Der eigenartige Mann, der sich ihr als Yanis vorgestellt hatte, drehte sich zu ihr um:
„Isch konnte eure Freundin nischt finden aber wenn i’r möschtet kann isch eusch noch weiter begleiten“
Leirâ stutzte. Was sollte die Frage? Allmählich machte sie die freundliche Art des Mannes misstrauisch. Was sollte das? warum begegnete er ihr so... respektvoll, beinah fürsorglich? Mögliche Erklärungen flatterten Tauben gleich durch ihren Kopf, eine wirrer als die andere: Fand er sie attraktiv? War das ein übler Schem- Streich? Vielleicht eine Wette unter Freunden? Oder war er gar ein Sklavenjäger, der sie in die Arme seiner Schergen locken wollte, um sie dann in die Menschenwelt zu verkaufen?
Nun, er wird erfahren, dass die Zähne der Dalish noch scharf...Sie biss sich auf die Unterlippe. Was hat Vater mich gelehrt? Sei höflich und achtsam, sei besser als die Shem. Und du wirst sehen, dass es auch unter der Rosenohren solche mit Ehre und Anstand gibt. Ihre Hand bewegte sich dorthin, wo sie normalerweise die Menschenklinge trug. Und griff ins Leere. Beschämt senkte sie den Blick.
"Abelas Haren. Ar tu Schande.", murmelte sie leise vor sich hin. Sie hatte ihr und ihrem Vater schande gemacht. Nicht dem Klan. Sie war verbannt, wie ihr erneut schmerzhaft in den Sinn kam. Und ihr Leben fand nun in der Welt der Menschen statt. Sie hob erneut den Blick und schaute Yanis in die Augen.
"Danke fûr eér Angebot. Aber ich muss ablehnen. Ich habe berêts genug von êrer Zêt verbraucht."
Sie nickte knapp mit dem Kopf.
"Dareth shiral." Und mit diesen Worten trat sie hinaus. Der stickige, schwere Geruch von nassem Hund und Straßendreck drückte noch immer unangenehm auf ihre Nase und das Gefühl der Beengtheit fiel nicht, wie erhofft, von ihr ab. Sie seufzte und schaute sich um. Zwar konnte sie nirgends Juliette entdecken, doch ein kleiner Tumult erregte ihre Aufmerksamkeit: Unweit stand eine Gruppe Kinde hinter einem Haus. Durch dass Wirrwarr au Stimmen und Gerüchen vermochte die Dalish kaum die Worte zu verstehen, doch 'ein weißer Bär' konnte sie heraushören.
Ein weißer Bär? Hier? Sie erinnerte sich, im Frostgipfelgebirge als kleines Mädchen, das gerade das Jagdhandwerk erlernte, einige weiße Bären gesehen zu haben. Ihr Vater hatte sie 'Schneebären' genannt. Doch was tat einer hier, soweit südlich des üblichen Jagdrevieres dieser Tiere? Was...
"Heda, Klingenohr! Mach den Weg frei!" Sie fuhr herum, einer aufgeschreckten Katze gleich. Vor ihr standen zwei große Männer, jeder einen eisenbewehrten Knüppel in der Hand.
"Mach gefälligst Platz für den Büttel Loreck!", herrschte sie einer der Männer mit dem schlechtesten Atem an, den sie je gerochen hatte. Sich zähneknirschend selbst zur Räson bringend trat sie beiseite. Den Knüppelkerlen folgte ein dicker kleiner Mann (wenngleich noch immer einen Kopf größer als Leirâ), dessen Kleider noch nicht völlig vor Schmutz starrten. Hochmütig warf der Mann Blicke hin und her. Leirâ schaute ihm einen Moment herausfordernd in die Augen, dann drehte sie sich um und ging raschen Schrittes auf die Kinder zu. Ohr fehlte es an Geduld, sich mit diesem Shem zu streiten. Und sie hatte Gewissheit, dass es dazu gekommen wäre.
Die drei Knaben, die eben über den Schneebären gesprochen hatten, zuckten zusammen als die Elfe, die kaum größer war als sie, plötzlich zwischen ihnen auftauchte, der Büttel schien zu ihrem Glück besseres zu tun zu haben, als sich um eine elfische Waldläuferin zu kümmern.
"Îr spracht von ênem Schnébâren.", sie blickte in erstaunte Gesichter. "Wo habt îr den gesehen?"
"Du Klingenohr hast un gar nichts zu sagen!", warf sich der größte der drei in die Brust und baute sich vor ihr auf. Leirâ schnaubte nur und rammte ihm unvermittelt das Knie in die Hüfte. Der Knabe knickte augenblicklich ein und rang nach Luft, viel zu überrascht, um aufzuschreien.
"Ich hatte heute genug Geduld mit deinesgleichen, Schemlen. Vor allem, wenn ich hôflich frage.", sie funkelte die anderen beiden an.
"Also, wo habt îr dîsen Schnébâren gesehen?"
Zögernd nur hob einer der Bengel die schmutzige Hand und deutete zwischen zwei der Steinzelte hindurch. Leirâs Gesicht zierte ein lächeln, das einer Katze, die mit ihrer Beute spielt gut gestanden hätte, als sie den Kopf neigte.
"Und du.", fauchte sie den Burschen am Boden an, "solltest dir das nâchste Mal besser ûberlgen, wî du einer Angehôrigen des Volkes begegnest." Und mit schnellen Schritten verschwand sie zwischen den beiden Häusern. Sie hatte, ohne es zu bemerken, ziemliches Glück gehabt, dass der Büttel bereits verschwunden war.
Als sie die Gasse verließ, stand sie zu ihrer eigenen Verwunderung direkt hinter einem ihr wohl vertrauten Hinterteil, an dem viel zu viel dran war. Juliette redete zu ihrer Erleichterung gerade auf Alrik und Rhaego ein Mythal sei dank, dass wir die nun nicht auch noch suchen müssen.
Hinter den Männern stand eine Frau, die mit leerem Blick in die Welt starrte neben einem Karren. Neben ihr wiederum erblickte die Dalish eine... Elfe? Leirâ war verwirrt: Die Frau trug zwar Kleider der Schemlen, doch auch Vallaslin. Die Dalish stand einige Herzschläge verwundert da, ehe sie sich entsann, was sie eigentlich gesucht hatte. Und keiner ihrer Gefährten schien sie bis dahin bemerkt zu haben.
Rhaeoge hatte sich gerade der Schem-Frau zugewandt und sagte:
"Kommt mit uns."
"Andaran atish’an, meine Gefâhrten. Hattet îr vor, mit dîser Frû an mêner statt ûfzubrechen?", grüßte die kleine Elfe mit verschränkten Armen und gedrückter Stimmung.