben, ihm ein neues zu holen, doch mit einer sanften Handbewegung und einem ebenso milden Kopfschütteln hinderte er sie daran, während er gleichzeitig zu erzählen begann. Und während er so rekapitulierte, Captain Benedict aus seinen Erinnerungen ein möglichst akkurates Bild über den Fall gab, begannen die Ereignisse vor seinem inneren Auge erneut abzulaufen, als würde er sich das alles noch einmal in einem Kino ansehen.
„Was diesen Fall ins Rollen gebracht hat war ein Infobroker, Varla Bon, der mir eine OSD gegeben hat, auf welcher Hinweise zu finden waren, dass auf der Citadel sowohl mit aktiven, als auch inaktiven Geth-Teilen gehandelt wird. Ich habe mich also dazu entschlossen, etwas weiter zu graben, jedoch auf mich allein gestellt, da die Beweise… nun ja, sagen wir einmal, ich habe sie nicht gerade auf legale Weise erworben.“
Er dachte zurück an den Moment, als er das Büro im Finanzdistrikt betrat, nur um sofort angeschossen zu werden und sich mit einem Kroganer im Blutrausch zu prügeln. Es war, als wäre all das schon ewig her, Jahre gar, über welche hinweg sich Konrad unfassbar verändert hatte, doch waren es nur Tage, die diesen Augenblick und den tötenden Kopfschuss, den der Polizist damals in der Stirnplatte des Kroganers versenkt hatte, voneinander trennten. Konrad kratzte sich am Kinn und beobachtete Captain Benedict, wie sie auf die Tatsache reagierte, dass der Polizist rechtlich „unübersichtliche“ Grauzonen als Abkürzungen nutzte. Das wortlose Nicken bedeutete entweder, dass sie diese Information als nichts Besonderes auffasste oder aber dass sie ihre Gefühle diesbezüglich einfach nur gut verstecken konnte. Ohne groß zu zögern fuhr er schließlich fort.
„Jedenfalls bin ich auf einen Salarianer gestoßen, Stal Merulon, der für die Hintermänner dieses Verbrechens ein unbedeutender Bauer oder vielmehr ein Proxy war, über welchen sie ihre Machenschaften zu verschleiern versuchten. Die Razzia verlief nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber ich konnte dennoch genügend Beweise sichern, um ein kleines Stück weiterzukommen.“
Die Razzia in den Bezirken. Konrad schüttelte innerlich den Kopf, als er an Xyrus zurückdachte, der Merulon erschossen und Konrad somit eines wichtigen Kronzeugen beraubt hatte. Ihm fiel dabei auf, dass er gar nicht wusste, was der Turianer so trieb und erneut kam es ihm so vor, als hätte man bereits Jahre nicht mehr miteinander gesprochen. Er dachte auch an das „Interview“ mit einer zu neugierigen Reporterin nach, über welches Rebekka schließlich auf ihn aufmerksam geworden war. Konrad war noch nie so wirklich der Public-Relations-Typ gewesen.
„Unter diesen Beweisen war eine Mail, die von einem, mittlerweile nicht mehr existenten, eMail-Account des Finanzministeriums abgeschickt wurde“, fuhr Konrad fort und zum ersten Mal, seit er mit seinen Ausführungen begonnen hatte, konnte er eine Regung in Captain Benedicts Gesicht ausmachen. Es war zwar nur das sanfte Heben einer Braue, doch genügte es ihm, zu wissen, dass selbst der Captain nicht mit einer solchen Wendung gerechnet hatte. „Rebekka war es, die mir schließlich den Namen zu diesem Account geben konnte. Es war nicht das erste Mal, dass ich von ihr Informationen erhalten hatte, weshalb ich der Spur vertraute. Sie hatte mich schon öfter weiter gebracht in diesem Fall und wäre sie nicht gewesen, dann würde ich jetzt nicht hier sitzen. Jedenfalls steckte hinter dem Account eine gewisse Cheria T’Lomi, eine Angestellte des Finanzministeriums, in welches ich vor…“, Konrad sah absichtlich recht deutlich auf seine Uhr, um dann wieder Captain Benedict in die Augen zu sehen, „etwas mehr als einer Stunde eingebrochen bin und diverse Akten entwenden konnte.“ Er schwieg, senkte seinen Blick auf die leere Bierflasche in seiner Hand und ließ die Augen über das Etikett schweifen, ohne es dabei wirklich zu lesen, sondern vielmehr um irgendetwas zu tun, das seinen Händen Beschäftigung gab. Schließlich aktivierte er sein Omnitool mit einer unscheinbaren Bewegung, sodass es vielmehr so aussah, als ob das orangene Leuchten von ganz alleine gekommen war, und projizierte die Fotos der Akten über den Esstisch. Das Hitzeflimmern der Kerze störte die Projektion an einer Stelle ein wenig, veränderte das Licht des Omnitools so, dass es an manchen Stellen aufgeblasen oder verbogen aussah.
„Ich werde beobachtet. Dazu muss ich sagen, dass ich bereits einmal zwei Typen bei mir in der Wohnung erwischt habe, wie sie an meinen Sachen rumgefummelt haben, mir so wohl Angst einjagen wollten. Haben mich ausgeknockt“, sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich etwas, „hab einen dieser A… Amateure jedoch noch mit ‘ner zerbrochenen Flasche erwischen können.“ Er sah zu Henrietta, die ihn mit ihren großen, verschiedenfarbigen Augen anfunkelte. Was sie wohl gerade in ihm sah? Einen Helden? Er lachte innerlich auf. Menschen wie er waren keine Helden. Würden sie niemals sein.
„Was mir aber wirklich zu denken gibt“, schloss er seine Ausführungen ab, „sind zwei Punkte. Erstens: meine Spuren haben mich zu zwei kleineren Fischen in den Industriegebieten geführt, die an einer Art Geth-Exoskelett herumgefuhrwerkt haben, welches wir sofort aufs Revier gebracht und dort untersucht haben. Das macht die ganze Sache realer. Zweitens“, Konrad nahm mit der freien Hand seine Gabel und umkreiste mit dieser ein Aktenzeichen, das auf allen Fotos zu sehen war, „dieses Aktenzeichen steht für eine mir unbekannte Abteilung der Homeland – und jetzt raten Sie mal, wer das Geth-Skelett beschlagnahmt und den Untersuchungsraum hermetisch abgeriegelt hat.“