Kapitel 3
Rena und Bahati trafen sich das erste Mal vor einem Supermarkt in Los Angeles. Rena war gerade am überlegen, ob sie ihr Technikstudium abbrechen und lieber Chemie und Physik nehmen sollte. Einer ihrer Kommilitonen, Chris Middle, ein ziemlicher Weiberheld, lief ihr schon seit Tagen nach und baggerte sie ziemlich unoriginell an. Rena kam gerade mit einer Plastiktüte voll Obst aus einem Supermarkt, als er mit einem Auto vor ihr hielt. "Na?", grinste er. "Was, na?", fauchte Rena verärgert. Chris stieg aus, nahm ihren Arm und versuchte, sie ins Auto zu ziehen. Nichts, na, Willst du einen Kaffee?" Rena schubste ihn rückwärts. "Du - kotzt - mich - an! Such dir jemand anderen!!" "Reg dich ab. Ich hab doch gar nichts gemacht!", brummte er eingeschnappt. "Oh mann, ich will nichts von dir! Nach zwei Monaten musst du das doch kapiert haben!! Außerdem - hast du nicht schon eine Freundin?" Er grinste wieder. "Und?"
"Wenn der dich nervt, dann tritt ihm doch in den Arsch!", sagte jemand mit einem Mal. Rena drehte sich um. Vor ihr stand ein schwarzes Mädchen mit kurzen Haaren und einem herausfordernden Blitzen in den Augen. "Wenn du das nicht schaffst, üernehme ich es." Chris sah sie unsicher an, dann drehte er sich mit einem ärgerlichen Brummen zu seinem Auto, stieg ein fuhr davon.
Das fremde Mädchen sah dem neuen, lackglänzenden Capriomodell interessiert nach. "Geile Karre. Weißt du, wo der wohnt?" Rena musste lachen. "Warum, willst du sein Auto klauen?" "Nee, ich will es nur ausleihen. Ich schulde nem Kumpel von mir noch ein Auto. Er braucht eins für ein Straßenrennen." "Ein...illegales?" "Ja, klar, was denkst du?" "Ah... aha. Naja... hat dieser Kumpel einen Führerschein?" "Jep. Wozu die ganzen Fragen?" Das Mädchen wirkte plötzlich misstrauisch. "Naja... wenn du mir versprichst, dass er den Wagen wieder relativ ungeschrottet zurückbringt, könnte ich dir sagen, wo er wohnt. Ich wollte ihm schon immer mal eins auswischen, und sein Gesicht zu sehen, wenn er bemerkt, dass sein Auto weg ist, wäre echt mal toll." Das Mädchen legte den Kopf auf die Seite. "Okay, ein Deal: Ich frage einen Kumpel, ob er sich irgendwo verstecken und diesen Typen filmen könnte und er kriegt sein Auto wieder, und du sagst mir, wo er wohnt und hilfst mir, das Auto zu nehmen." "Wie denn... helfen?", fragte Rena unsicher. "Ich würde sagen, das besprechen wir dem Straßencafé da drüben. Du hast doch Zeit?" "Ja, schon..." "Also, dann." Das Mädchen lächelte. "nimm deine Tüte einfach mit. Ach, übrigens, ich heiße Bahati. Und du?" "Rena. Wo wohnst du eigentlich?" "In der Zehnten Straße. Ich gehöre zu den Tenth Street Rats." Rena sah Bahati überrascht an. Die Tenth Street Rats waren eine berüchtigte Gang. Bahati hatte zwar etwas an sich, das andere warnte, ihr zu nahe zu kommen, aber sie wirkte kein bisschen abgerissen oder verwahrlost. "Ist es schön da?" "Naja, die Straße ist garantiert nicht schön, aber die Leute sind cool. Nur in letzter Zeit sind ein paar da komisch geworden. Labern ständig Scheiß über Aliens, fast ein bisschen rassistisch. Na, egal, jetzt bist du dran.", sagte Bahati, wärend sie sich an einen freien Tisch setzten. "Was machst du hier?" "Ich studiere Technik. Aber vielleicht schmeiße ich das und wechsle zu Chemie und Physik." Bahati, die die Eiskarte gelesen hatte, hob den Kopf. "Warum denn das? Ich fand Chemie und Physik ganz okay, aber es hat mich noch nie interessiert, was Milikan über irgendwelche Ladungen labert oder in welche Elemente man Zinn zerlegen kann." "Ähm.", machte Rena. "Zinn kann man nicht zerlegen, das ist..." Bahati winkte ab. "Sorry, aber das interessiert grad keinen. Wo kommst du eigentlich her?", fragte sie weiter und begann, das Erdbeersorbet, das sie bestellt hatte, zu essen. "Du siehst mehr asiatisch als europäisch aus." Rena lächelte. "Fast. Ich bin... äh... zur Hälfte Balinesin, zu drei Achteln Japanerin und einem Achtel Deutsche. Und wo kommst du her?" "Afrika, Aus Somalia, genauer gesagt. Ich bin mit meinen Eltern vor ein paar Jahren hergezogen." Eine Weile aßen sie schweigend ihre Eisbecher. "Also.", fing Bahati dann wieder an. "Wegen dem Wagen, Du rufst ihn einfach an und lenkst ihn ab, und zwar von 16.00 - 16.30 Uhr." "Ähm... okay. Aber eigentlich ist das doch komplett yerrückt. "Ach was, ist doch lustig. Also, bis irgendwann. Geh und studier mal schön Technik, ich wünsche dir viel Spaß dabei."
Rena streckte ihr zum Abschied die Zunge raus.
Drei Tage später lagen sie auf dem Teppich in Renas kleinem Zimmer und bogen sich vor Lachen über ein Video von Chris Middle, der auf einer Straße stand und herumbrüllte wie ein wild gewordener Kroganer und ein vergrößertes Foto von seinem Gesicht, als er das ziemlich demolierte Caprio unter seinem Fenster entdeckte. "Davon will ich ein Poster!", japste Rena.
Und ab ungefähr da waren sie Freundinnen.
"Wo fliegen wir eigentlich hin?", fragte Rena, während sie zusammen mit Bahati einen Raum, der die Küche darstellen sollte, auf den Kopf stellte, um etwas genießbares außer Bier und Chips zu finden. "Nach Noveria. Dort sucht uns wahrscheinlich niemand, und da gibt es vielleicht Leute, die wissen, wer dir warum wen auf den Hals geschickt hat." "Hm, aber wenn, dann stehen diese Leute bestimmt nicht auf userer Seite." "Ach, die kriegen wir schon rum, da helfe ich dir, keine Angst." Rena lächelte. "Danke." "Bitte. Übrigens, es dauert nicht mehr lange, bis wir in... Rob!", rief Bahati, während sie eine Dose mit undefinierbarem Inhalt aus einem Kühlfach zog. "Was genau ist das?" Rob steckte den Kopf zur Tür herein. "Was? Ach so, das. Das sind flambierte Crêpes." Die beiden Frauen starrten ihn an. "Bitte... was?" Rob zuckte die Achseln "Wir hatten mal nix mehr zu essen und wollten selber was machen. Uns ist alles angebrannt, also haben wir nach was gesucht, was anbrennen muss... naja, is auch nix geworden." Rena schnitt eine Grimasse. "Ich hab zwar Hunger, aber... nein, danke, ich warte lieber bis Noveria. Ach, Bahati...", sagte sie und kland plötzlich angespannt. "Glaubst du, die Patroullie, die ich angefunkt habe, ist zu spät gekommen?" Bahati schwieg kurz. "Ich denke schon." "Bestimmt.", fiel Rob dazwischen. "Ich wollte vorhin nichts sagen, aber der Killer war wahrscheinlich schneller. Sorry, aber die auf Antibaar sind sicher schon alle tot." Bahati sah ihn finster an. "Geht`s noch taktvoller?", fauchte sie. "Tschuldigung.", murmelte Rob und verzog sich.
Eine Weile blieb es still, dann sagte Rena: "Ich war noch nie in Noveria." Bahati nickte. "Ist ganz okay da, siehst du dann schon. Wenn wir nicht zu viel Scheiß bauen, fallen wir nicht auf. Die Allianz kriegt uns da jedenfalls nicht so schnell." "Das klingt fast, als wären wir Kriminelle.", grinste Rena. "Genau genommen sind wir das auch.", erwiderte Bahati. "Ach, eins verstehe ich nicht: wie konnten die Typen, die diesen Killer geschickt haben, herausfinden, dess du diese Formeldinger entwickelt hast?" "Hab ich mich auch schon gefragt. Ich habe über Extranet Nachrichten an zwei Energiekonzerne geschickt, in denen habe ich ungefähr gesagt, was ich herausgefunden habe. Ich denke, da haben diese Typen das abgefangen." "Das heißt, diese Energiekonzerne haben deine Nachricht nicht bekommen?" "Doch, vielleicht. Wenn wir Glück haben."
Mike, Rob`s Kumpel, der fast den ganzen Flug über gepennt hatte, tauchte in der Tür auf. "Hey, Mädels, packt euren Kram zusammen." Damit verschwand er wieder. Das kleine Raumschiff drosselte die Geschwindigkeit stark ab und flog in den schneeumwehten Raumhafen von Noveria.
"Also, willkommen in Noveria.", sagte Rob, der zusammen mit Mike noch eine Weile in Hanshan bleiben wollte. "Wir haben in nächster Zeit nix besonderes vor, wenn ihr das Schiff irgendwann braucht, dann sagt einfach, dass ihr es nehmt - bringt es aber wieder zurück!" "Wir werden das Ding voll alleine steuern können!", brummte Bahati. "Das schafft ihr schon." Rob winkte grinsend zum Abschied und ging zusammen mit Mike davon.
"Also, dann.", meinte Bahati, während sie Rob noch einen finsteren Blick nachschickte. "Ich würde sagen, wir gehen in dem billigsten der Hotels hier schlafen. Morgen ist auch noch ein Tag. Aber ich muss mir von nem Kumpel Geld leihen." "Du hast überall Kumpels, oder?", spöttelte Rena. Bahati nickte nur. Die zwei gingen durch die vielen Hallen und Aufzüge zu dem Hotel, in dem Bahati das Gespräch zwischen dem Turianer und dem Kroganer belauscht hatte. Sie meldeten sich an, wobei Rena vorsichtshalber angab, Sheila Dee zu heißen - englische Namen waren immer gut, weil die meisten Menschen zumindest englische Vornamen trugen -, nahmen, um zu sparen, ein Doppelzimmer und gingen zum Abendessen in den kleinen Esssaal.
Sie saßen zusammen mit noch einem Menschen, zwei Volus und einem Salarianer an einem der Tische. Die beiden Volus war mit dem Essen schon fertig, unterhielten sich aber noch.
"Chh. Hast du schon gehört chh, dass eine Forschungsstation vom Erdenclan chh auf einem Eisplaneten angegriffen worden ist?" "Chh. Ja, hab ich. Chh. Keiner weiß, wer`s war. Selbst schuld chh, wenn die Erdlinge ihre Stationen nicht beschützen können chh. Alle tot, nich chh wahr?" Rena ließ vor Schreck ihre Gabel fallen. Sie hatte irgendwie die ganze Zeit damit gerechnet, aber trotzdem war es ein Schock. Als sie bemerkte, dass der Salarianer sie überrascht ansah, nahm sie ihre Gabel wieder und versuchte, ruhig weiterzuessen, was nicht ganz gelang. "Nein chh.", sagte der eine Volus, wärend die beiden aufstanden. "Sie sollen eine chh Überlebende gefunden haben." "Chh, wirklich dumm, die Kolonien und Stationen immer so weit draußen zu bauen und nicht zu bewachen..."
"Das habe ich mir gedacht.", sagte Bahati, während sie den zwei Volus nachblickte, die zur Treppe watschelten. Rena hob den Kopf. "Was?" Bahati warf einen vorsichtigen Blick auf den Salarianer, der jedoch völlig uninteressiert in seinem Essen herumstocherte, dann beugte sie sich über den Tisch und fuhr leise fort: "Naja, viele Türen sind in Forschungsstatinen doch mit Codes verschlossen, oder? Dieser Killer musste also mindestens einen Komplizen gehabt haben. Und der hat naturlich ganz zufällig überlebt." Rena schob ihren Teller weg. "Ich habe keinen Hunger mehr."
Gemeinsam gingen sie die Treppe hoch zu ihrem Zimmer. "Was hast du eigentlich in Noveria gemacht?", wollte Rena wissen, während Bahati die Zimmertür aufschloss. "Auf einem Frachter gearbeitet. Die haben mir wahrscheinlich schon eine schriftliche Kündigung geschickt." "Tut mir leid." Bahati zuckte die Achseln. "Auch egal. Ich finde schon wieder was, und so toll war es da auch nicht. " Rena brachte ein Lächeln zustande. "Ach, Bahati, wenn wir etwas über diese Leute herausgefunden haben, müssen wir das der Allianz mitteilen, zumindest anonym. Wir beide werden alleine wahrscheinlich nicht viel gegen diese Personen machen können." "Schon klar. Aber zuerst müssen wir mal was rausfinden. Gleich morgen früh leihe ich mir Geld." "Okay, aber ich zahle dir das dann irgendwann zurück." "Hab nix dagegen."
Harry Wilder ging in einer dunklen Gasse in der Citadel auf und ab. Normalerweise genoss er nach seiner einsamen und oft langweiligen Zeit als Patrouille das Leben in den Bezirken, aber heute hatte er keinen Sinn dafür.
Captain Presley hatte eine Nachricht mit allem, was er über Antibaar 2 wusste, an das Hauptquartier der Allianz geschickt, aber er hatte nur die gereitzte Antwort bekommen, sie hätten niemanden übrig, und Captain Presley sollte doch bitte einen seiner Leute schicken, um diese Forscherin zu suchen. Und Captain Presley hatte Lieutenant Wilder befohlen, sich darum zu kümmern.
Erst hatte er versucht, über Extrenet etwas über sie herauszufinden, aber: Fehlanzeige. Dann hatte er ihren Computer, den er aus Antibaar 2 mitgenommen hatte, durchsucht, aber nur Versuchsbeschreibungen gefunden, sonst nichts, keine Hinweise darauf, warum sie kurz vor dem Angriff auf die Forschungsstation gegangen war. Und er hatte keine Ahnung, wohin sie mit wem gegangen war, geschweige denn, wer hinter dem Angriff steckte und was er haben wollte. Als Harry kurz davor gewesen war, aufzugeben, hatte Rena Kobayashis Computer zwei Nachrichten erhalten. Natürlich hatte er sie sofort geöffnet.
"Sehr geehrte Frau Kobayashi,
es freut uns, dass sie sich mit ihrem Angebot an uns gewendet haben.
Für die Beschreibungen ihrer Experimente sowie die dazugehörigen Formeln bieten wir Ihnen einen Preis von 985,5 Millionen Credits, unter der Bedingung, dass sie nur an uns verkauft werden.
Hochachtungsvoll,
die En-Comp.&Co."
Der Text der zweiten Nachricht lautete ähnlich, nur dass er von einer "Energy Supply Corporation" stammte und das Zahlungsangebot sogar eine Milliarde Credits betrug. Harry Wilder hatte schnell herausgefunden, was En-Comp.&Co und Energy Supply Corporation waren: Die beiden Hauptenergieversorger der Erde und auch teilweise der Citadel. Dort hatte man ihn erst höflich abgewimmelt. Aber als ein höherer Beamter der Allianz eine Nachricht an beide Konzerne geschickt hatte, rückten sie schließlich mit zwei fast identischen Videonachrichten heraus, in denen Rena Kobayashi irgenwelche Formeln zum Verkauf anbot, mit dem Hinweis darauf, dass diese neue Art von Energiegewinnung gefährlich werden könnte.Die beiden Energiekonzerne versicherten, mit dem Überfall auf Antibaar 2 nichts zu tun zu haben, was niemand bezweifelte.
Er meldete der Allianz, dass er wusste, was der- oder diejenigen, die an dem Angriff auf A2 Schuld waren, gesucht hatten. Dann hatte er einen salarianischen Spionagedienst beauftragt, etwas über Freunde und Verwandte von Kobayashi herauszufinden, denn jemand musste sie mitgenommen haben, weil Antibaar 2 kein eigenes Raumschiff besessen hatte, und es rund um die Forschungsstation keine geeigneten Versteckmöglichkeiten gab.
Und jetzt war Harry Wilder hier in einer schmalen dunklen Gasse und wartete auf eine salarianische Kontaktperson. Endlich tauchten am anderen Ende der Gasse zwei Salarianerinnen auf. Erleichtert stellte er fest, dass eine von ihnen Inah Talah war, eine der wnigen Salarianer, die fähig waren, nicht sehr viel mehr als nötig zu erzählen. "Guten Tag.", begann sie, mit ihren großen Augen zwinkernd, "Wir haben herausgefunden, dass der Vater und ein Onkel von Rena Kobayashi noch leben, aber das wird Sie nicht interessieren, sie hatten in der letzten Zeit wenig Kontakt. Aber wir haben etwas gefunden, was Ihnen helfen könnte." Die andere Salarianerin zog eine kleine Kassette und ein Tonbandgerät hervor. "Keine Sorge, wir werden nicht belauscht.", sagte sie. Dann schob sie die Kassette in des Gerät und schaltete es ein.
"Hallo?"
"Rena, bist du das?"
"Bahati! Ich habe gerade an dich..."
"Du befindest dich gerade auf Antibaar? Im Armstrong-Nebel?"
"Warum, steckst du in Schwierigkeiten?"
"Nein, du. Hör zu..."
Harry Wilder blieb einen Moment reglos stehen, dann fragte er aufgeregt:"Und wer ist diese Bahati?" "Das können wir nicht genau sagen.", erwiderte Inah. "Aber laut unseren Informationen schickte ein Frachter Namens Harmony vor gerade mal zwei Stunden eine schriftliche Kündigung an eine Bahati Abay in einem Hotel im Hanshan, dem Raumhafen von Noveria." Noveria? Warum nicht. "Ich danke Ihnen.", sagte Harry Wilder höflich. Die beiden Frauen nickten und warteten, bis er verschwunden war. Dann drehte Inah sich zu ihrer Kollegin um. "Schon seltsam", sagte sie auf Salarianisch. "Der Turianer wollte genau dasselbe über Kobayashi wissen. Es wäre interessant zu erfahren, was sie von ihr wollen. Und wer sie als erster findet."